Das Gesicht beim Eingang ist mir gleich so bekannt vorgekommen. Trotz der Maske. Ach, das vom Georg Peithner-Lichtenfels? Ja, das auch. Ist immerhin jenes des Galeristen. (Das "GPL" in GPLcontemporary steht schließlich für Georg und so weiter. Oder für Galerie Peithner-Lichtenfels? Für Zweiteres.) Ich meine aber sowieso das andere Gesicht. Das mit dem berühmten Ohrläppchen.
Das wurde sogar bereits einmal verfilmt. Mit Scarlett Johansson. Echt? Die hat den van Gogh gespielt? Falsch. "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" von Jan Vermeer. Und in der dialogischen Doppelausstellung von Naomi Devil ("Kohle auf Leinwand") und Leo Mayr ("Mich zwickts immer so im Wadl") trägt das Mädel nebst besagter Perle einen chirurgischen Mund-Nasen-Schutz sowie Gummihandschuhe, hat folglich Hände. Nicht, dass Vermeers Modell keine besessen hätte (vermutlich), allerdings außerhalb vom Bild. Aha, eine Linkshänderin. Jedenfalls hält sie die Spritze, die sie gerade in dieser Harmonie aus grünlichen und bläulicheren Blautönen aufzieht, nicht mit der Rechten. Und anschauen tut sie einen . . . – also, wenn Blicke impfen könnten.
Der Frieden rüstet sich für den Krieg
Die Wände sind hier definitiv weiblich. Und das nicht bloß in Bezug auf das grammatische Geschlecht. (Wand, die.) Oder weil die Malerin eine Maler-in ist, nämlich Naomi heißt. Naomi Devil. Devil? Welch kurioser Künstlername ausgerechnet für eine, die gute Bilder malt, eine von den Guten ist. Streng genommen hat die in Wien lebende gebürtige Budapesterin (Jahrgang 1987) den Namen eh nicht frei erfunden. Lediglich ihren eigenen übersetzt. Aus dem Ungarischen. Denn dort bedeutet Ördög Teufel. Auf Englisch: Devil.

Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring" ist jetzt Ärztin (oder Krankenschwester?). Naomi Devil hat das Mädel jedenfalls umgeschult. Mit Ölfarbe und Pinsel. ("Girl with a medical mask II.", 2021.)
- © Naomi DevilVon den 19 aufgehängten Gemälden sind auf 16 Frauen drauf. Macht einen Frauenanteil von 84 Prozent! Wobei es sich bei der prächtigen Monarchwespe (einer Wespe mit Monarchfalterflügeln), gut getarnt auf gemusterten Mimikry-Äpfeln, verführerischen Sündenfallfrüchten, ebenfalls um ein Weibchen handeln dürfte. (Ein Männchen hätte auf der zweiten Ader der Hinterflügel ja jeweils eine Tasche für die Duftschuppen.)
Und die martialischen Luftballone im stachelnietenbewehrten Ledergeschirr kann man bei der Rechnung nicht wirklich mitzählen. Das sind Dinge. (Ding, das. Sächlich.) Dass sie gelb sind (bzw. golden) und in einen blauen Himmel aufsteigen, sprich jegliche Ähnlichkeit mit den ukrainischen Farben, ist wahrscheinlich reiner Zufall. Trotzdem kann man kaum anders, als die ätherischen Schwebobjekte, die ihre Rüstung in die irdische Schwere zurückziehen müsste, als Kommentar zu den Kämpfen am Ostrand der EU zu lesen. Der idyllische Frieden rüstet sich für den Krieg. (Andererseits ist das Opus 2015 entstanden. Demnach bald nach der Annexion der Krim durch Russland.)

