Die Flugzeuge und Schiffe schauen ziemlich alt aus. Na ja, wahrscheinlich weil sie es sind. Nämlich bereits historisch. Aber sie hängen eh bloß noch rum. Derzeit in der Silvia Steinek Galerie. Und sie haben eines gemeinsam (abgesehen davon, dass sie allesamt gemalt sind) – oder: eine-n. Den Fabian Erik Patzak.
Der Austro-Amerikaner (oder ein US-Wiener?) ist freilich nicht nur der Urheber dieser und anderer Bilder, die immer wieder die Identität zum Thema haben, besagte Beförderungsmittel spielen außerdem alle in seiner im dynamischsten Sinne des Wortes bewegten Familiengeschichte mit. Sind doppelt geschichtsträchtig. Okay, nicht ausnahmslos alle hatten eines seiner Familienmitglieder an Bord.
Die Zukunft ist nicht immer sehenswert
Und die Queen Mary fehlt. Obwohl er das "Fluchtfahrzeug", das seinen jüdischen Großvater Eric 1939 nach Übersee und vor den Nazis in Sicherheit gebracht hat, gleich mehrmals mit dem Pinsel genau studiert hat. Dafür ist ein nach einem Passfoto angefertigtes Porträt von Eric Reiss ausgestellt, dem der Enkel kurzerhand einen Button von der Weltausstellung in New York angeheftet hat. (Die hat im Ankunftsjahr des Großvaters und im Jahr darauf stattgefunden. Unter dem Motto "Building the World of Tomorrow, For Peace and Freedom – all Eyes to the Future".) Der Spruch auf dem Abzeichen ("I have seen the future") bekommt plötzlich einen düsteren Unterton. Kein visionärer Ausblick in eine technisch fortschrittliche, prosperierende Zukunft, hier hat jemand gesehen, was ihn erwartet, wenn er in seiner alten Heimat bleibt und sich nicht gschwind eine neue sucht.

Verdient Haltungsnoten wie der Horizont: Die SS Arabic, 2022 gemalt von Fabian Erik Patzak, bewahrt selbst auf dem emotionalsten Ozean die waagrechte Contenance.
- © Silvia Steinek GalerieWie ein Archäologe sichert Patzak die Spuren seines früh verstorbenen Vorfahren, den er nie persönlich kennengelernt hat, malt feinsäuberlich Kreditkarten ab, aquarelliert sie auf Papier, macht dasselbe mit einem geschlossenen Fotoalbum, das seine Erinnerungen für sich behält, und führt quasi den "Befehl" auf dem Cover von Letzterem aus ("Wherever you go take pictures"), macht selber dauernd Bilder, während er die Fährte seiner Ahnen verfolgt, seinen – jüdischen – Wurzeln nachspürt.
Hinter Glas treibt die SS Volendam, optisch eine "Schrumpf-Titanic", beschaulich auf dem Aquarell-Meer, also der Ozeandampfer, mit dem Großonkel Kurt entkommen ist. Das war wiederum der Bruder jener Elsa, die Wien erst 1942 verlassen und Glück gehabt hat, "dass sie da überhaupt rausgekommen ist" (Patzak). Mehrere Monate ("sicher drei" – mindestens) war sie unterwegs.
Die Erde aus der Weltfluchtperspektive
Ihre abenteuerliche Fluchtroute (über den Nahen Osten, Indien, um Afrika herum bis nach Süd- und schließlich Nordamerika) hat der Theodor-Körner-Preisträger Patzak, ein ehemaliger Meisterschüler von Muntean/Rosenblum, auf einer kreisrunden Weltkarte eingezeichnet. Betrachtet die Erde mit ein bissl Abstand. Aus der Astronauten-, der Weltfluchtperspektive. (Wobei: Nicht, dass man vom All aus Grönland und das Kap der guten Hoffnung gleichzeitig sehen könnte.) Den blauen Planeten macht er da zu einer flachen Scheibe, einer Scheibenerde, die sich wie ein Glücksrad drehen lässt. Eigentlich das zentrale Werk in der Schau, die entsprechend "The Lucky Ones" heißt. Die Glücklichen. Die, die ein Masel gehabt haben.

