Hätte es keinen so tragischen Hintergrund, man könnte an eine Verwechslungskomödie denken. Österreich hat 2001 ein Apfelbaum-Gemälde Gustav Klimts restituiert - aber offenbar ein falsches. Die Vorgeschichte: 1938, nach dem "Anschluss", verkaufte Nora Stiasny, Tochter des Wiener Chirurgen Otto Zuckerkandl, ein Werk des Malers unter Druck und nachteiligen Bedingungen; 1942 wurde sie in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet. Im Jahr 2001 wollte Österreich den Rechtsnachfolgern Stiasnys das abgepresste Bild rückerstatten und sprach ihnen Klimts "Apfelbaum II" zu. Schon damals zweifelte die Restitutionsforscherin Monika Mayer aus dem Belvedere an der Richtigkeit der Rückgabe. Doch das Werk wurde unbeirrt ausgefolgt.

Penible Forschungsarbeit

Dass dies eine Fehleinschätzung war, bestätigt nun ein legistischer Beschluss in Frankreich: Das Land, das bisher kein Restitutionsgesetz besaß, hat dafür Ende Jänner eine Grundlage geschaffen und will einige erwiesene Fälle von Raubkunst rückerstatten. Darunter auch "Rosen unter Bäumen", das einzige Klimt-Werk im französischen Staatsbesitz. Das brisante Detail: Das Bild soll an die Nachfahren von Nora Stiasny gehen. Forschungen haben nämlich ergeben, dass dies das Gemälde der Chirurgentochter war.

Tobias Natter plädiert weiter für eine Bereinigung der verworrenen "Apfelbaum"-Causa. - © Andre Maier
Tobias Natter plädiert weiter für eine Bereinigung der verworrenen "Apfelbaum"-Causa. - © Andre Maier

Diese Erkenntnisse fußen auch maßgeblich auf der Arbeit von Tobias G. Natter. Der renommierte Kunsthistoriker betreibt seit seinem Abgang als Chef des Leopold Museums seine eigene Firma "Natter Fine Arts", die sich auf Gutachten, Schätzungen und das freiberufliche Kuratieren spezialisiert hat. 2016 - Klimts "Apfelbaum II" war längst aus dem Belvedere verschwunden, die Kritik an der Rückgabe aber nicht verstummt - wollte sich das Bundeskanzleramt bei Natter Gewissheit verschaffen: Es beauftragte den Sachverständigen, die Anzahl und Versionen aller Apfelbaum-Gemälde Klimts in einem Gutachten zu ordnen.

Der Job ging nicht grundlos an den Kunsthistoriker: "2012 hatte ich ein Werkverzeichnis aller Klimt-Gemälde veröffentlicht", erzählt Natter der "Wiener Zeitung" bei einem Besuch in seinem Büro in der Habsburgergasse neben der Wiener Hofburg und hievt einen Wälzer von gefühlten zehn Kilo aus seinem Bücherregal. Natter hat dieses Kompendium aus eigenem Antrieb erstellt und hält es mit filigranen Bleistift-Ergänzungen und eingelegten Blättern auf dem neuesten Stand: "Es ist die Zusammenfassung meiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Klimt und seinen Sammlern und Mäzeninnen. Ich habe dafür alle Stimmen ausgewertet, die sich zu Lebzeiten Klimts über den Maler geäußert haben - in Katalogen, Ausstellungsbesprechungen, Nachlässen et cetera."

Diese Dokumentation lieferte dann auch einen entscheidenden Hinweis beim "Ordnen der Apfelbäume". Klimt hatte offenbar auch einen gemalt, der bisher nicht als solcher gegolten hatte: Die Rede ist vom bewussten Bild aus Paris. Es wurde 1980 vom Musée d’Orsay angekauft und hieß traditionell "Rosen unter Bäumen". Natter kam jedoch zur Überzeugung, dass es sich hier um Apfelbäume handle. Ein Beleg dafür: Eine Ausstellungsbesprechung, in der die Kunstkritikerin und Klimt-Vertraute Berta Zuckerkandl von "segengebeugten Apfelbäumen" gesprochen hatte. Weil Natter davor schon alle anderen Sujet-Bilder Klimts hinterfragt und zugeordnet hatte, war für ihn klar, dass ebendiese "Apfelbäume" in Stiasnys Besitz gewesen waren. Die Belvedere-Forscherin Monika Mayer teilt diese Einschätzung. Natter: "Damit begann aber erst das Problem für das Musée d’Orsay, das bis dahin keine Ahnung hatte, das hier eine Provenienzthematik lauerte." Fragt sich freilich: Wie konnte es überhaupt zu den fatalen Namenswirren kommen? Laut Natter trägt Klimt Mitschuld. "Ihm ging es allein um Kunst, er legte keinen Wert auf Titel. So kam es zu einer verwirrenden Vielfalt an Titeln."

Rückgabe der Rückgabe?

Das sei aber keine Entschuldigung für die vermurkste Rückgabe von 2001. "Das war gut gemeint, aber nicht gut gemacht", sagt Natter. Zwar seien die Folgen der Pariser Restitution für den Wiener "Apfelbaum II" noch nicht abschließend zu bewerten, aber: "Jetzt sollen die Erben nach Stiasny einen zweiten Klimt bekommen; das kann so nicht stehenbleiben." Braucht es eine Rückgabe der Rückgabe? Wünschenswert ja, doch schwer machbar.

Zwar hat die Republik im Jahr 2001 von der Erbengemeinde des "Apfelbaum II" eine Haftungserklärung verlangt; diese sieht vor, das Bild zu retournieren, falls es sich doch nicht um das einstige Eigentum Stiasnys handeln sollte. Nur: Inzwischen hat der "Apfelbaum II" erneut den Besitzer gewechselt. Die Stiasny-Erben sollen ihn an den Milliardär und Kunstsammler Bernard Arnault verkauft haben. Für Natter ist der Schritt grundsätzlich nachvollziehbar: "Bei einer Klimt-Rückstellung erhält üblicherweise eine mehrteilige Erbengemeinschaft ein unerhört wertvolles Werk. Keiner aus dem Kreis ist in der Regel in der Lage, das Bild allein zu übernehmen und die Miterben auszuzahlen; darum werden solche Bilder üblicherweise veräußert." Der Fall "Apfelbaum II" wird so aber noch komplexer. Ob das Bild je wieder den Weg ins Belvedere findet? Direktorin Stella Rollig zeigte sich zuletzt skeptisch.

Immerhin: Die Erbengemeinde, so haben es "Standard" und "Kurier" vermeldet, habe im Zusammenhang mit dem Erhalt des französischen Bildes ihre Bereitschaft bekundet, bei der Ausräumung der bestehenden Probleme mitzuhelfen. Wie sich das rechtlich sauber regeln lässt, weiß Natter zwar nicht: "Ich bin kein Jurist. Aber die österreichische Öffentlichkeit hat ein Recht, dass in allen Restitutionsangelegenheiten mit größter Sorgfalt und Präzision vorgegangen wird. Da muss eine Bereinigung stattfinden. Sonst nimmt die Glaubwürdigkeit der Rückgabe-Praxis Schaden, und das darf nicht sein."