Artemisia Gentileschi malt Dollarzeichen. Und Naomi Devil hat Artemisia Gentileschi beim Malen von Dollarzeichen gemalt.
- © Naomi DevilAnsonsten lauter Porträts. Fünf Selbstporträts, nein, nicht von der Naomi Devil, von anderen Malerinnen (freilich hat die Ungarin sie kopiert), sind damit beschäftigt, Währungs- und Kryptowährungssymbole zu pinseln. (Ah, deshalb "Kohle auf Leinwand", obwohl das Ölfarben sind.) Und warum tun die das? ,,Weil Künstlerinnen in der Kunstgeschichte unterrepräsentiert sind", so Devil, die gern die Alten Meister zitiert, vorzugsweise im Barock und im Klassizismus zugreift und sich diesmal bei den Alten Meister-innen bedient hat, um sie neu zu kontextualisieren. "Und bei Kunstauktionen sind die Werke von Männern noch immer wertvoller." Tja, Geld reimt sich auf Welt, und Ersteres regiert nun einmal auch die Welt der Kunst. Kunstwerke sind Wertanlagen, Bilder Aktien.
Kunst ist eine Kryptowährung
Geschlechtsgenossinnen, "die es doch geschafft haben", Powerfrauen mit Pinsel, lässt Devil jetzt vor den Augen des Betrachters plakative Bilder von Wert anfertigen, lässt sie den Gender Pay Gap auf dem Kunstmarkt förmlich wegmalen, kleckst ihnen quasi Humor und Ironie zu den Farbpatzen auf die Palette. Artemisia Gentileschi, die barocke Promikünstlerin, die sich selbst als Allegorie der Malerei porträtiert hat, ist ihrer Zeit plötzlich um mehr als vier Jahrhunderte voraus, indem sie (oder die Malerei höchstpersönlich) einen Warhol fabriziert. Oder hat der etwa nicht jede Menge Dollarzeichen siebgedruckt?

Elisabeth Vigée Le Brun sagt Ja: Malerei ist wertvoll. Und nicht gratis. (Dieses Bild von Naomi Devil, "Yes I.", 2022, kostet übrigens 3200 Euro.)
- © Naomi DevilWaschechte Pop-Art ebenso von Elisabeth Vigée Le Brun, der zahlreiche Adelige Porträt gesessen sind (unter anderem Marie Antoinette, die ja später unter der Guillotine ihren porträttauglichsten Körperteil verloren hat). Gleich zweimal überzieht sie den Malgrund manisch mit einem Dollarzeichenmuster. Und ein drittes Mal schreibt sie selbstbewusst ein "YES" hin (aus Yen-, Euro- und Dollarzeichen), bekennt sich in ihrem Selfie (Selbstporträt sagt man nimmer, oder?) als erfolgreiche Malerin zu ihrem Marktwert. "WE CAN" steht zwar nicht im Kleingedruckten darunter (aus koreanischem Won, aus Euro, US-Cent, ehemaligem argentinischem Austral und nigerianischem Naira), scheint dennoch unterschwellig mitzuschwingen.
Die Namen Adélaïde Labille-Guiard (Gründerin der ersten Pariser Frauenschule für Malerei), Marie-Gabrielle Capet (eine ihrer Schülerinnen) und Anne Vallayer Coster werden dagegen wohl die wenigsten auswendig können und nicht googeln müssen. Jö, aus zwei Pinseln (zeitlose Werkzeuge, die sich seit dem 18. Jahrhundert praktisch nicht verändert haben) fließen Bitcoins! Wie eine Zukunftsvision.
Die Alten Meister mit Pommes frites mästen

