Familie kann man sich nicht aussuchen. Der Ehemann als Künstler-Kollege ist ein Konkurrent. Ein reiches Familienerbe punziert und behindert die eigene Kreativität. Sind das Klischees?
Julie Manet hätte ein Leben lang Gelegenheit gehabt, in alle Vorurteilsfallen hineinzutappen: Manet zu heißen. Als Frau zu malen. Gemalt hat übrigens schon ihre Mutter, Berthe Morisot, eine Pionierin des Impressionismus. Und auch ihr Vater, Eugène, malte. Er hatte Klavierunterricht genossen, Italien bereist und sein ererbtes Vermögen als Basis für seine Lebensführung verwendet. Künstlerisch allerdings wirkte er lieber im organisatorischen Hintergrund und widmete sich der Familie. Er förderte Ehefrau Berthe, indem er mit Händlern und Sammlern verhandelte und sich um Details, wie die Rahmung der Bilder, kümmerte.
"Kleine Kameradin"
Julie Manet hatte eine große Künstlerin zur Mutter, eine genuine Malerin zarter, pastelliger Lichttöne, die auch Familienszenen, wie jene an der Wiege der kleinen Julie, einfühlsam wiedergab. Vom Talent der Berthe Morisot waren Ehemann Eugène und Schwager Edouard überzeugt. Julies Onkel, der Bruder ihres Vaters, war Edouard Manet. Als der Kunstkritiker und spätere Chefredakteur Albert Wolff - Edouard Manet hatte ihn übrigens porträtiert - in "Le Figaro" die Kunstwerke der Berthe Morisot zu hart anfasste, soll der loyale Ehemann sogar eine Duell-Forderung überlegt haben...

Pierre Auguste Renoir: Julie Manet ou LEnfant au chat, 1887
- © RMN-Grand Palais (musée d'Orsay) / Stéphane MaréchalleIn dieser eingeschworenen Kleinfamilie verbrachte das Einzelkind Julie eine behütete Jugend. Parallel dazu umgab das Mädchen auch eine Impressionisten-Großfamilie. Man malte einander. Bereits als Baby und Kleinkind wurde Julie häufig verewigt. Edouard Manet war so entzückt von seiner Nichte, dass er sie schon als kleines Mädchen wiederholt porträtierte. Auch Auguste Renoir, der Julie als "Kind mit Katze" darstellte, konnte sich dem Charme dieses Mädchens nicht entziehen. Renoir war Julies Zeichenlehrer und einer jener aus der Impressionisten-Schar, die sich um das Mädchen liebevoll kümmerte. Er nannte sie seine "kleine Kameradin" und stand ihr zur Seite, als die Jugendliche mit sechzehn zur Vollwaise wurde.
Mutter und Tochter übten eine große Anziehungskraft auf Künstlerkollegen aus. Edouard Manet soll schon über Mutter Berthe und deren Schwester geäußert haben: "Die Fräulein Morisot sind zauberhaft. Schade, dass sie keine Männer sind." War das auf die Malerei gemünzt, auf mangelnde Karrierechancen? Berthe Morisot brauchte kein Mann zu sein, um erfolgreich zu malen. Tochter Julie wollte wohl kein Mann sein. Sie malte gefällig und durchaus mit Charme, verwirklichte sich aber ebenso als Sammlerin und Förderin und führte im vierten Stock des Familienhauses eine Galerie.
Wie einst ihre Mutter, die Eugène Manet im Louvre kennengelernt hatte, traf auch Julie ihren zukünftigen Mann, den Maler Ernest Rouart, 1897 im Louvre. Das bürgerliche Leben verachtete sie nicht: Julie heiratete in einer Doppelhochzeit mit ihrer Cousine, die den Dichter Paul Valéry ehelichte.

