Der Raum – nein, nicht der mit den unendlichen Weiten, sondern der mit den vier Wänden. Dem gilt sein Interesse. Oder den Räum-en. Plural. Innenräumen. (Und der Weltraum ist bekanntlich ein Außenraum. Bekanntlich, wohlgemerkt. Was nicht bedeutet, er könnte nicht genauso irgendwann an seine Grenzen stoßen. An seine Außenwände. Und sich als Innenraum entpuppen.)

Und trotzdem ist der Bernd Oppl kein Architekt oder Baumeister. Obwohl er die Räume baut. Mit allem Drum (also mitsamt den Wänden) und Dran bzw. Drin (der Möblierung). Und nicht, dass seine Interieurs nicht auch oft schwarz wären und von geheimnisvollen Stimmungslichtern beleuchtet würden wie der Nachthimmel. 

Die Leere steht ihnen gut

Okay, der 3D-Drucker assistiert ihm bei der Realisierung und Materialisierung seiner architektonischen Visionen, die er am Computer hat, druckt seine digital modellierten Entwürfe analog aus. Etwaige Betonteile gießt er freilich eigenhändig, der gebürtige Tiroler (1980 in Innsbruck geboren), der nach dem Besuch einer HTL für Bildhauerei ein Malerei-und-Grafik-Studium an der Kunstuni Linz absolviert hat, bevor er sich schließlich in Wien, wo er mittlerweile wohnt, lebt und arbeitet, an der Akademie der bildenden Künste dem Bereich Video und Videoinstallation zugewandt hat.

Der Letzte hat offenbar vergessen, das Licht auszumachen: "Screening Room" aus der Serie "Black Rooms" von Bernd Oppl. (Archivinkjetprint auf Dibond, 2017.) 
- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Der Letzte hat offenbar vergessen, das Licht auszumachen: "Screening Room" aus der Serie "Black Rooms" von Bernd Oppl. (Archivinkjetprint auf Dibond, 2017.)

- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Im Showroom (ebenfalls ein Raum) der Galerie Krinzinger stellt er nun seine faszinierenden, intimen, mit diverser Elektronik ausgestatteten Guckkastenbühnen aus, in denen Raum und künstliches Licht ihren beschaulichen oder dramatischen Auftritt haben, und seine Bilder (einzelne, sprich Fotos, und bewegte, sprich Filme), die er in den letzten paar Jahren von seinen Raummodellen, die zugleich Modellräume sind, angefertigt hat. Stets mit dem sturen frontalen Blick auf die "Räume, die wir uns schaffen oder in die wir geworfen werden" (Oppl).

Na ja, oder für die wir Miete oder Eintritt zahlen oder einen Mitgliedsbeitrag, um dort trainieren zu dürfen. Jedenfalls sind die Räume seine Bühnen- und Filmstars. Seine Hauptdarsteller. Und Fotomodels. Die eher düsteren "Black Rooms" der gleichnamigen Fotoserie verströmen mit ihren verwaisten Laufbändern und Computerarbeitsplätzen eine regelrechte Lockdownatmosphäre (wenngleich die Aufnahmen vor Corona gemacht worden sind). Die Einsamkeit der Räume nach der Sperrstunde. (Oder nach der Apokalypse?) Im "Screening Room" (eines Museums?) sitzt sie, die Einsamkeit, auf einem Bankerl und stiert gebannt in diese hypnotisierende, querrechteckige Helligkeit, zu der sich der potenzielle Film abstrahiert hat. 

Ein schwarzes Loch hat das Kino verschluckt

Und in einem komplett schwarzen Kastl ist etwas im "Sleep Mode", stochert der Blick aber zunächst blind herum, bis sich die Augen an die schlechten Sichtverhältnisse, an die spärliche Beleuchtung, adaptiert haben und sich vor ihnen ein provisorisches Schlafzimmer aus der Dunkelheit herausschält. Eine Matratze ohne Bett, darauf ein aufgeklappter Laptop, vom Plafond baumelt ein "Russenluster" (eine nackerte Glühbirne), es gibt eine Tür, und überm Heizkörper pulsiert das Licht von draußen, scheint beim Fenster hereinzuatmen im entspannten Rhythmus des Schlafmodus, der Nachtruhe.