Der Hummer steht ihr gut. Daneben könnte man fast die Auster übersehen, die Naomi Devil dieser Lady in die Hand gemalt hat.
- © Naomi DevilMit Witz und altmeisterlichem Realismus (und Kopfbedeckungen "Made in The Netherlands") geht Devil daneben auf feine Damen los, lässt sie, in Anlehnung an die verrückten, hypertrophen Hüte, die man von den Pferderennen in Ascot her kennt, holländische Essenstillleben auf den Häuptern balancieren. (Die Pferde tragen in Ascot komische Hüte? Nein, die Zuschauerinnen.) Hoppala, der Hummer, der beinah selber vom Teller rutscht, kann die Zitrone, deren Schale sich neckisch lockt, offenbar grad noch mit seiner Schere festhalten und vor dem Absturz bewahren. Und Austern genießen neben saftigen Trauben die Aussicht.
Noch irritierender sind die modernen Accessoires, mit denen die verstaubten Schinken aufgefrischt und –gepeppt werden. Die Herzerlsonnenbrille. Oder wenn die Künstlerin einer "Behüteten" diskret Pommes frites von McDonalds zusteckt und einen fettigen Chicken McNugget in die Hand drückt. Und mit den Erdäpfelstangerln, goldgelb in Öl frittiert, Tschuldigung: in Öl gemalt, auch gleich den Vogel (ich tippe auf Eichelhäher) füttert, der sich auf der Schulter der Pommes-Lady niedergelassen hat. Die steht sichtlich auf Geflügel. Ob lebendig oder tot und paniert.

Courbet + Badeanzug = "Floatie" (2018) von Naomi Devil. Der Papagei macht auch irgendwie mehr her als der von der kunstgeschichtlichen Vorlage.
- © Naomi DevilDevil scheut nicht einmal davor zurück, einer Nackten, die kein Geringerer als Gustave Courbet entkleidet hat, was anzuziehen. Einen sexy Badeanzug. (Courbet, das ist der, der den "Ursprung der Welt" gemalt hat. Dieses Skandalbild. Vom Urknall? Blödsinn. Vom weiblichen Unterleib. Und das ist eher kein feministisches Andachtsbild, auf dem eine willige Fruchtbarkeitsgöttin, womöglich die mythische Große Mutter, die Beine spreizt, um das Matriarchat zu gebären.) Aus der delikaten Erotik mit Papagei macht Devil eine stylische Nymphe auf der Luftmatratze. Wie aus einem Modemagazin. (Ihre Szenen baut sie, die zusätzlich zur Malerei an der TU Architektur und an der Angewandten Grafikdesign studiert hat, übrigens zunächst am Computer. In 3D.) Die schnittige Yacht mit einem akademischen Akt im Bikini an Bord, die sollte wiederum längst woanders ankern und nicht in dieser Ausstellung. Der einstige Auftraggeber hat es sich allerdings anders überlegt. Wieso? Ist doch tadellos gemalt. Schon, aber: "Er wollte ein Segelboot und keine Yacht."
Die kleinen Leute sind wirklich nicht sehr groß
Während die Wände dem sinnlichen Spiel mit der Kunstgeschichte frönen, der lust- und humorvollen Vergegenwärtigung der kulturellen Vergangenheit, bevölkern leibhaftige Zeitgenossen den Raum dazwischen. Menschen. Echte Menschen. Die so sind, wie sie sind. Der Leo Mayr sammelt die nämlich.

Menschen mag man eben (und kann man nie genug haben): aus Leo Mayrs Sammlung. (Öl auf Keramik.)
- © Georg Peithner-LichtenfelsSeine kleinen Leute (in drei verschiedenen Größen, von Gartenzwerg bis Large) formt er aus Ton nach flinken Zeichnungen aus seinem Skizzenbüchl, weil er seine Beute aus Prinzip mit dem Stift "erlegt". In freier Wildbahn. ("I geh gern in Hundeauslaufzonen" – ohne Hund. Oder er treibt sich zu Studienzwecken auf dem Viktor-Adler-Markt herum, auf der Hütteldorfer Straße, der Simmeringer Hauptstraße . . .) Weshalb nicht mit der Handykamera? Wäre das nicht viel einfacher, als nachher im Atelier anhand von Drei-Sekunden-Skizzen und ein paar Notizen das Gesehene rekonstruieren zu müssen? "Beim Fotografieren isses immer glei a Eingriff ins Bildrecht."
Außerdem hat der Mayr "a sehr gutes Bildergedächtnis". Die Zeichnung sei lediglich "der Auslöser, dass das Bild im Kopf wieder kommt". Ja, Gürtelschnallen würden verloren gehen, Labels sich ändern, und manchmal lasse ihm ein Kleidungsstück "ka Ruah" wie dieser Pullover, auf dem ein Einhorn einen Regenbogen auskotzt und in den er kurzerhand einen anderen Oberkörper gezwängt hat.

