Es ist zwar etwas ruhiger geworden um Ai Weiwei, auch weil er seit 2015 als Aktivist viel reist, um Flüchtlingsströme zu observieren für Fotos, Blogs und Filme, die er in internationalen Ausstellungen zeigt. In Wien war zuletzt 2016 ein Tempelnachbau im Belvedere zu sehen. Damals war er gerade ein Jahr im Westen, lebte noch in Deutschland. 2007 bei der Documenta 12 hatte er mit 1.001 Chinesen und der großen Skulptur "Template" aus dem Holz alter chinesischer Tempeltüren einen viel beachteten Auftritt, Letztere wurde dann vom Sturm zerstört.

2009 nach seinen Protesten von der chinesischen Polizei verletzt, rettete ihn der Kurator Chris Dercon vom Haus der Kunst durch eine Spitalseinweisung in München, 2011 wurde er nach Einstellung seines Blogs (2009) und Tilgung aus dem chinesischen Netz in Peking festgenommen und wegen Steuerhinterziehung angeklagt. Die Behörden rissen sein Atelier ab, und erst 2015 bekam er einen Pass und konnte China verlassen. Inzwischen ist er 2019 von Berlin weiter nach England gezogen, wo sein Sohn in Cambridge zur Schule geht, und zuletzt 2020 nach Portugal.

Ai Weiweis Werk "S.A.C.R.E.D. (i) S upper" (2013). 
- © Courtesy Ai Weiwei Studio and Lisson Gallery / 2022 Ai Weiwei

Ai Weiweis Werk "S.A.C.R.E.D. (i) S upper" (2013).

- © Courtesy Ai Weiwei Studio and Lisson Gallery / 2022 Ai Weiwei

Arbeiten aus Lego-Bausteinen

Die erste große Retrospektive des Künstlers in der Albertina modern kam durch einen privaten Sammler zustande, aber auch durch viele Leihgaben des Künstlers. So sind die großen Arbeiten aus Lego-Bausteinen der vergangenen Jahre erstmals zu sehen, mit denen er einen weiten Bogen zurück zu seiner frühen New Yorker Zeit mit Themen und Farbe schließt, aber aktuelle politische Aussagen verbindet. In dem Raum, den er den syrischen Flüchtlingen 2015 widmet, mit eigener Tapete "Odyssee", Filmen wie "Human Flow" und mehr, ist vor allem "Nymphéas" (Seerosen von 2019) erschreckend, da es einen Toten auf dem Meeresgrund in Lego-Farbenspiel zeigt.

Ai Weiwei in "Dropping a Han Dynasty Urn" (1995). - Courtesy Ai Weiwei Studio © 2022 Ai Weiwei
Ai Weiwei in "Dropping a Han Dynasty Urn" (1995). - Courtesy Ai Weiwei Studio © 2022 Ai Weiwei

Ai will nicht zum chinesischen Paradedissidenten reduziert werden, er sieht auch die politische Korrektheit der Europäer sehr kritisch. Im Sinne der Erinnerung an historische Perioden mit all ihren Nachteilen, hält er nichts vom Denkmalsturz postkolonialer Tendenzen. Vor allem aber verweist er mit seinem Kampf für die Freilassung von Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning auf Fragwürdigkeit westlichen Denkens. Ein ganz und gar internationaler Blick bewahrt ihn vor Einseitigkeit; die Ambiguität seiner Kunstwerke reicht daher bis in eine ironische Steigerung des Ready-made-Gedankens von Marcel Duchamp in das Selbst als Ready-made.

"Studien in Perspektive - Eiffelturm" (1999). - © Albertina / Essl Sammlung / Mischa Nawrata / Ai Weiwei
"Studien in Perspektive - Eiffelturm" (1999). - © Albertina / Essl Sammlung / Mischa Nawrata / Ai Weiwei

Nicht heldenhafter Kitsch

Es taucht zahlreich auf in puppenstubenartigen Nachbauten mit Peepshow-Charakter. Seine Zeit als Häftling in China sicher am skurrilsten vorführend, in der Stellung eines vor der türkischen Küste ertrunkenen Flüchtlingskindes in "Nach dem Tod des Marat" 2018 in bunten Legosteinen am Rand der Peinlichkeit. Da wo Pathos kippt, lässt der peinliche Rand zum Kitsch nichts Heldenhaftes mehr zu.

Mit erhobenem Stinkefinger nehmen seine "Studien in Perspektive" nicht nur den Tian’anmen-Platz und dessen blutige Geschichte von 1989 ins Visier, sondern auch alle Symbole staatlicher Macht (Weißes Haus, Eiffelturm, Skyline von Hongkong ect.). Sie tauchen wieder in den Lego-Steinzyklen des Tierkreises auf, der in Gold zurückweist auf den Boxer-Aufstand und die Plünderung Chinas durch die Europäer. Nicht nur Überwachungskameras hat Ai in Marmor nachgebaut, er hebt auch andere Alltagsgegenstände zu eisigkalten Denkmälern hoch auf aussageträchtige Sockel. Das gibt der Schau mit ihrer chronologischen und klaren Ordnung selbst einen kühlen Charakter.

Die Retrospektive "In Search of Humanity" zeigt erstmals die frühen, verwaschenen oder gestreiften Mao-Bilder von 1985, seine Übermalungen und Zerstörungen neolithischer Gefäße, seine Selbstreflexionen in New York von 1981 bis 1993 auf Duchamp, vielleicht sogar Meret Oppenheim mit der bepelzten Schaufel, auf Andy Warhol, aber auch auf konzeptuelle Nachahmer wie Allan McCollum. Trotzdem ist seine Hauptmaxime, dass Kunst eine politische Aussage ist, eigentlich eine Gegenthese der US-Minimal- und Konzeptkunst, die das Kunstmachen selbst reflektiert.

Leitsatz des Aktivisten

Diese fragwürdige Mischung von Gegensätzen und Bedeutungen liebt der Künstler, wie auch das Springen zu Ansammlungen von Schwimmwesten, geborstenem Armierungseisen, Fahrrädern und anderem politisch aufgeladenen Müll. "Alles ist Kunst - alles ist Politik" steht nach wie vor für den Aktivisten, etwas zurückgenommener ist die Aussage: "Ich werde immer dann aktiv, wenn es nötig ist"; so ist der Menschenstrom aus Afrika durch die neuen innereuropäischen Flüchtlingsströme leider hochaktuell, auch wenn Bus und Bahn das Boot abgelöst haben.

Die traditionellen Hocker, Teeziegel, Abrissteile, Sonnenblumenkerne aus Keramik, werden nach den Schwimmwesten sicher bald von neuem ikonischem Sammelmaterial ergänzt. Ai wird aber den Drachen an der Decke und den Modellbau nicht lassen, auch wenn hier seine Architekturseite vernachlässigt wird. Schade, soll doch das Wittgensteinhaus dafür vorbildlich sein. Das Stadtkino zeigt ergänzend sieben Filme des Künstlers in einer Kooperation.