Martin Sturm, 1957 in Gmunden geboren, leitete seit 1992 das OK (Offenes Kulturhaus) in Linz. Zu den bekanntesten Projekten des Hauses gehört der "Höhenrausch", der bis 2021 als großer Publikumserfolg Kunst im öffentlichen Raum zeigte. Nach 30 Jahren verlässt Sturm im April das Ausstellungshaus.
"Wiener Zeitung": Seit 1992 haben Sie das OK geleitet und hören mit April auf. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie Ihr Haus?
Martin Sturm: Ich verlasse es mit einem guten Gefühl, weil nach 30 Jahren Aufbauarbeit im Bereich der zeitgenössischen Kunst auch eine Zeitspanne abgeschlossen ist. Wir haben in den 90er Jahren mit Werkstätten für Künstlerinnen und Künstler begonnen, als die klassischen Museen auf zeitgenössische Kunstproduktion noch gar nicht eingestellt waren. Das hat sich mittlerweile viel getan.
Wir haben in diesen Jahrzehnten viel ausprobieren können, von raumbezogenen Arbeiten bis zu großen Arbeiten im öffentlichen Raum wie dem "Höhenrausch". Das ist ein großer Bogen. Ich beende also nicht etwas Unfertiges, sondern mehr als ein Vierteljahrhundert Kunstproduktion und habe ein gutes Gefühl.
An welche Meilensteine denken Sie in der Rückschau?
Der erste Meilenstein war es, das Privileg zu haben, in einem großen Haus wie dem OK, einer ehemaligen Schule, wirklich experimentell mit Künstlerinnen und Künstlern arbeiten zu können. Das war in den 90ern eine große Herausforderung. Der zweite Meilenstein war gegen Ende der 2000er Jahre die Perspektive mit "Linz09", die uns ganz andere Möglichkeiten eröffnet hat. Ein dritter Meilenstein war die Kooperation mit dem Moviemento und damit eine Verbindung der Kunstformen. Ich habe es beglückend gefunden, als Medienkunsthaus eine so enge Kooperation mit Cinematografischen zu haben.
Wie wurde das OK zu seiner Gründung 1992 aufgenommen?
Es war eine große Neugierde da, und auch ein großer Bedarf, weil es damals in der Galerienszene nicht diese Produktionsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler gab. Es war eine sehr offene Atmosphäre. Wir haben im Gegensatz zum WUK vermieden, den Künstlerinnen und Künstlern langfristig Ateliers zu geben, sondern immer nur projektbezogen - um die Dynamik und den Wechsel in den Mittelpunkt zu stellen.
Sie werden als Mensch beschrieben, der stets an Veränderung interessiert ist. Welche Ihrer Eigenschaften als Leiter haben das OK mitgeprägt?
Ich glaube, dass ich sehr wenig narzisstisch bin. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich mich selbst verwirklichen müsste, und mich immer als Lernender und als Partner der Künstlerinnen und Künstler gefühlt. Es ist vielleicht auch ein Vorteil, dass ich nicht aus der Bildenden Kunst komme und für alle Formen von Kooperation offen war. Wir haben uns stark nach Westeuropa orientiert, haben Bereiche geöffnet, die sonst in Österreich nicht so präsent waren.
Welche Aufgaben sehen Sie für ein Museum wie das OK heute?
Ich glaube, dass eine reine Fortsetzung unserer Arbeit der letzten 30 Jahren nicht sinnvoll ist. Man kann andere Formen von künstlerischen Experimenten fördern, das Digitale spielt eine große Rolle. Wir sind stark in den halböffentlichen Raum gegangen: Spätestens ab Anfang der der 2000er Jahre wollten viele Künstlerinnen und Künstler die klassischen Museumsräume verlassen, und da gab es bei uns Möglichkeiten mit den Dächern und Dachböden, neue Spielformate zu entwickeln.
Wie es jetzt weitergeht, da tue ich mir schwer. Man muss einen Cut machen und wird sehen, wie Herr Weidinger das bewerkstelligt.