Der Sackerlträger hat eine Botschaft (und Leo Mayr hat ihn ausgeschickt, sie zu verbreiten): "Es keat oanfach viel mehr gschmust."
- © Leo MayrEigentlich ist das, was er macht, auch Malerei. Halt auf einem skulpturalen Untergrund. Öl auf Keramik. Denn Letztere behandelt der frühere Damisch-Schüler, der also im Endeffekt aus der Grafik kommt, nicht streng nach Vorschrift, glasiert er nicht. ("Is ja ka Schüssel.") Hier ist die Dreidimensionalität keine Illusion, wird nicht mittels Schattierungen modelliert, sondern mit den Händen. Okay, recht grobschlächtig. Ein Feinmaler ist er ebenso wenig, der Mayr. Dafür ein genauer Beobachter, der mit wenigen markanten Details ein Individuum erschaffen kann, von dem man das Gefühl hat, ihm irgendwo und –wann bereits einmal begegnet zu sein.
Jede Figur hat ihre eigene Frisur, ihren persönlichen Kleidungsstil, das passende Attribut (Bierdose, Tschick, Rubiks Würfel, ein Strafgesetzbuch . . .) Und allgegenwärtig: die identitätsstiftenden Markenlogos. Soziologie mit künstlerischen Mitteln? Der Versuch, die Gesellschaft Mensch für Mensch zu begreifen und abzuarbeiten?
Hm. Und wie hat er das Kabel von den Ohrhörern so dünn hingekriegt, ohne dass es abgebrochen ist? Er hat schlichtweg ein echtes abgezwickt und an seinen feuergeborenen Burschen dranmontiert. Der Titel des Exponats: "Erhängtamhandy." In einer Wurscht geschrieben. (Wie trennt man das? "Er hängt am Handy" oder "Erhängt am Handy"?) Und das Jutesackerl mit dem Spruch "Es keat oanfach viel mehr gschmust" wurde von ihm genäht, nicht "vertont", nicht aus Ton geknetet.
Das Schweigen der Auster

Zwei im Öl: Naomi Devils Dame mit der Auster (Öl auf Leinwand) und Leo Mayrs Typ mit der Getränkedose (Öl auf Keramik).
- © Georg Peithner-LichtenfelsEin bissl verloren stehen die liebenswert skurrilen Typen herum, schauen mit ihren Glubschaugen, die ihnen der bildhauernde Maler in die Höhlen gedrückt hat, ziemlich belämmert drein, bringen einen zum Schmunzeln, sind einem auf Anhieb sympathisch. Und wo sind die FFP2-Masken? Hat er auf sie vergessen? I wo. "Das is eher so a Trotzreaktion auf die Pandemie." Nachsatz: "I wü die Gesichter sehen. I hab a Bedürfnis danach."
Und warum nennt er seinen Teil der Schau "Mich zwickts immer so im Wadl"? Die Botschaft findet sich zumindest auf keinem T-Shirt. Eh nicht. Das ist ein Gesprächsfetzen, den er wo aufgeschnappt hat. Wie seine Figuren. Auf einmal hat es ihn aber tatsächlich "im Wadel gezwickt". Vor der Vernissage. Sicher was Psychosomatisches.
Erstaunlich gut kommen Devils klassische Malerei und Mayrs unklassische miteinander aus. Blicke werden zugeworfen (einander und dem Betrachter/der Betrachterin), Beziehungen aufgebaut. Die Dame mit der Halskrause zeigt dem bodenständigen Biertrinker, den sie aus den Augenwinkeln ins Visier nimmt, wo der Hummer hängt (über den Teller, auf ihrem Kopf), und scheint ihm obendrein ihre Auster anzubieten. Nein, "Auster" ist kein Euphemismus. In dieser nonverbalen Unterhaltung wirkt die Muschelhälfte auf ihrem Schoß freilich durchaus etwas pikant.