Irgendwas stimmt mit dieser Idylle für zwei Personen nicht. Dabei verströmen die beiden Liegestühle, die unmissverständlich zur entspannten Zweisamkeit einladen (zum Synchron-Faulenzen), durchaus Urlaubsfeeling. Und dann noch der Baum als klassisches Requisit eines Locus amoenus, eines lieblichen Orts.
Moment: Ein Baum, zwei Menschen – diese Konstellation kennt man doch von irgendwoher. Genau: aus der Genesis. Okay, dort ist der Baum nicht kahl. Aber wir haben halt grad Winter, oder? Da ist das völlig normal. Und nicht von ungefähr trägt die Installation den nicht unbedingt stimmungsaufhellenden Titel "Seasonal Depression".
Depressive Liegestühle
Der junge, aufstrebende Künstler, der diesmal seine Solo Show im Projektraum der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman bekommt (im tart.vienna), ist jedenfalls der Paul Spendier, 1997 in Ulrichsberg geboren. Ach, und seine sommerlichen Strandsessel sind in eine Winterdepression verfallen? So ähnlich.
Symptome dieser saisonal-affektiven Störung sind bekanntlich Antriebslosigkeit, starkes Schlafbedürfnis und Heißhunger auf Aktien, Tschuldigung: auf Süßes. Besagte Liegestühle haben sich allerdings wirklich die Aktienkurse einverleibt. Zumindest sind diese für ihr Design elementar. Denn die Seitenlehnen sind kein stilisiertes Gebirgspanorama und haben auch nichts mit den Corona-Zahlen zu tun oder mit der Sieben-Tage-Inzidenz, die folgen zackig dem Dow-Jones-Index. Freilich nicht durch die guten Zeiten, vielmehr durch die Krisenjahre 1987 bzw. 2020.

Zackig: Das Liegestuhlmodell "Downtime (2020)" von Paul Spendier erinnert sich deutlich an ein finanzielles Krisenjahr. (Für die Form der Seitenlehnen zeichnet der Dow-Jones-Index verantwortlich.)
- © Galerie Elisabeth & Klaus Thoman / Flavio Palasciano"Depression" bezeichnet schließlich nicht nur eine psychische Krankheit, das ist außerdem eine lang andauernde Rezession, eine "Niedergangsphase im Konjunkturverlauf". Und die Weltwirtschaftskrise, die mit dem Schwarzen Donnerstag am 24. Oktober 1929 begonnen hat, war gar die "Great Depression", die Große Depression. In der Küche der Hauptgalerie gleich nebenan steht noch ein weiterer Sessel herum, der wiederum an die Finanzkrise ab 2008 gemahnt. Bei dem ist die Depression besonders stark ausgeprägt, hat der Baumwollstoff nicht einmal mehr fröhliche blaue Streifen.
Ob gestreift oder uni, das Modell "Downtime" ist das ideale Möbel für den Kapitalisten, der müßig in der Sonne dösen will, während das Geld ja eh für ihn arbeitet und seine Gier die Welt bereits in die nächste depressive Verstimmung stürzt.
Ist der Baum der Erkenntnis der Bruder vom Billy-Regal?
Und was hat es mit dem nackerten Baum auf sich? Der ist echt. Kirsche. Ein Selbstbaubaum, der bloß noch eine einzige Jahreszeit kennt: den Winter. Weil er im Frühling nimmer blüht. Passenderweise sind seine Einzelteile in zwei Ikea-Sackerln herbeigeschleppt worden. Ikea: die schwedische Kunst des Bretterzusammenschraubens. Nicht zu verwechseln mit Ikebana, der japanischen Kunst des Blumenarrangierens. Obwohl der zerstückelte Kirschbaum zum "Selberaufbäumen", auch wenn er niemals wieder Blüten oder Früchte tragen wird, womöglich das Beste aus beiden Welten vereint. (Ikeabana?) Die Äste kann man sogar, dank zahlloser Magneten, immer neu umplatzieren. Eine Meditationsübung, bei der man über die Eingriffe des Menschen in die Natur sinnieren kann. So gesehen ein Baum der Erkenntnis.

Sehr flexibel: Blick ins Geäst von Paul Spendiers Selbstbau-Kirschbaum. Man beachte die zahlreichen praktischen Magneten.
- © Photographer: Mag.Art Flavio Palasciano / Galerie Elisabeth & Klaus ThomanHm. Die Rettungsringe, die wie liegengelassenes Spielzeug über den Boden verteilt sind, schauen irgendwie komisch aus. Wahrscheinlich weil das überhaupt keine Rettungsringe sind. (Um sich damit über Wasser zu halten, sobald der Meeresspiegel steigt, infolge der Polkappenschmelze, dafür sind diese Reifen ohnehin zu klein und vor allem zu wenig tragfähig. Wenn wir also einpacken können. Nämlich die Badesachen. Wie in dem Lied von der EAV: "Pack die Badehose ein, die Sintflut ist da!") Noch dazu haben die merkwürdigen Kringel Flügel.

Alles friedlich im Paradies: Die Schlange macht ein Nickerchen. Dieses "schlafende Flugzeug" mit der easyJet-"Kriegsbemalung" stammt übrigens aus der Edition, die Paul Spendier für tart.vienna gemacht hat.
- © Galerie Elisabeth & Klaus Thoman / Flavio Palasciano"Schlafende Flugzeuge" sollen das eigentlich sein, die selig an ihrem jeweiligen Heck nuckeln wie ein Baby an seinem Daumen. Die sind dem Uroboros nachempfunden, dem "Selbstverzehrer", der Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Geistreich witzig. Und schlafende Flugzeuge soll man nicht wecken. Ist schlecht fürs Klima. Wenn sie wach sind, linieren diese Dinger wieder den Himmel mit ihren Kondensstreifen.
Serienmäßig einzigartig
Kein Paradies ohne Schlange, und dieses dystopische Paradies hat sichtlich mehr als eine. Zudem sind die autokannibalischen Maschine-Tier-Mischwesen (Auto? Ich hab gedacht Flugzeug!) wie die Flieger superlativischer Fluggesellschaften koloriert, die es auf der Weltrangliste weit nach oben geschafft haben. Die billigsten, größten oder die mit den meisten Sternen.

Und weil sie so niedlich sind: NOCH ein "schlafendes Flugzeug" (diesmal eins mit Delta-Air-Lines-Bemalung) von Paul Spendier. Achtung: Nicht als Rettungsring geeignet! (Nicht tragfähig. Trotz der zwei Tragflächen.)
- © Galerie Elisabeth & Klaus Thoman / Flavio PalascianoEine leistbare Edition (wobei "leistbar" natürlich relativ ist; nicht jeder kann oder will 1.200 Euro für die Kunst locker machen), die nicht als sklavische Wiederholung des Gleichen daherkommt, sondern als "Serie unikater Objekte". Jede "Kriegsbemalung" für die Luftschlacht um Passagiere und Fracht (easyJet, Delta, Emirates, DHL) gibts hier exakt ein Mal. Das kommerzielle Luftfahrzeug als Uroboros: Ein bitterböses Symbol für eine nimmersatte Konsum- und Eventgesellschaft, die dabei ist, sich selber aufzufressen?
Brisante Themen, vom ausbeuterischen Kapitalismus bis zur Umweltzerstörung und zum Klimawandel, verpackt der Kärntner mit mehr oder weniger subtilem Galgenhumor in das eindrückliche Bild von einem Paradies, das aus sich selbst vertrieben worden ist.