Vierhundert pastellfarbene Balken und eingehängte Bildmodule füllen den Hauptraum der Secession wie in einem seltsam unaufgeräumten Kindergarten. Siggi Hofer, 1970 in Bruneck in Südtirol geboren, referiert auch mit der seine Installation begleitenden Kunst-Zeitung auf eine Grafik in einem Kinderbuch, das ihn faszinierte: Auch wenn es sich um eine nach einem Erdbeben zerstörte Landschaft handelt - kombiniert mit einfachen Bildzeichen und gotischer Schrift (deutsch-gotisch) und dem Titel "Still Life" wird der Retroblick schon ein wenig politisch. Aber auch kunsttheoretische Anspielung. Die Wände bleiben leer, die Orange taucht nicht nur als Bild, sondern auch als Podest auf, ein zentraler Platz, an dem es Performances geben wird. Der zwar gefüllte, doch begehbare Raum wird bis 12. Juni ständig von ihm weiter verändert werden. Daher beinhaltet er auch Arbeitstische, auf denen weitere Bildmodule zu sehen sind: ein Kuvert, ein Adler, ein Schmetterling, ein abstrahierter Businessman mit Krawatte, auch kopflos.

Chaos und Ordnung

Raster, Borte, Zierleiste und Holzperlen an den haltenden Stahlseilen: Über diesem unruhigen Stillleben ist die gerasterte Glasdecke abmontiert und der Blick in die Dachkonstruktion des Secessions-Gebäudes möglich. Chaos und Ordnung, davon gibt es Anhäufungen. Eine rechts mit den altbekannten Stadtmodell-Zeichnungen des Künstlers, die allerdings von Bildobjekten mit Feuerzeichen bedroht sind: Anspielungen auf unsere immer krisenhafter werdende Welt, oder doch nur eine biografische Erzählung oder eine Stellungnahme zum wichtigen Ausstellungsort? Sichtbares Handwerk lässt Hobbykunstcharakter ins Kunstwollen eines gezielten Verlernens zwischen den verschiedenen Kunstgattungen aufkommen. Eine alte Forderung, die Joshua Reynolds im englischen Klassizismus propagiert und Werner Hofmann als Strategie Nummer eins der Moderne betont hat. Doch Hofer beruft sich auf Herbert Achternbuschs "Kunst kommt von kontern".

GIS (Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso, David Toro) mit feinster Zivilisationskritik in "Everything But The World". - © GIS / "Everything But The World"
GIS (Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso, David Toro) mit feinster Zivilisationskritik in "Everything But The World". - © GIS / "Everything But The World"

Nach dem freundlichen Rück- und Einblick in ein Künstlerleben ist in der Kellergalerie die aktuelle postkolonial-feministische Sicht eingekehrt. Die in Johannesburg arbeitende Dineo Seshee Bopape, geboren 1981 im afrikanischen Polokwane, hat traditionelle nomadische Sandarchitekturen geschaffen. Sie sind kombiniert mit rosa leuchtenden Neonröhren und dem Geräusch summender Bienen. Zudem bietet sich in der Fußreise in alte vorkoloniale Welten der Duft der nassen Erde nach dem Regen sowie weitere Düfte aus Gewürzsäckchen, sogar der kleine Katalog besteht statt aus beschriebenen Blättern aus Duftnotationen. Alte Fruchtbarkeitsriten, bewachsene Drähte und Schalen am gestampften Lehmboden sollen die Schönheit der alten Heimat voller Naturgottheit-Geschichten spüren lassen, wobei die Schönheit stärker fühlbar sein soll als die vergangenen Kämpfe gegen die Apartheid und alle Katastrophen der letzten Jahrzehnte. Es erinnert an Susanne Wengers Bauten in Nigerias Oshogbo und ist fast zu schön, um für uns Stadtpflanzen als Kunstdenkmal begriffen zu werden.

Postaufklärerische Illusion

Dineo Seshee Bopapes Werk "untitled [ofoccultinstablity]". - © Timo Ohler
Dineo Seshee Bopapes Werk "untitled [ofoccultinstablity]". - © Timo Ohler

Im Grafischen Kabinett holen Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro (Kollektiv DIS aus New York) uns mit ihrem kollaborativen Filmprojekt in den Alltag zurück. Ihre Lichtgestaltung des Raumes irritiert durch den von Rot und Jalousien getrübten Ausblick, der nebst der Film-Wand die Dunkelheit durchbricht. In Schwebe zwischen Höllenfeuer und Sonnenaufgang erfahren wir in "To Become A Fossil" noch mehr Ambiguität im genreübergreifenden Doko-Science-Fiction-Film "Everything But The World", der unsere postaufklärerische Illusion von Aufklärung und Ratio mit Genuss aus den Angeln hebt. Nicht nur die Bestellung an der Fast-Food-Kette White Burger wird zur teuflischen Prüfung und scheitert grandios, auch der sinnlos eingesetzte Laubbläser in der Wüste, wie der Saxofonspieler im Grand-Canyon-Gebiet auf einem Felsen, versetzen uns endgültig nach Absurdistan. Hier wird man selbst zum versteinerten Ritter. Wer eine heitere Ablenkung von all den kriegerischen Verwerfungen des Kapitalismus braucht: GIS gibt sie mit feinster Zivilisationskritik.