Ursprünglich hätte die Eröffnung der Ausstellung "Type One" ja am 3. Dezember stattfinden sollen. Das war aber blöderweise mitten im vierten Lockdown. Was hat man also getan? Es trotzdem durchgezogen. Bei geschlossener Tür halt. (Kann man dann überhaupt sagen, die Ausstellung wurde "eröffnet"?) Und jetzt kommen auch noch die Weihnachtsferien.
Zum Glück besitzt die Galerie Crone freilich ein äußerst nützliches bauliches Detail (und man kann nicht oft genug betonen, wie nützlich das in Zeiten von Corona ist), und eigentlich hat sie gleich mehrere davon: Fenster. Groooße Fenster. Seeeehr große Fenster. Die wiederum haben die vorteilhafte Eigenschaft, dass sie . . . durchsichtig sind.
Schlank wie ein Frankfurter Würstel
Zugegeben, man kann nicht alle Skulpturen vom Tobias Hoffknecht von draußen erspähen. Obwohl das Licht drinnen wacker brennt. Die sechste versteckt sich immerhin wie das siebente Geißlein – im Uhrkasten? So ähnlich. Im Hinterzimmer. Der Kunstvermittler und Kurator Wilko Austermann entdeckt sie dort jedenfalls während seiner Guided Tour (das Video davon findet sich auf der Homepage: https://www.galeriecrone.com/wien). Und ich kann bestätigen, dass sie noch nicht vom bösen Wolf gefressen (oder von einem Sammler abtransportiert) worden ist.

Man beachte die schönen großen Fenster. Die Ausstellung von Tobias Hoffknecht ist quasi lockdownfit.
- © Matthias Bildstein, Courtesy: Galerie Crone WienEs geht hier zwar nicht um die Wurscht, dennoch sind die bunt lackierten Stahlplastiken so schlank wie eine Frankfurter. Und Zwei-Ender sind sie ebenfalls. (Sofern sie nicht ausnahmsweise UNendlich sind. Eine in sich geschlossene Schleife, die nirgends aufhört, sondern überall von vorne beginnt. Bzw. ist man immer mittendrin.) Würstel: Diese Dinger ohne Anfang, doch dafür mit zwei Enden. Beim Hoffknecht (1987 in Bochum geboren, mittlerweile werkt er in Düsseldorf) sind die Enden sogar besonders lang.

Vorne: ein oranger rechter Winkel mit Umleitung? Die Höhlenmalerei ("Cave Painting") von Tobias Hoffknecht wirkt auf jeden Fall sehr modern.
- © Matthias Bildstein, Courtesy: Galerie Crone WienDünne Skulpturen aus dicken Linien quasi, die sich mit schwungvoller Grazie und Eleganz in den Raum hineinbiegen, die dritte Dimension erkunden, geschmeidig die Richtung ändern. Und dabei überzeugend einfache Antworten auf die Frage nach der Stabilität geben. Okay, die stabilste Lage wäre, sich kurzerhand flach ausgestreckt hinzulegen. Wie ein Würschtl auf dem Teller. (Ist das nicht ein bissl verbogen? Zu einem sanften Lächeln?) Und bei seiner ersten Schau an diesem Ort hat der Deutsche tatsächlich eine hochglanzpolierte Sieben-Meter-Stange, sein Opus Longum (langes Werk), liegend die Galerie durchmessen lassen.
Der Minimalismus will spielen
Diesmal ist der Stahl nimmer nackert (oder nur mit spiegelndem Glanz bekleidet) und steif. Poppige Farben neutralisieren seine metallene Coolness (könnte wirklich fast jedes Material darunter sein, Kunststoff zum Beispiel) und kurven mit ihm herum, heben mit ihm ab in die Unbeschwertheit. Machen ihn menschenfreundlicher. Dieser fröhliche, verspielte Minimalismus (Minimal Pop-Art?) tut aber bloß so leicht. In Wahrheit ist er "natürlich irre schwer" (Andreas Huber von der Galerie). Zu viert haben sie jedes Exponat aus dem Sattelschlepper ausgeladen.

Schauen glücklich miteinander aus (wie frisch verliebt): die zwei Enden von Tobias Hoffknechts "Fete champetre" (links).
- © Matthias Bildstein, Courtesy: Galerie Crone WienDer Flirt mit dem Design (die einzelnen Stücke sind übrigens jeweils einer analogen und im Anschluss digital gerenderten Zeichnung entstiegen) mündet nichtsdestoweniger nicht in angewandter Kunst. Die selbstgenügsamen Objekte sind folglich für nix zu gebrauchen. Außer zum Hinstellen. Da machen sie allerdings eine verdammt gute Figur. Und sie bereiten einem Freude. Wobei die lustigen Titel ihre Persönlichkeit kongenial unterstreichen, bekräftigen, dass die Gebilde nämlich so etwas wie eine Persönlichkeit haben, jedes ein Individuum ist, seinen eigenen eigenwilligen Charakter hat (und sie zeugen vom Humor des Rosemarie-Trockel-Schülers).

Auch Tobias Hoffknechts "Unconsciousness" (2021, Stahl, lackiert) hat zwei Enden: ein kurzes rotes und ein seeehr laaaaaanges weißes.
- © Matthias Bildstein, Courtesy: Galerie Crone Wien"Fete champetre" (Dorffest): Die sinnlich mintgrünen Enden einer selbstverliebten "Wurst" kommen sich turtelnd näher. Offenbar zwei Happy Ends. Seine "Wurst" mit einem blauen und einem weißen Ende, die sich dazwischen zweimal aufbäumt, dass man durchgehen könnte wie durch ein Tor zur Erleuchtung, outet der Künstler als "Fait accompli", als vollendete Tatsache. Und die komplett orange, die förmlich aufzeigt (ein rechter Winkel mit Umfahrung gewissermaßen), identifiziert er als Höhlenmalerei ("Cave Painting").
Der Pessimismus war auch schon einmal optimistischer

Endlosschleife mit urlangem Titel (der allerdings ein Ende HAT): www.youtube.com/watch?v=rE-wNvvDQIo (2021) von Tobias Hoffknecht.
- © Matthias Bildstein, Courtesy: Galerie Crone WienDen Titel des "siebenten Geißleins", der imposanten blaugrünen Endlosschleife im hinteren Kammerl, kann sich dagegen kein Schwein merken (www.youtube.com/watch?v=rE-wNvvDQIo). Die Adresse von einem Youtube-Video. In dem singt Gisela May Bertolt Brechts "Lied von der Moldau". ("Am Grunde der Moldau wandern die Steine. / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. / Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. / Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag . . .") Soll das Hoffnung machen, dass es irgendwann besser wird ("Es wechseln die Zeiten . . ."), weil alles ein Ende hat (selbst eine Pandemie) und lediglich die Wurst zwei? Andererseits: Besagtes blaugrünes Opus hat kein Ende.
Die Ausstellung hat aber durchaus eins. Eins, wohlgemerkt. Weil sie nicht wurscht ist. "Pessimismus ist Optimismus auf lange Sicht", zitiert der Andreas Huber den Georg Kreisler (1922 – 2011), den gebürtigen Wiener mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, der in seinen bösen Liedern Tauben vergiftet und Wien von den Wienern befreit hat ("Wie schön wäre Wien ohne Wiener!"). Heißt das: Noch ist man optimistisch, dass die Finissage am 22. Jänner wie geplant stattfinden wird? Auf lange Sicht bestimmt.