"You could not even take a picture (Invisible Cinema, 2021)": Das MODELL, das Bernd Oppl vom "Unsichtbaren Kino" gebaut hat, kann man aber sichtlich sehr wohl fotografieren. Sonst gäbe es schließlich diese Aufnahme nicht. 
- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

"You could not even take a picture (Invisible Cinema, 2021)": Das MODELL, das Bernd Oppl vom "Unsichtbaren Kino" gebaut hat, kann man aber sichtlich sehr wohl fotografieren. Sonst gäbe es schließlich diese Aufnahme nicht.

- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Eine andre Black Box enthält das absolute Schwarz, die totale Finsternis. Vermeintlich. Denn insgeheim ist da das "Invisible Cinema" drin. Sobald man sich diesem "schwarzen Loch" nähert und hineinglotzt, fängt der Jonas Mekas (der aus Litauen gebürtige und 2019 verstorbene "Pate des amerikanischen Avantgardekinos") plötzlich zu erklären an, was die Idee hinter diesem "Unsichtbaren Kino" ist, das in den frühen 1970er Jahren nach einem Konzept von Peter Kubelka in Downtown Manhattan errichtet und betrieben wurde, und enthüllt respektive erhellt mit seiner Stimme einen völlig geschwärzten Kinosaal (schwarze Wände, Decke, Stühle). Immer nur ein kurzes Aufflackern, weil das Licht zwischen den Wörtern und Silben dauernd wieder ausgeht, von den Sprechpausen zerhackt, von der Stille geschnetzelt wird. (He, ist das Kino nicht ein Lichtspieltheater?)

Oppl: "Durch sein Erzählen wird der Raum, der nicht mehr existiert, sichtbar." Die Erinnerung exhumiert ihn flimmernd aus der im Dunkeln liegenden Vergangenheit und dem Vergessen. Oder eigentlich existiert er eh noch ein bissl, der legendäre schwarze Saal, in dem nichts vom Geschehen auf der Leinwand ablenken sollte, kein fremder Kopf, kein Lamperl, und wo die einzige Lichtquelle der Projektor war, der Film selbst. In Wien wurde er nämlich nachempfunden. Fürs Österreichische Filmmuseum. Und beim Oppl wird der Zuschauerraum jetzt zur Bühne, und der Betrachter genießt die soundgesteuerte Lichtshow aus der ungewohnten Perspektive der Leinwand. Ich hab mich von den leeren Reihen ziemlich beobachtet gefühlt. Angestarrt. 

"Zeit ist das, was passiert, wenn sonst nichts passiert"

Neue technologische Entwicklungen bringen neue Räume hervor, die früher oder später mit besagten Technologien veralten. Auf diese "Medienruinen" (Oppl) steht der Künstler besonders. Eine solche ist die "Black Maria" (offizielle Bezeichnung: "Kinetographic Theater"), das allererste Filmstudio. Als die Filme noch stumm waren. Erbaut 1892 auf dem Gelände der Thomas-Alva-Edison-Laboratorien und laut Oppl "mehr eine Maschine als ein Raum". Eine innen schwarz ausgekleidete Holzhütte mit aufklappbarem Dach und selber auf einer Art Drehbühne, einer beweglichen Plattform, montiert.

Bernd Oppl hat einen 16-Millimeter-Film über die Black Maria gedreht. Keine Frau, auch kein Schiff, sondern das allererste Filmstudio der Welt. ("Hidden Rooms", 2021.) 
- © WEST. Fotostudio, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Bernd Oppl hat einen 16-Millimeter-Film über die Black Maria gedreht. Keine Frau, auch kein Schiff, sondern das allererste Filmstudio der Welt. ("Hidden Rooms", 2021.)

- © WEST. Fotostudio, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Normalerweise halten sich Studios ja diskret im Hintergrund, optisch aus den Filmen raus. Sind "Hidden Rooms", spielen Verstecken. "Was man in den Filmen nicht sieht, aus dem wollt i an Film machen", sagt der Bernd Oppl und hat genau das getan. Hat das Skelett dieser verborgenen, inzwischen abgerissenen Architektur im Kleinen zusammengezimmert und einen 16-Millimeter-Film gedreht. Wobei sich vielmehr das Motiv dreht. Weiße Konstruktionslinien tanzen zum Rattern des altertümlichen Filmprojektors, versuchen den ursprünglichen Raum einzukreisen, ihn zu fassen, rotieren verwirrend.