Ernest Rouart: Julie Manet peignant, 1905
- © Collection particulière / Musee Marmotton MonetVon ihren Vorfahren hat sie vor allem die Liebe zur Malerei geerbt und sich als Vermittlerin und vor allem Förderin der Kunst ihrer Mutter und ihres Onkels gesehen.
Böse Zungen mutmaßten, ihr wahres Talent beträfe die Nachlassverwaltung. Julie ging dabei durchaus taktisch vor: Durch Schenkungen vermittelte sie die Bilder ihrer Mutter an große Museen. Als 1912 Julies Schwiegervater Henri Rouart starb, erbte das Paar eine große Kunstsammlung mit bedeutenden Werken des 17. und 18. Jahrhunderts, darunter Gemälde des delikaten Rokoko-Malers Jean-Honoré Fragonard, der ein Vorfahre von Mutter Berthe gewesen war. Aber auch Namen wie Delacroix, Honoré de Daumier, Corot, Jongkind, Puvis de Chavannes, Gauguin und Degas befanden sich in diesem Nachlass. Julie Manet ergänzte die Sammlung, indem sie Bilder aus Versteigerungen zurückkaufte und sie ebenfalls dem Louvre schenkte.
Auch das Pariser Musée Marmottan Monet besitzt zahlreiche Morisots. 1996 vererbten die Kinder von Julie Manet diesem Museum mehrere Dutzend Werke ihrer Großmutter. Nun findet ebendort die erste Ausstellung über Julie, die malende, sammelnde, als Mäzenin tätige Madame Manet statt.
Worpswede & Paris
Nochmals Paris, im Rückblick. Die Stadt wird für die 1876 in Dresden geborene Paula Modersohn-Becker zum Mekka für ihre Kunst. Und für ihre Unabhängigkeit. 1900 bricht die 24-Jährige auf: Von Bremen aus reist sie - in der Neujahrsnacht und alleine - in die französische Metropole. Ein neues Jahrhundert bricht an. Und die Künstlerin fühlt eine neue "Welt" in sich entstehen. Paris wird zum zweiten künstlerischen Fixpunkt ihres kurzen Lebens. Der erste war (und ist) das kleine Bauerndorf Worpswede bei Bremen: Sie flieht von dort nach da - und umgekehrt.

Paula Modersohn-Becker, um 1905.
- © Paula-Modersohn-Becker-StiftungIn Paris saugt sie die Impulse der Kunst des Fin de Siècle auf, besucht Anatomie- und Aktkurse an der École des Beaux Arts, streift durch Museen und Galerien, besucht das Atelier Rodins und mietet schließlich selbst ein Atelier. Im Sommer 1900 lädt Paula die Worpsweder Künstler-Kollegen in die Seine-Stadt ein. Doch der Aufenthalt der Freunde wird jäh unterbrochen. Derjenige, der ihr am nächsten steht, Otto Modersohn, muss sofort wieder heim: Seine Frau, die er schon längere Zeit pflegt, erliegt ihrer Krankheit.
Die besondere Freundschaft zwischen Paula und Otto datiert aus Worpswede. Dort haben die beiden einander 1897 näher kennengelernt. Modersohn ist von Paula fasziniert. Er schätzt ihre Kunst - und ihre schlichte, uneitle Herangehensweise an etwas ganz Neues. Der Impressionismus ist überwunden, Paula malt "modern", quasi als Vorläuferin des Expressionismus. Doch Modersohn ist nicht der Einzige, der in Paulas eigenwilliger Malerei das Besondere ortet. Von den "Worpswedern" bewundern sie auch Kollege Heinrich Vogeler und der Dichter Rainer Maria Rilke, der Paulas enge Freundin und Vertraute, Clara Westhoff, heiraten wird. Das Dorf Worpswede hält die Gruppe zusammen.
Die Künstler-Kolonie nahe Bremen entstand ursprünglich aus einer Ansiedlung von Bauern, die schon im 18. Jahrhundert das Moor trockengelegt und Kanäle gegraben hatten. Auf diesen konnten die kleinen Kähne mit ihren schwarzen Segeln den gestochenen Torf nach Bremen transportieren, wo er verkauft wurde. Die junge Malergruppe ist von der flachen Landschaft begeistert, vor allem von den Farben, vom Licht. Aber auch von den einfachen Bewohnern, die arm sind und willig, den Künstlern Modell zu sitzen.