Die Erde ist hier zwar eine Scheibe, aber immerhin dreht sie sich. Wie ein Glücksrad. Und der Fabian Erik Patzak hat in sein "Wheel of Fortune" (2020) die Fluchtroute seiner Großmutter Elsa eingezeichnet.
- © Fabian Erik PatzakDie Luft- und Wasserfahrzeuge der Glückspilze (Öl auf Leinwand oder Aquarell auf Papier) befinden sich gerade in der Zwischenwelt zwischen Start und Ziel, im Niemandsland zwischen dem Hüben und Drüben, werden zu Metaphern für die Reise ins Ungewisse, zeugen zugleich von der Zerrissenheit zwischen den Kontinenten und Heimaten, die Patzak, der des Öfteren hin- und hergependelt und mittlerweile wieder in Wien ist, zwei Generationen später nach wie vor verspürt. ("Das permanente Gefühl von nicht hier und nicht da sein", wie er sagt.)
Gewissermaßen ist seine Malerei ebenfalls zweisprachig. Sie spricht Englisch und Deutsch? So ähnlich. Sachlich und emotional. Die präzise und in allen Einzelheiten geschilderten Fernverkehrsmittel ("Die werden immer detailreicher, je länger ich das male.") sind eingebettet in eine sinnliche, affektgeladene Atmosphäre; mit beseeltem Pinsel wird die Ambivalenz zwischen hoffnungsfroher Aufbruchsstimmung und dem Ausgeliefertsein an die Elemente voll ausgekostet. Die Schiffe schippern über einen unruhigen Atlantik, sind eingeklemmt zwischen gestischen Wellen (um nicht zu schreiben: "dem Ozean des Lebens") und einem geradezu kosmischen Himmel, die Passagiermaschine, eine einwandfrei identifizierbare Lockheed Constellation der Trans World Airlines (2001 in den American Airlines aufgegangen), scheint über dem Wolkenmeer in eine kitschig romantische, nächtliche Farbpalette regelrecht zu entschweben.
Der Schlot ist nicht bewölkt

Mustergültig: Fabian Erik Patzak variiert 2017 den ornamentalen Schmuck einer Synagoge im neunten Bezirk, die in der Pogromnacht 1938 zerstört worden ist.
- © Fabian Erik PatzakUnd wer ist diese Connie, die der Bildtitel erwähnt? Sitzt die im viermotorigen Propellerflugzeug? Nein, sie ist das Flugzeug. Der Spitzname für die Constellation. Ein Ticket hatte die Mutter des Künstlers, die ihrem Sohn einmal von einem Transatlantikflug inklusive Zwischenlandung auf Neufundland zum Auftanken erzählt hat. Jö, winkt die etwa aus einem dieser klitzekleinen Fensterchen? Natürlich nicht. Sooo detailversessen ist der Patzak auch wieder nicht, der auf den Flieger zeigt und verkündet: "Ich bin mir sicher, das war dieses Modell."
Trotz des fast schon übertriebenen Realismus (ein zwangsneurotischer Fensterzähler?) wirkt alles irgendwie unwirklich. Ach, eventuell weil aus den Schloten kein einziges Wölkchen dampft. Patzak hat seine Recherche übrigens auf Schiffe ohne biografische Verbindung zu seiner Familie ausgeweitet, sich für deren Schicksal gleichermaßen interessiert. Die SS Arabic beispielsweise oder die RMS Carinthia, beide nicht von einem Eisberg, sondern von einem deutschen U-Boot versenkt. Erstere im Ersten, Zweitere im Zweiten Weltkrieg. Den nahenden Torpedo mag man vergebens in den Wogen suchen, das Unbehagen lauert dennoch in der Tiefe.
Selbst das abstrakteste, scheinbar weltfremdeste, harmloseste Muster kann einen Realitätsbezug haben. "Variation on Synagogue Müllnergasse I": In der Müllnergasse am Alsergrund gibts eine Synagoge? Eben nicht. Nicht mehr. Die wurde in der sogenannten Reichskristallnacht zerstört. Und ein dekoratives Ornament daraus hat Patzak rekonstruierend variiert. Genauso wie er sich in das Rautenmuster eines Teppichs mit Migrationshintergrund hineinversetzt, eines nach Italien übersiedelten Marokkaners, der jetzt, gemalt von einem amerikanischen Österreicher bzw. österreichischen Amerikaner, subtil zwischen den Kulturen vermittelt.
Wand auf Leinwand auf Wand
Und die Wandstücke mit haptischem Wiener Mauerwerk, hervorstehenden geschliffenen Steinen? Müssen nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben. Die funktionieren wunderbar auch einfach als geometrische Abstraktion mit 3D-Effekt. Rationale Strenge und Affekt, das Konstruktive und eine offenere Malweise vereinen sich zu einem reizvollen kalkulierten Expressionismus, bei dem der Pendler zwischen den Welten noch dazu die neutrale Monochromie der Inspirationsquelle (des Gemäuers) in fröhliche Buntheit umgefärbt hat. Bunte Wand auf Leinwand auf weißer Wand. (Die weiße wird von der Galerie beigesteuert. Mit ein paar eingeschlagenen Nägeln.) Macht in Summe drei Wände. (Sozusagen.)