Nicht weniger irritieren die übrigen Filme über Zwischen- und Nichträume, die zu surrealen Albräumen (ohne t) werden. Zu albtraumhaften Orten (mit t – der Albtraum und die Orte). Die Modelle wirken dabei so authentisch, dass man ehrlich perplex ist, wenn in der Wartehalle eines Flughafens, wo sich die Passagiere in der Regel die Zeit bis zum Boarding vorwiegend mit Langeweile vertreiben, auf einmal eine dunkle Wolke wie ein Unheil aufzieht und dräuend durch die Menschenleere geistert. Ein filmisches Aquarell gewissermaßen ("We have more than beds to dream in"), immerhin hat der Filmer seine Hauptdarstellerin (die Halle) vorher in einem Aquarium ertränkt (in destilliertem Wasser, klar wie die reinste Luft) und nachher Tusche reintropfen lassen, die daraufhin wie die Zeit zerflossen ist.

Man baue ein Modell (oder lasse es vom 3D-Drucker ausdrucken), versenke es im Aquarium und lasse Tinte ins Wasser tropfen. Surreales "Aquarell" von Bernd Oppl. ("Helix", 2016, Druck auf Barytpapier.) 
- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Man baue ein Modell (oder lasse es vom 3D-Drucker ausdrucken), versenke es im Aquarium und lasse Tinte ins Wasser tropfen. Surreales "Aquarell" von Bernd Oppl. ("Helix", 2016, Druck auf Barytpapier.)

- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Und wie schon ein gewisser Richard Flynman behauptet hat (obgleich ich ja glaube, dass das ein Druckfehler ist und der Spruch in dieser Zitatensammlung in Wahrheit vom Physiknobelpreisträger Richard Feynman stammt): "Zeit ist das, was passiert, wenn sonst nichts passiert." (Ist das nicht die Definition der Fadesse?) Das, was passiert, wenn sonst nichts passiert, geschieht hier zumindest auf höchst ästhetische Weise. Reizvoll verschmelzen Raum und Zeit. Manche glauben hingegen, Zeit wäre das, was aus einem Gerstenkorn eine Maß Bier macht. Wurscht. Gerstenkorn hat der Oppl sowieso keines in sein Aquarium geworfen. (Und ich bezweifle, dass daraus dereinst ein Bier geworden wäre.) 

Der Staub hat Zeit (und nimmt sie sich)

Staub: auch ein berüchtigter Zeitzeuge, einer, der davon berichten kann, wie die Zeit verstreicht. Der passiert selber, wenn sonst nix passiert. Andere gehen zum Lachen in den Keller, der Oppl zum – Staubsaugen? Im Gegenteil. Er bläst den Staub weg. Konkret den, den er in seinem Atelier, seinem Studio, das entsprechend "unsichtbar" ist, zusammengekehrt hat, um ihn in einem Kellermodell anzuhäufen und aberwitzig mittels alter Computerventilatoren zu verwirbeln ("days of dust"). Humor hat er also ebenso. Gut, offenbar einen staubtrockenen.

Nicht sehr zugänglich: das virtuelle Labyrinth im Spiegel. ("Impasse" von Bernd Oppl, 2020.) Der Bildschirm versteckt sich derweil im Beton, zieht sich in sein Schneckenhaus zurück. 
- © WEST. Fotostudio, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Nicht sehr zugänglich: das virtuelle Labyrinth im Spiegel. ("Impasse" von Bernd Oppl, 2020.) Der Bildschirm versteckt sich derweil im Beton, zieht sich in sein Schneckenhaus zurück.

- © WEST. Fotostudio, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Spannend macht er es überhaupt gern, zeigt nicht gleich alles her, macht uns mit seinen verlockenden Öffnungen zu Voyeuren. "Impasse" (Sackgasse): Da muss sich der Blick in einen Spalt hineinzwängen, über eine Betonkante spechteln, und wandert dann durch ein virtuelles Labyrinth, wo hinter jeder Ecke bereits die nächste Ecke lauert, verirrt sich freilich nicht in diesem selbst, sondern in dessen Spiegelbild, in einem wiederum virtuellen Abbild der Virtual Reality, die sich symbiotisch mit der physischen Wirklichkeit verbindet. (Der Monitor, der den Gang durch die primitiven labyrinthischen Gänge aus der Ego-Shooter-Perspektive abspielt, hat sich vis-à-vis von einem Spiegel in sein klobiges Gehäuse aus rohem Beton wie in ein Schneckenhaus zurückgezogen. Ist publikumsscheu.) 

