Der 1870 in Mähren geborene Josef Hoffmann konnte nach seiner Ausbildung bei Otto Wagner 60 Jahre künstlerisch arbeiten, er überlebte vier Regime in Wien und konnte von der Monarchie über die Erste Republik, Ständestaat, Nationalsozialismus und selbst in der Zweiten Republik bis zu seinem Tod 1956 Projekte verwirklichen - sogar noch drei Gemeindebauten waren darunter. Dazu kommen mehrere Jahrzehnte als Professor an der Kunstgewerbeschule 1899 bis 1936 und sein Mitwirken an Secession, Wiener Werkstätte, aber auch dem sich bis 1973 ständig wandelnden Werkbund.

Hoffmann war ein global vernetzter, medienwirksamer, ungeheuer kreativer Architekt, Ausstellungsmacher und Designer, der einer Deckeldose oder einem Kaffeeservice genauso viel Aufmerksamkeit zukommen ließ wie einer Villa oder einem Gemeindebau. Zwar ging er nicht mit der radikal puristischen Moderne konform, er förderte aber Avantgardisten, beeinflusste viele von ihnen (im Inland und im Ausland bis in die USA) und blieb durch seine Vorliebe für Handwerk und Dekor moderater. Hoffmann orientierte sich an der fortschrittlich-englischen Arts-&-Crafts-Bewegung; dies führte ihn vom geometrischen Stil um 1900 in einen organischeren, vom klassizistischen sogar nach 1945 nochmals zurück zu einem floral-abstrakten Mischdesign.

In der Fülle der Exponate zu besichtigen: eine Rekonstruktion des "Boudoir d’une grande vedette" (Boudoir für einen großen Star) von der Pariser Weltausstellung des Jahres 1937. - © MAK / Georg Mayer
In der Fülle der Exponate zu besichtigen: eine Rekonstruktion des "Boudoir d’une grande vedette" (Boudoir für einen großen Star) von der Pariser Weltausstellung des Jahres 1937. - © MAK / Georg Mayer

Degradiert während
der NS-Zeit

Das Bild des sich bei den Austrofaschisten und Nationalsozialisten andienenden Künstlers versteht man besser, wenn dabei Hoffmanns enorme Willensstärke in der Umsetzung einer Reform in Sachen ästhetischer Gestaltung des Alltags berücksichtigt wird. Nach der Aufarbeitung aller Quellen geht die Kunstgeschichte mit ihm mittlerweile milder um als noch um 1980; der Mitläufer-Verdacht wird bei weitem nicht mehr so laut erhoben, und zwar aufgrund von Degradierungen während der NS-Zeit: So hat Albert Speer die Hoffmann bereits zugesprochene Goethe-Medaille verhindert, Baldur von Schirach tröstete ihn mit dem Alfred-Roller-Preis. An sich galt Hoffmann offiziell für Berlin als viel zu "wienerisch"; er konnte zwar 1940 das "Haus der Wehrmacht" bauen, brach die Hakenkreuz-Symbolik aber durch seine ornamentale Eigenart. Seiner Hoffnung 1938, den Stellenwert des Handwerks zu erneuern und in der Lehre Qualitätskriterien neu zu diskutieren, gab man wenig nach. In seinen Briefen findet sich kein ideologisches Statement oder Antisemitismus, ganz unpolitisch war er aber wohl nicht, und vor allem nutzte er seine Netzwerke, die er bereits als Mitarbeiter des "Roten Wien" geknüpft hatte.

Schon im Vorjahr wollte das MAK eine Ausstellung zu Hoffmanns 150. Geburtstag zeigen; pandemie-bedingt ist sie erst jetzt zu sehen. Bereits im Vorfeld ist ein Katalog-Handbuch mit neuesten Forschungen erschienen: Nicht nur zur Zeitspanne 1934 bis 1945, auch zum späten Josef Hoffmann ist nun mehr zu erfahren, nach langer Konzentration auf seine Rolle in Wien um 1900 bis in die 20er Jahre. Die Ausstellung wurde von drei Kuratoren (Matthias Boeckl, Rainald Franz und Christian Witt-Dörring) lange geplant und von Gregor Eichinger gestaltet: Die große Halle ist wieder einmal mit vier Durchbrüchen in den zentralen Raum offener, so kann man sich zwischen den mehr als 1.000 Objekten kreuz und quer bewegen, auch wenn eine Timeline an den Raumwänden die Chronologie der Schaffensjahre und ihre Hauptereignisse vorgibt. Hoffmanns Palais Stoclet in Brüssel ist heute Unesco-Welterbe, seine Bauten und Interieurs für die Familien Wittgenstein, Ast, Primavesi, Zuckerkandl oder Knips legendär.

Hoffmanns Schönheitsbegriff ist durch das Engagement für Sozialbauten nie einseitig elitär, er schafft es, Identitätsbringer zu bleiben, auch wenn er Kompromisse eingehen musste und zeitweise nur sehr subtil die internationale ästhetische Klaviatur weiter bedienen konnte. Sein Facettenreichtum macht es möglich, am Ende der Schau auch sein Weiterwirken in Architekten wie Hans Hollein, Zaha Hadid oder Designern wie Stefan Sagmeister sichtbar zu machen. Ironisch übte Hoffmann Selbstkritik, indem er bemerkte, für Le Corbusier, den er 1907 für sein Atelier anwerben wollte, zu wenig radikal gewesen zu sein. Heute ist für die Kuratoren auch klar, dass Corbusier oder auch Philipp Johnson von der faschistischen Ideologie kontaminierter waren als Hoffmann.

Zukunftsträchtige Ideen auch für den Verkehr

Für den Ausstellungsbesuch müssen mehrere Stunden eingeplant werden, einige neue Rekonstruktionen, Archivfunde, Modelle bereichern das Wissen, Zeichnungen für die Firma Lobmeyr 1945 beweisen, dass Hoffmann sogar während des Bombenkriegs in Wien weiter Varianten seiner Gläser und Dosen entwarf und auch die Wiener Mode bereicherte. Trotz seiner Bedeutung für das ihm immer gleichwertige Kunstgewerbe hätte vielleicht eine kleine Reduktion der Objekte nicht geschadet, aber in der Fülle werden natürlich auch Strategien sichtbar. 1945 machte Hoffmann als ein im Sinne des Gesamtkunstwerks weiterdenkender Stadtplaner in der "Wiener Zeitung" den innovativen Vorschlag, die Innenstadt als verkehrsberuhigte Zone neu zu gestalten: zukunftsträchtig wie auch seine Gärten und seine Ausstellungsgestaltungen mit Pflanzen.