Paula Modersohn-Becker in der Worpsweder Landschaft
- © Paula-Modersohn-Becker-StiftungPaula macht Gebrauch davon. Sie wird in Worpswede Schülerin von Franz Mackensen. Die junge Frau ist zwar in einer bürgerlich-kunstsinnigen Familie, aber in keiner Künstler-Familie aufgewachsen. Ihren Künstlernamen muss sie sich erst "ermalen". Sie wird es nicht mehr erleben, berühmt zu werden. Doch sie arbeitet sehr gerne nur für sich. Eigenwillig und selbstbestimmt, findet sie in ihrem Künstlerfreund und späteren Ehemann Otto Modersohn den inspirierenden Malerkollegen, Berater und sanften Instruktor. Modersohn imponiert ihr - durch sein einfühlsames Wesen, und vor allem durch seine Kunst. Der elf Jahre Ältere wurde rasch über Deutschland hinaus bekannt: In der Jubiläumskunstausstellung des Wiener Künstlerhauses 1898 wird Otto Modersohn ausgestellt. Sein Werk "Die Wolke" gilt als Schlüsselwerk der Worpsweder Landschaftsmalerei.
1895 schreibt Paula an ihren Bruder über eine Ausstellung in der Bremer Kunsthalle: "...sonst interessiert mich noch riesig ein Modersohn, der hat die verschiedenen Stimmungen der Heide so schön geschildert, sein Wasser ist so durchsichtig und die Farben so eigenartig..."
Doch nachdem Paula den Witwer 1901 geheiratet hat, entsteht kein lückenloses Familienidyll. Es kommt zu beträchtlichen Reibungen. Immer wieder fürchtet Paula jede Förderung auch als Hindernis ihrer Eigenständigkeit. Sie will sich in ihrer Kunst finden, porträtiert sich immer wieder selbst: Mehr als 60 Selbstbildnisse entstehen. Und sie reist weiterhin nach Paris, meist alleine, nimmt zeitweise ein Atelier mit ihrer Freundin, der Bildhauerin Clara Westhoff, der zweiten intensiven Gesprächspartnerin für Kunst-Themen. Die Beziehung zu Otto Modersohn bleibt trotz Schwierigkeiten aufrecht.
Modersohn vertraut seinem Tagebuch an, in der Kunst verstünde man einander, aber "im Leben nie". Immer wieder malen die beiden gemeinsam an einem Motiv, teilen die Vorliebe für französische Malerei und die Ablehnung jeder Oberflächlichkeit. Das Prinzip der Einfachheit verbindet. Paula entwickelt eine reduzierte Bildsprache, malt weiterhin ihre Einsamkeit, ihr trotziges "Ich bin ich". Das Thema Mutter-Kind beschäftigt sie. Sie malt keine süßen Mädchen mit duftigen Sommerkleidern. Ihre Kleinen sind klobige Figuren, meist in Erdfarben gehalten. Sie haben Schablonen-Hände, als ob sie Fäustlinge trügen.
"Malweiber"
Die Malerin hat wenig Interesse an ihrem eigenen Ruhm, geschweige denn Nachruhm. Der Kunstmarkt ist ihr nicht wichtig. Die Bezeichnung von ihresgleichen als "Malweiber" durch die Zeitgenossen stört sie nicht. Sie will nichts als malen - vor genauso wie während ihrer problematischen Ehe. Otto Modersohn: "Nach kurzer Trennung hatten wir uns wiedergefunden. Sie nannte mich im letzten Sommer oft ihren getreuen Eckart, der ihr über eine schwere Zeit hinweggeholfen."
Just anlässlich ihres sechsten Hochzeitstages malt sie sich nackt und schwanger. Sie war damals nicht in Erwartung eines Kindes - sie wollte darauf hinweisen, dass sie "ideenschwanger" war. Ihre echte Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter Mathilde überlebt sie nur kurz. Paula Modersohn-Becker stirbt mit 31 Jahren an einer Embolie. Den frühen Tod hat sie vorausgeahnt: "Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist denn das traurig? Ist ein Fest schöner, wenn es länger ist?"

Besucher im Paula Modersohn-Becker Museum
- © Paula Modersohn-Becker Museum