Weiß ist eine urknallige Farbe

In der "Falltrommel" (2020, von Bernd Oppl) geht's tief runter. Nämlich bis zum Boden. Und auf dem zerbricht Glas in einer schier ewigen filmischen Schleife. 
- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

In der "Falltrommel" (2020, von Bernd Oppl) geht's tief runter. Nämlich bis zum Boden. Und auf dem zerbricht Glas in einer schier ewigen filmischen Schleife.

- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Und der hüfthohe Betonsockel? Trägt keine Skulptur. Er ist die Skulptur. Eine Videoskulptur. Ist innen hohl. Auf dem Grund zerbricht Glas recht sinnlich und schmissig. Der Blick fällt durch diesen Schacht, der den Querschnitt eines Smartphones hat, so tief wie ein Handy in einer Falltrommel, in einer Vorrichtung für Härtetests, und trifft verzückt auf die attraktiven Scherben.

Weniger tief im Beton versenkt hat der Künstler das weiße Rauschen, dieses pixelige Licht, diesen Gruß aus dem analogen Zeitalter, als man sich im Fernsehen, wenn man keinen Sender reingekriegt hat, noch den Urknall anschauen hat können, die Geburt von Raum und Zeit. "Das ist irgendwie was Romantisches", meint der Oppl und outet sich somit als – Romantiker. Auf jeden Fall soll für das typische "Schneegestöber", das aus dem – zunehmend digitalisierten – Alltag längst weitgehend verschwunden ist, die kosmische Hintergrundstrahlung, die angeblich unmittelbar nach dem Big Bang entstanden ist, mitverantwortlich sein.

Während man im "Invisible Cinema" störungsfrei einen Film ansehen konnte, ist Oppls "einbetonierter" Film die Störung. Nein, umgekehrt: Die Störung ist der Film. Dabei ist das weiße Rauschen, das da aus einem plumpen Betonquader hervorlugt, eine Fälschung. Eine perfekt gemachte zwar, nichtsdestotrotz erzeugt ein Zufallsgenerator die Pixel auf dem Handydisplay. Ein analoges Phänomen, von einem Prozessor gefakt. Mit dem Ursprung des Universums ist hier folglich nichts verbunden. 

Wenn der Fotoapparat eine Skulptur ausspuckt

Und was hat es mit dieser mystisch von unten beleuchteten weißen Pyramide auf sich? Das handliche Modell eines Tempels? Des Tempels der Krieger des Lichts? Aha, da ist anscheinend jemand ein Fan von Paulo Coelho. I wo. Ein Fan von betagten Fotoapparaten. Den Lichtschacht von einem hat Oppl kurzerhand mit Kunstharz ausgegossen, als Gussform "missbraucht". Und damit die Frage nach dem Raum, der nötig ist, um Bilder herzustellen, handfest beantwortet. Und dafür hat er die Kamera ausnahmsweise nicht verwendet, um Bilder zu machen, sondern um eine Skulptur zu fabrizieren. Originell. (Danach war der Lichtschacht allerdings kaputt.)

Ein Tempel für die Krieger des Lichts? Nein, Bernd Oppl hat den Lichtschacht einer alten Kodak-Kamera in Kunstharz gegossen: "Helle Kammern (2)", 2019. 
- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Ein Tempel für die Krieger des Lichts? Nein, Bernd Oppl hat den Lichtschacht einer alten Kodak-Kamera in Kunstharz gegossen: "Helle Kammern (2)", 2019.

- © Anna Lott Donadel, Courtesy: Galerie Krinzinger und Bernd Oppl

Bernd Oppl zerrt den Hinter- in den Vordergrund, in die erste Reihe fußfrei (nicht von ungefähr heißt die stimmige und stimmungsvolle Schau "Background"), verbindet das Alte geschickt mit den neuen (oder gar nimmer sooo neuen) Medien, macht das Unsichtbare sichtbar, indem er gekonnt das Licht einschaltet. Und vor allem gibt er der Leere und Stille Raum.