Die flexiblen "Modular Windows" (2022) von Fabian Erik Patzak (amerikanische Schiebefenster in Wiener Wänden) sind eigentlich weniger was zum Durchschauen als zum Anschauen. Vorne: sein zweideutiger Mauersockel ("Wall Plinth", ebenfalls 2022) aus Holz.
- © Silvia Steinek GalerieHm. Und wie viele Wände hat das leibhaftige Holzobjekt, dieser Quader mit ausgeprägtem Relief, in dem sich obige bildhafte Mauervariationen materialisieren und wo die dritte Dimension kein Effekt ist, keine bloße Illusion, sondern echt? Vier? Gar keine? Weil ein Quader Seiten hat und keine Wände? Ein Mauersockel soll das sein, ein "Wall Plinth". He, ein handfestes Wortspiel! (Oder minimalistischer Humor mit komplexer Pointe.) Denn tatsächlich hat die quadratische Säule im gemauerten Look die Form eines Sockels und ist ihrerseits auf einem klassischen weißen Sockel platziert. Sockel auf Sockel, und einer davon ist eine Skulptur.
Die Fenster sind Ausländer
"Bei mir ist immer das, was gerade in der Welt geschieht, sehr präsent", meint Patzak, der in der Woche nach 9/11 an der Kunstakademie in Wien angenommen wurde, dessen erste Einzelausstellung just in die Zeit fiel, als die Leute quasi kein Geld mehr hatten (am Beginn der globalen Finanzkrise), und den die große Flüchtlingswelle in Europa wieder mit seiner eigenen familiären Fluchterfahrung konfrontiert hat. In der Pandemie mit ihren Lockdowns und dem Homeoffice ist dagegen vielmehr das Daheimbleiben höchst aktuell. Man wohnt definitiv ausgiebiger als früher. Ist notgedrungen häuslicher geworden.

Fenster ohne Gruppenzwang und Herdentrieb: Jedenfalls haben in Fabian Erik Patzaks "Windows on Sonnwendgasse" (2016) keine zwei die exakt gleichen Spiegelungen.
- © Fabian Erik PatzakDrum hat er "Modular Windows" gemalt, der Patzak. Mit Mauersteinen gerahmte Einzelfenster, die sich beliebig zu einer Fassade zusammenpuzzeln lassen. Folglich keine Fenster mit Aussicht, keine Ausblicke. Genauso wenig jedoch Einblicke. In fremde Privatsphären. Die Vorhänge sind vielfach zugezogen, blickdicht, Zeichen der sozialen Isolation. Ein Fenster ist sogar zugemauert (mit Buntheit). Und nicht sofort fällt auf, dass Patzak da erneut seine "doppelte Herkunft" verarbeitet. Diskret. Amerikanische Hochschiebefenster nach Wien verpflanzt.
Ganz neu ist seine Faszination für Fenster aber sichtlich nicht. (Wie ihn Architektur generell seit Langem beschäftigt.) Auf einem Opus aus dem Jahr 2016 sind die 20 Fenster eines rosaroten Hochhauses in der Sonnwendgasse im zehnten Bezirk vollkommen identisch und trotzdem sind keine zwei gleich. Weil jedes das Tageslicht individuell reflektiert. Ein unglaublich nuancenreiches Lichtspiel, das in die langweilige bauliche Monotonie Abwechslung bringt.
Sind diese klar komponierten und versiert gemalten Bilder wirklich komplett menschenleer? (Bis auf das großväterliche Porträt logischerweise.) I wo. Die Menschen verkriechen sich vermutlich lediglich in ihren Behausungen und Vehikeln.