Es sind ja gerade die kleinen Dinge im Leben, auf die es ankommt. Eh. Ohne Schraubenmuttern, Beilagscheiben, Inbusschlüssel hätten wir ein Problem. Oder nicht nur eines. Solange die Gummidichtung ihren Job erledigt, bemerkt man sie nicht. Erst wenn sie streikt oder den Geist aufgibt und der Wasserhahn einen mit seinem penetranten Tropfen in den Wahnsinn treibt, realisiert man, was sie leistet, die Dichtung. Dass es ohne sie nicht geht.

Und dieser "Kleinscheiß", von dem wir keine oder kaum Notiz nehmen oder der sich vor uns sogar versteckt (unter der Motorhaube, unterm Sattel vom Motorrad et cetera), der reizt ihn halt besonders, den Richard Kaplenig. Den bringt er ganz groß raus und dabei quasi dessen innere Monumentalität zum Vorschein. Denn wer die Feder nicht ehrt, ist – den Vogel nicht wert? Warum den Vogel? Die Harley! Von der stammt die Schraubenfeder. 

Und wer beklatscht die Schraubenmutter?

Mit offenem Mund gafft man die imposanten Andachtsbilder an, mit denen der Künstler die Lukas Feichtner Galerie ("an-auf-übersicht") vollgehängt hat. Seine Ikonen von diesen stillen Helden des Alltags. Die sollte man jeden Abend beklatschen. Die Isolatoren, die Zahnräder, die Korkenzieher. Als mir freilich erklärt wurde, dass das überhaupt kein Korkenzieher ist, sondern ein Wurzelheber (jedoch keiner vom Gärtner), hab ich reflexartig den Unterkiefer wieder hochgeklappt. Bestaunen kann man ein zahnärztliches Folterwerkzeug auch mit zusammengepressten Lippen, oder?

Small is beautiful. Besonders in XL. Richard Kaplenig vergrößert die kleinen Helden des Alltags. Man beachte den stattlichen "Korkenzieher". Der ist in Wahrheit nämlich ein Wurzelheber. 
- © Lukas Feichtner Galerie

Small is beautiful. Besonders in XL. Richard Kaplenig vergrößert die kleinen Helden des Alltags. Man beachte den stattlichen "Korkenzieher". Der ist in Wahrheit nämlich ein Wurzelheber.

- © Lukas Feichtner Galerie

Dass ich den Wurzelheber für einen Korkenzieher gehalten habe, liegt übrigens an mir (also möglicherweise daran, dass ich beim Zahnarzt meistens die Augen zu habe), nicht am Maler aus Kärnten. Der hat nichts falsch gemacht. Im Gegenteil. Fast fotorealistisch hat er ihn geschildert, den Wurzelheber, seiner Stofflichkeit gehuldigt. Oder sollte man Kaplenigs Stilrichtung besser "romantische Sachlichkeit" nennen? Seine Modelle (Fundstücke vom Flohmarkt oder manchmal Mitbringsel von Freunden – "Mir schenkt niemand mehr Wein") macht er nämlich immer zu Bühnenstars, inszeniert sie auf einer selbstgebauten Minibühne, beleuchtet sie vorteilhaft. Ein sachlicher Romantiker eben. 

Das Borstenvieh kann zaubern (der Pinsel)

Sein Pinsel ist sowieso ein Zauberstab, der Ölfarbe zu Metall, Glas, Gummi oder Porzellan transformieren kann. Und zu Licht, Glanz und Schimmer. Zu Sinnlichkeit. Ob die Flüssigkeit im Flascherl dort wohl bereits von Anfang an rot war? Oder ist sie erst nachträglich errötet? Auf der Leinwand? Und war zu Beginn vielleicht klar und farblos? Ich würde dem Kaplenig jedenfalls ohne Weiteres zutrauen, dass er imstande wäre, Wasser in Wein zu verwandeln. Dennoch hat er hier Wasser in Saft verwandelt. Mit Sirup. Und im Anschluss gemalt.

Da geht der Blick durch wie Parmesan: Wenn man den Kopf rhythmisch hin- und herbewegt, kann man ihn (den Blick) jedenfalls wie Käse reiben, so scharf hat der Richard Kaplenig diese Reibe gemalt. 
- © Lukas Feichtner Galerie

Da geht der Blick durch wie Parmesan: Wenn man den Kopf rhythmisch hin- und herbewegt, kann man ihn (den Blick) jedenfalls wie Käse reiben, so scharf hat der Richard Kaplenig diese Reibe gemalt.

- © Lukas Feichtner Galerie

Als Meißel benutzt er sein Streichinstrument außerdem (den Pinsel, das Borstenvieh). Gewissermaßen. (Und als Lupe, die die handlichen Kleinigkeiten um ein Vielfaches vergrößert.) Bevor er, der 1963 in Kötschach-Mauthen auf die Welt gekommen ist, in Venedig auf der Akademie Malerei studiert hat, hat er eine Ausbildung zum Elektriker absolviert. Und eine zum Bildhauer. Drum malt er wahrscheinlich ein bissl wie einer. Ein Bildhauer. Modelliert seine Objekte unglaublich greifbar heraus aus der Fläche. Wie Skulpturen.

