Die DDR war ein Land, das nur kurz lebte, dafür um so auffälliger. Nur wenige Menschen aus dem Westen haben die DDR je besucht, weil es noch einen Tick schwerer war einzureisen als in andere Länder des Warschauer Pakts. In Berlin jedoch gab es für alle, die wollten, einige Grenzübergangsstellen. Nach einem Zwangsumtausch von 25 Ostmark - Eintrittsgeld, als würde man einen Zirkus besuchen - konnte man nach Ost-Berlin "rübermachen" und nachsehen, wie der Alltag der Menschen dort aussah - trist natürlich, wie erwartet.
Die 25 Ostmark konnte man beim besten Willen nicht ausgeben, und so wurden eben deutsche Klassiker und andere Staubfänger-Bücher im Geschäft des Aufbau-Verlags gekauft und heimgeschleppt. Mit ein paar illegal gewechselten Ostmark mehr wäre auch die formschöne, handliche und mega-praktische Erika-Schreibmaschine zu haben gewesen, eines der wenigen Produkte der DDR, das nicht wie von Auszubildenden selbst gebastelt aussah. Doch für die Erika gab es ein Ausfuhrverbot. Sie war nicht für den Westen bestimmt und wurde von der forschen Verkäuferin im Kaufhaus am Alex auch nicht ausgehändigt. Egal, mit welchen Scheinen man wedelte, die Erika blieb hinter der Mauer.
Hassbegriff Designer
Hinter der Mauer blieb auch Karl Clauss Dietel, der Gestalter der Erika. Dietel, der am 2. Jänner 2022 im Alter von 87 Jahren gestorben ist, hat nicht nur die Erika, quasi die Volksschreibmaschine, gestaltet, sondern auch rund zehn bis zwölf andere Geräte, die die DDR maximal verkörperten. Das kann man tatsächlich so sagen, denn Dietels Dinge sahen sehr speziell aus und es gab sie vor allem nur in der DDR. Etwa das Moped SR 4-2, der "Star" der Simson Motorenwerke und Traum aller Halbwüchsigen zwischen Rostock und Dresden. Oder das Motorrad MZ ES 250, die Straßenmaschine für rasante Männer und ebensolche Frauen, von denen es in DDR mehr gab als im Westen.
Wenn man Dietel ärgern wollte, dann genügte es, ihn einen Designer zu nennen. Dietel hasste den Begriff und Leute, die diesen Begriff spazieren führten. Er selbst sah sich als Gestalter, in den Fußstapfen der Bauhaus-Leute aus Dessau, die sich auch nie als Designer begriffen, sondern als Konstrukteure von Alltagsgegenständen, bei welchen die Form der Funktion folgt - nun gut, nicht immer.
Dieses Minderschätzen des Begriffs Designer, das ihn zeitlebens prägte, nährte sich wohl auch aus seiner einfachen Herkunft und aus seinem speziellen Berufsweg. Denn Dietel hatte in den ersten Jahren nach Gründung der DDR Maschinenschlosser gelernt und danach Kraftfahrzeugsbau in Zwickau studiert - ein Studium, das sein Leben prägte.
Spät erst schrieb er sich an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Ost-Berlin ein. Nach dem absolvierten Studium ging Dietel gleich zurück nach Zwickau, mit Eisenach die Autostadt der DDR. In seiner Hand seine Diplomarbeit, in welcher er Klartext schrieb: Die Autos, die in der DDR gebaut wurden, haben das Prädikat "gestaltet" nicht verdient. Damit hatte er recht. Nur sahen das nicht alle so.
