Die nüchterne Orientierungshilfe in Sachen Seelenschau war im Fall von Arnold Schönberg Meyers Konversations-Lexikon und nicht die Werke Sigmund Freuds. In Schönbergs Nachlass findet sich kein Buch des Erfinders der Psychoanalyse. Auch die esoterischen Neigungen der Jahrhundertwende und die hohe Nervosität unter den Künstlerkollegen der Avantgarde sind nicht an diesem Musiker, Maler und Textschreiber abgeprallt. Natürlich neigte auch er zum schwülstigen Gedichtband Stefan Georges "Das Jahr der Seele", der ihn zur Vertonung eines Klavierliedes 1907 inspirierte. Sogar spiritistische Séancen, damals hoch in Mode, wurden im Hause Schönberg abgehalten, aber an die gerufenen Geister wollte der Zwölftöner nicht glauben. Die einzige Berührung zum bekanntesten Seelenforscher Wiens gab es durch den Verleger Hugo Heller, seinen Galeristen. In dessen Kunstsalon zeigte Schönberg 1910 seine kurz davor entstandenen Gemälde, während dieser bis 1919 auch die Zeitschrift "Imago", begründet von Freud, herausgab.
Seele als zentrales Thema
Die Ausstellung "Mit Schönberg in die Seele blicken" umfasst Musikbeispiele, Gemälde, Fotografien und Archivalien - von Büchern über Notenblätter bis Briefe - eingebunden in die Architektur von Jochen Koppensteiner mit jenem großen geschwungenen Tisch, auf dem die Objekte samt Hörstationen übersichtlich präsentiert werden können. Kuratorin Therese Muxeneder hat sich mit der Seele einem zentralen Thema der Jahrhundertwende gewidmet, wobei der konzentrierte Innen-Blick auch die Kunstvorstellungen stark veränderte - das gilt für die Musik wie auch die Malerei. In einer Rede über seinen Leitstern Gustav Mahler sprach Schönberg von der wesentlichen Aufgabe des Kunstschaffenden seiner Tage, Wahrnehmungsorgane zu öffnen, die das Übersinnliche durchdringen: "Unsere Seele soll dieses Auge sein" war sein Rat.

Auf sein maskenhaftes Porträt Mahlers von 1910 folgten wenige Wochen nach dessen Begräbnis 1911 sechs Klavierstücke, die an dessen Achte Symphonie anknüpfen - inklusive dem Ratschlag, die störenden Glocken einer zu seiner Wohnung nahen Kirche in die Kompositionen einzubeziehen.
Rund um und gegenüber der großen Wandtafel mit dem aktualisierten Lebenslauf Schönbergs hängt eine Auswahl seiner Gemälde, wie anfangs der auf Sperrholz gemalte personifizierte "Hass", wohl eine Reaktion auf die Skandale provozierenden Kritiker seiner Musik. In seiner Mitte brennt es, unklar ob in Herz oder Seele. Doch noch mehr spricht die Betonung der Augen das Thema Seele an, wobei das bekannteste Werk, sein "Blick" nach Karl Kraus Vortrag "Die chinesische Mauer" entstand und eine grausame Moritat beinhaltet: die Auffindung einer von ihrem chinesischen Liebhaber getöteten Missionarin in New York: also tote Augen, rotumrandet, da mit ungelöschtem Kalk beworfen. Einflüsse der dunklen Fantastik kamen durch Edward Munch, Oskar Kokoschka, Richard Gerstl, aber auch den intensiven Austausch mit Wassily Kandinsky; hier dokumentiert durch dessen Hauptwerk der Kunsttheorie "Das Geistige in der Kunst". Schönberg beschreibt seine Porträts als reine Konzentrationen auf die Blicke der Porträtierten, während andere den ganzen Menschen erfassen. Dabei ist er Kandinskys Credo abstrakter Farbtöne und Synästhesien zur Musik nahe, denn von der erwachenden Seele und dem Ende der materialistischen Auffassung der Kunst redet dieser schon im ersten Kapitel.
Malerisches Ventil
Seele war für Schöneberg also ein Wechselspiel von logischem Erfassen, intuitivem Formgefühl und unbewussten Empfindungen in der Kunst. Nach einschneidenden Erlebnissen - wie der Tod von Freunden und seiner Frau, oder auch Skandalen und Verfolgung - griff er jedenfalls zu einem malerischen Ventil: Er malte sich selbst, fast könnte man es als ein Vorwegnehmen des Selfies bezeichnen. Meist starr herausblickend wie auch auf Fotos, versucht er, sein Gegenüber seelisch einzufangen. Nur als sein Schüler Alban Berg starb und er 1935 schon in Amerika im Exil lebte, blickt er zum Himmel. Seelenschmerz als erweitertes Sehen, so reflektierten es auch Kokoschka, Ludwig Wittgenstein oder Michail Matjuschin.