Gut, besonders alltagstauglich ist er nicht, der Body mit den aus dem Dekolleté hochragenden Rückspiegeln. Dafür ist das Kleidungsstück, das eine Frau zur heißen Maschin macht, ironisch getragen von Model Emma Sjöberg im Laufsteg-Video zu George Michaels Song "Too Funky" 1992, umso ikonischer.
Es ist keineswegs der einzige Entwurf Thierry Muglers, der in die Popkulturgeschichte eingegangen ist. Auch das schwarze Kleid mit dem raffinierten Cut-Out-Ausschnitt, das Demi Moore im 90er-Aufregerfilm "Ein unmoralisches Angebot" trug, ist aus Muglers Werkstatt. Schon Mitte der 70er faszinierte seine Silhouette – Wespentaille, stark akzentuierte Schultern – Künstler wie David Bowie oder Grace Jones.
Die exzentrischsten Drag Queens der New Yorker Szene der 80er liebten seine Modelle. Und gerade in den vergangenen zehn Jahren entdeckten Musikerinnen den exaltierten Stil Muglers wieder: Beyoncé kleidete sich im spielfilmartigen Video zu "Telephone" in seinen Kreationen, Rapperin Cardi B war mit Mugler befreundet und konnte daher auf seine Einkleidung zähen, Lady Gaga schlüpfte in Vintage-Couture, Kim Kardashian ließ sich ein hautfarbenes Nichts von ihm für die Met Gala 2019 auf die Kurven schneidern.
Da hatte sich Mugler eigentlich bereits seit 17 Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen. Am Sonntag ist der Modeschöpfer mit 73 Jahren gestorben.
Linzer Eltern
Zwei Verbindungen hatte der in Straßburg geborene Mugler nach Österreich: Seine Familie stammt ursprünglich aus Linz und er war der Designer, dessen fulminante Modeschau 1993 den ersten Life Ball in Wien eröffnete – und so den Grundstein legte für diese besondere Tradition.
Mugler hat vieles professionell gelernt – er hatte unter anderem eine klassische Ballettausbildung –, nur das Schneidern nicht, da war er Autodidakt. Vom Tanz und den unendlichen Möglichkeiten des menschlichen Körpers nahm er ebenso Inspiration für seine Designs mit wie vom Münster in seiner Kindheitsheimat Straßburg: "Das Münster hat mich gerettet. Ich war so gelangweilt in der Schule und hörte auf, hinzugehen. Ich habe meine Tage in der Kathedrale verbracht, mit all den Statuen, den Heiligen, Engeln und Madonnen. Das war so eine andere Welt. Morgens war die leere Kathedrale unfassbar schön. Sonnenstrahlen fielen durch die Buntglasfenster. Es war magisch."
Besonders charakteristisch für seine Mode war die extreme Taille, hergestellt durch das klassische Korsett. Bei ihm sah man es freilich aus Vinyl, Plexiglas, Latex, Harz, PVC, Plüsch oder Chrom. Diese Weiterentwicklung einer Modekonvention war aber auch schon das Einzige, bei dem Tradition eine Rolle für Mugler spielte.
Wie aus "Metropolis"
Er fiel aus den Reihen der Chanels, Diors, etc. heraus, weil seine Entwürfe überaus eigenständig waren und sich nicht auf das Mode-Universum rückbezogen. Die futuristische Erotik, die feminine Aggressivität waren mehr von Autos, Comic-Helden und – vor allem bei den rüstungsähnlichen Formen – von Fritz Langs "Metropolis" beeinflusst. Dazu passte, dass er seine Modeschauen als große Inszenierungen verstand.
1992 war es auch der durchschnittlichen Douglas-Kundin möglich, ein Stück Mugler ins Haus zu tragen: Da brachte er das Parfüm "Angel", einen schweren, zuckerwattigen Duft im Sternflakon, auf den Markt.
2002 zog sich Mugler zurück: "Ich habe mit der Mode aufgehört, als sie keine künstlerische Kommunikation mehr war. Mode wurde ausschließlich zum Geschäft. Natürlich ist sie das immer auch gewesen, aber der künstlerische Aspekt war wichtig genug, um mich zu motivieren. Als das Marketing das Regiment übernahm, hatte ich genug."
Er widmete sich fortan etwa auch seiner eigenen Metamorphose: vom schmalen Mann, dem man noch die Ballettschule abnimmt, verwandelte er sich durch Ernährungsumstellung, Chirurgie, Meditation und Bodybuilding in einen 110 Kilogramm schweren tätowierten Muskelkerl namens Manfred – was tatsächlich sein erster Name war. Auch wenn er offenbar optisch mit seiner Vergangenheit abschließen wollte, war er doch noch nicht fertig. Eigentlich wollte er in dieser Woche neue Projekte bekanntgeben.