Doch zuerst ließ ihn der sozialistische Staat ein Auto entwerfen, das dann vor allem von Funktionären und Stasi-Beamten gelenkt wurde: Den Wartburg 353, ein Wagen, der für die damalige Zeit in Sachen Aerodynamik und Fahrkomfort durchaus mit Westmodellen mithalten konnte. Für die Arbeiter und Bauern im Arbeiter-und Bauern-Staat DDR war der 353 freilich zu teuer. So zahlten diese halt ihren Trabi an. Und warteten zehn Jahre, bis dieser fertig war. Der Trabi wurde auch Dietels Schicksal, sein erster Bruch mit Land und System, dem er trotz der nun folgenden Demütigungen loyal verpflichtet blieb.
Kein Platz für schöne Autos
Dietel erhielt den Auftrag, Nachfolgemodelle für den Trabant zu entwerfen. Vier dieser Modelle baute er fertig, schob sie in den Windkanal und hielt streng geheim, was er da unter Planen stehen hatte. In einem Interview aus den späten 1990er-Jahren, als man im Westen auf Dietel aufmerksam wurde, beklagte er, dass all diese Autos nie in Serienfertigung gingen. Teilweise wurden sie als zu dekadent gestaltet abgekanzelt, teilweise, später dann, wurde nach der Präsentation gleich gar nicht in Betracht gezogen, sie je aus Fabriken rollen zu lassen. Die Parteielite fuhr ihre Volvos, das Volk sollte mit dem Einfachsten und dem Hässlichsten zufrieden sein, mit dem Plastikkübel Trabant. Für schöne Autos, das war das Signal an Dietel, war in der DDR kein Platz.
So wurde er eben Hochschullehrer. Und später auch Hochschuldirektor, die Versicherung für Kreative, ein sicheres Einkommen zu haben. Er wurde Funktionär in gleich mehreren Bereichen, was im Funktionärsstaat DDR quasi die Belohnung für partei- und sozialismuskonformes Verhalten war. Doch was mit den abgelehnten Trabant-Nachfolgern begonnen hatte, war mit dem Ausstieg Dietels aus den Entwürfen für neue DDR-Kfz nicht vorbei. Immer wieder krachten er oder seine Schüler mit dem Amt für industrielle Formgestaltung zusammen, dessen Aufgabe es auch war, allzu schöne Gestaltung zu verhindern, selbst wenn diese Nutzen brachte.
Es waren auch diese Menschen, die das Projekt DDR mit ihrem spaßbefreiten Denken mit an die Wand fuhren. Auch der Sozialist Dietel litt an dieser Auslegung des Sozialismus, und hatte ausgelitten, als er den Parteischranzen im Juni 1981 seine Vizepräsidentschaft im Verband der bildenden Künstler Deutschlands vor die Füße schmiss. Es war sein erstes Aufbegehren gegen das System. Und auch sein letztes.
Als die Wende kam, war er in jenem Alter, in dem man an die Rente denkt. Und es wurde still um ihn. Der Staat, der ihn nährte und die Aufträge erteilte, der war nicht mehr. Doch Jahr für Jahr wuchs das Interesse ehemaliger Bürger der DDR an jenen Dingen, die ihre Leben begleitet hatten.
Verlustschmerz
An Geräten von Marken wie Diamant, Simson, Wartburg, Robur oder Heliradio, wo Dietel gestalterisch tätig war. Es ist eine sehr spezielle Beziehung dieser Leute zu Dietels Dingen, die mit einem Verlustschmerz einhergeht, der lange von den Westdeutschen verdrängt wurde: Nicht die DDR als Staat und System wird vermisst, sondern das seltene, positiv Besetzte, das die DDR im Alltag positionieren konnte - Produkte der DDR. Es ist keine Ostalgie, eher das Aufklappen eines zu schnell zugeschlagenen Buches.
Als Dietel im September vom ehemaligen Klassenfeind den Bundesdesignerpreis für sein Lebenswerk erhielt, da kam von westdeutschen Produktdesignern schon mal der Einwurf, dass Dietels Dinge sich im Westen nie verkauft hätten, vor allem die Motorroller nicht. Weil sie eben nicht durchdesignt sind. Das sagen Leute, die nichts verstanden haben.