Eine Zirkusprinzessin im pinken Kleid sitzt auf einem Pferd, das stolzer dreinschaut als sie selbst. Im Hintergrund erwächst ein mächtiger, die Trostlosigkeit noch befeuernder Plattenbau. Das Foto aus dem russischen Zelenograd stammt aus der Serie "Russian Circus" von Reiner Riedler. 2004 porträtierte er Artisten und Artistinnen, die dem nach dem Zerfall der Sowjetunion auf der Strecke gebliebenen Nationalzirkus wieder Leben einhauchen wollten. Die Melancholie der Aufnahmen hat in diesen Tagen einen noch längeren Stachel.

Aber auch und vor allem bei den Fotos jener Reihe, die in der Galerie Westlicht in Respektabstand in einer anderen Ecke hängt. Sie zeigt Bilder aus der Ukraine aus den Jahren 1999 bis 2003. Eine Raststation zwischen Kiew und Charkiv, also eher eine liebevoll beschriftete Hütte, vor der sich unter rosa getöntem Himmel einige Männer zur Bierjause auf Plastiksesseln einfinden. Ein Porträt einer Frau in einem Altenheim in Lugansk, Augen, die schon viel gesehen haben. Eine junge blonde Frau im Fake-D&G-Bikini, die unter einem raketenförmigen Militärdenkmal in Krasnodon posiert. Orte, deren Namen man heute täglich in den Nachrichten hört, Orte, die ziemlich sicher nicht mehr so aussehen wie auf diesen Bildern von Reiner Riedler.

Superman im Topkapi Palace. - © Reiner Riedler
Superman im Topkapi Palace. - © Reiner Riedler

Superman im Urlaubsparadies

Die Fotos der Serie werden folgerichtig am Donnerstag, den 17. März in einer Benefiz-Aktion für die Ukraine-Hilfe versteigert. Nicht zur Versteigerung kommt eine frühe Arbeit von Riedler, die auch gewisse Sehnsüchte erweckt: eine Stalin-Statue, die im Winkerl steht.

Nudist auf der Donauinsel. - © Reiner Riedler
Nudist auf der Donauinsel. - © Reiner Riedler

Die Ausstellung trägt den Titel "This side of paradise" und ein großer Anteil der Fotos erzählt davon, wie sich Menschen das Paradies selbst vorgaukeln. Da gibt es die Serie "Fake Holidays", die etwa in das Hotel Topkapi Palace in Antalya führt. Dort ist zur Unterhaltung der Besucher eine wilde Mischung aus Weltennachbau à la Minimundus und Populärkultur-Realwerdung entstanden. Ein einprägsames Bild vereint beides: Da springt ein Superman-Animateur von links ins Bild, im Hintergrund ist die Moskauer Basilius-Kathedrale zu sehen. Gar nicht so selten war der Anblick dieses Nachbaus der erste Kontakt von sibirischen Türkei-Urlaubern mit "ihrem" Wahrzeichen - denn in Moskau waren sie noch nie, erzählt Riedler. Er war auch im Illusionsschwimmbad "Tropical Island", das mitten in Berlin Brandenburg mit künstlichem Horizont die Malediven imitiert. Das geht freilich auch im kleineren Maßstab, wie das Porträt von Michelle im Swingerclub Frivoli mit dem Palmenstrand an der Wand zeigt.

Äpfel auf einer Motorhaube in der Ukraine. - © Reiner Riedler
Äpfel auf einer Motorhaube in der Ukraine. - © Reiner Riedler

Kleine Fluchten aus dem Alltag dokumentiert Riedler in der Serie "This side of paradise": Das GTI-Treffen in Reifnitz zum Beispiel, vertreten mit einem kreisförmigen Bremsrauch-Stillleben und so sparsam tätowierten wie bekleideten Frauen. Oder die Leistungsschau des Bundesheers mit zwei Soldaten in zotteliger Camouflage-Tarnaufmachung, hinter ihnen gibt es Maroniherzen um ein Euro. Oder der Nudistenbereich auf der Donauinsel, repräsentiert von einem im Handstand eine Luftmatratze balancierenden Mann, dessen Penis die Schwerkraft nicht besiegt.

Den Stillstand der Pandemie zeigt Riedler in einer poetischen Serie, die ihn in geschlossene Clubs führte und Erkenntnisse bringt, wie traurig eine Discokugel wirken kann. Und erst die Zimmerpflanze im Cafe Concerto am Gürtel.