Ihr Abgang ist von unterschiedlichen Brüchen begleitet: Das sehr erfolgreiche "Höhenrausch"-Projekt über den Dächern von Linz ging 2021 zu Ende, weil das Parkhaus, dessen Dachfläche bespielt wurde, verkauft wurde. Der "Höhenrausch" war die wesentliche Landmark, die vom Kulturhauptstadtjahr blieb: Gibt es Wehmut, dass es diese Ausstellung nicht mehr geben wird?
Auch wenn das Parkhaus nicht verkauft worden wäre, hätte man früher oder später den "Höhenrausch" überdenken müssen. Die Erschließung der horizontalen Stadtebene wird zunehmend kommerzialisiert, viele Initiativen entdecken die Dächer neu. Womit wir damals fast ein Pilotprojekt waren, ist in der Zwischenzeit eine Mode geworden. Die zehn Jahre "Höhenrausch" waren super, aber man muss neue Formate finden. Da sehe ich auch hier eine Zäsur. Das Riesenrad auf dem Dach von "Linz09" wollten damals viele auf dem Dach belassen. Es gibt das wunderbare Zitat von Musil, dass nichts so unsichtbar sei wie ein Denkmal. Wenn Kunstwerke zu erfolgreich sind, sollte man sie überdenken. Man muss immer weiterentwickeln und darf sich nicht mit Erfolg zufriedengeben. Das Riesenrad ist schließlich ins Gedächtnis gewandert und da auch besser aufgehoben.
Ein anderer Bruch ist die Pandemie, die auch die Kunsthäuser in den vergangenen zwei Jahren sehr gefordert hat. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ganz pragmatisch. Wir haben den "Höhenrausch" noch durchgeführt und hatten fast 100.000 Besucher. Diese hybriden Formate zwischen Innen und Außen bieten mehr Möglichkeiten in Pandemiezeiten als die klassischen Innenraumbespielungen. Das wurde zu einer Chance für den öffentlichen Raum. Auf der anderen Seite ist es kreativ zermürbend, wenn gearbeitet wird und nicht veröffentlicht werden kann. Kreative Energie braucht auch eine Performance, sonst droht die Gefahr des Energieverlustes. Digitale Formate können langfristig den realen Raum nicht ersetzen. Auch wenn ich nicht zynisch klingen will: Das Gute ist, dass die Pandemie eine Art Stolperfalle ist, in der man Dinge hinterfragen muss. Man ist gezwungen, das Fahrwasser zu verlassen und den Kahn einmal anzuhalten. Das kann auch ein guter Effekt sein.
Sie kennen die Stadt Linz sehr gut vor und nach "Linz09" - wie hat sich die Stadt 13 Jahre nach dem Kulturhauptstadtjahr verändert?
Wir haben konsequent viele Jahre lang versucht, mit anderen Blickwinkeln zu arbeiten. Das war ein sehr positiver Aspekt bei "Linz09", dass ein Schweizer Intendant mit seiner Perspektive auf die Stadt blickt und außerdem so viel Geld für Kulturprogramm zur Verfügung hat. Von diesen Blickwechseln ist wenig geblieben, man ist wieder in alte Struktur zurückgekehrt. Es war ein Ausritt, und alles geht wieder seinen gewohnten Gang. Im Kulturbereich würde man sich manche Volte, Risiko und Experimente wünschen. Das ist ein Bereich, der immer wieder neue Impulse braucht.
Sie geben nun Ihr Haus innerhalb der Landeskultur GmbH ab. Sie haben die Entstehung dieser GmbH selbst sehr betrieben - hätten Sie sich von dieser neuen Konstruktion mehr Möglichkeiten für Ihr Haus gewünscht oder bleibt da eine gewisse Bitterkeit, dass das OK in diesem Gefüge einen nicht so großen Stellenwert hat?
Man kann noch nicht sagen, welchen Stellenwert das OK haben wird. Es ist jetzt ein Spielort von mehreren, aber die experimentelle Form wird weitergeführt werden. Es wird vielleicht noch ein Jahr brauchen, um zu sehen, wohin die Reise geht. Die Kultur GmbH hat an anderen Häusern neue Positionierungen durchgeführt, beim OK ist man noch am Anfang.
Ich sehe das offen, und ich glaube eher, dass es eine Zäsur braucht und es sinnvoll ist, mit neuem Blick darauf zu schauen. Ich sehe das mit einer positiven Energie.