Weiß er selber eigentlich von jedem Stück, worum es sich handelt oder wozu es gut ist? Beispielsweise von diesem mysteriösen technischen Bauteil, das ich nicht einmal annähernd beschreiben kann? Kaplenig: "Ich weiß das jetzt natürlich schon, aber wie i des Ding g’funden hob, hob i’s net g’wusst." Und was ist es? "So ganz sicher bin i ma a net, wie’s funktioniert, aber es is von ana Nähmaschin‘." 

Zylinderkopf ist kein anderes Wort für "Hutträger"

Von einer Nähmaschine? Da wäre ich nie draufgekommen. Und selbst da ich das nun weiß, kann ich mir noch immer nicht vorstellen, was das Teil tut. Nicht, dass die Funktion das Entscheidende wäre. Oder die Herkunft. Die äußeren Werte zählen eindeutig mehr, die spannende Form, das Material, die Oberfläche. ("Es gibt ja so vü fade Gegenstände.") Trotzdem macht das Wissen, dass eine Feder vom Sitz einer Harley ist, sie gleich noch eine Spur sexyer. Und auratischer.

Noch sexyer, wenn man erfährt, woher diese Feder stammt: von einer Harley. (Okay, sie ist noch jungfräulich. Der Richard Kaplenig hat sie in einem Zubehörladen gekauft. Aber das weiß ja niemand. - Ups.) 
- © Lukas Feichtner Galerie

Noch sexyer, wenn man erfährt, woher diese Feder stammt: von einer Harley. (Okay, sie ist noch jungfräulich. Der Richard Kaplenig hat sie in einem Zubehörladen gekauft. Aber das weiß ja niemand. - Ups.)

- © Lukas Feichtner Galerie

Besitzt der Kaplenig nicht ein Motorrad? Nein, einen Motorroller. Auf dem sitzt er allerdings ebenfalls. Und weil das Bild mit dem Zylinderkopf drauf "ZY V" heißt und nicht "ZY H.D.", ist das der Zylinderkopf (ZY) von einer Vespa (V) und nicht von einer Harley Davidson (H.D.). Die kryptischen Titel sind folglich gar nicht so rätselhaft, wenn man das Prinzip einmal verstanden hat. "BLS 5 – 10": eine BeiLagScheibe, die er vermutlich am 5. 10. fertiggemalt hat. Der Maler erhebt Einspruch: "Oder am 10. 5." Und korrigiert erneut: "Oder sie hat einen Durchmesser von fünf bis zehn Millimetern."

Nicht von einer Harley, doch immerhin von einer Vespa (und der Richard Kaplenig, der das Bild gemalt hat, kennt sich da aus, der hat selber eine - eine Vespa): Zylinderkopf ("ZY V"). 
- © Lukas Feichtner Galerie

Nicht von einer Harley, doch immerhin von einer Vespa (und der Richard Kaplenig, der das Bild gemalt hat, kennt sich da aus, der hat selber eine - eine Vespa): Zylinderkopf ("ZY V").

- © Lukas Feichtner Galerie

Wurscht. Interessanter ist ohnedies, dass sie ziemlich verkohlt ist. Im Grunde eine Märtyrerin, die sich aufgeopfert hat. (Ein Verschleißteil.) Ein Auspuff hat sie verloren. Sozusagen für den Kaplenig auf der Straße vor dessen Atelier hinterlegt. Vor dessen Atelier in Faak am See. Er hat noch ein zweites in Wien. Und in beiden schaut es aus wie in einer Eisenhandlung oder einem Ersatzteillager (mit ein paar Pinseln dazwischen). Genau wie in seiner Wohnung. Schrauben und deren Muttern und Schwiegermuttern statt Nippes. 

Die Malerei ist ein Superkontinent

Im diffusen Raum scheinen die Sachen mitunter zu schweben, im unbestimmten Grau. Gleichzeitig sind sie verortet, geerdet. In der Geografie, in der sich der Künstler herumtreibt. Eine Collage aus zerrissenen Kopien von Landkarten blinzelt durch die seelenvolle, atmosphärische Malerei. Aus den Fragmenten seiner zwei Heimaten, zwischen denen er hin- und herpendelt (Wien und Dreiländereck), erschafft Kaplenig einen neuen Superkontinent: Kärnslowienien.

Und zum Schluss: Eine fesche Mutter auf Richard Kaplenigs Superkontinent. 
- © Lukas Feichtner Galerie

Und zum Schluss: Eine fesche Mutter auf Richard Kaplenigs Superkontinent.

- © Lukas Feichtner Galerie

Doch egal, wohin die Bilder reisen, das, was für sie Modell gestanden ist, bleibt daheim, gibt der Maler nicht her. Basta. Manche Käufer glauben nämlich, den Gegenstand gäb’s zum Bild gratis dazu. "Den gibt’s natürlich net mit." Natürlich nicht. So einfühlsam, wie der jeweils porträtiert worden ist, ist der jetzt ein Familienmitglied. Hat ihn der Kaplenig adoptiert.