Die Albertina besitzt aus der Serie "Waffenruhe" des bekannten deutschen Fotografen Michael Schmidt (1945-2014) eine größere Anzahl von in Gruppen kombinierbaren kontrastreichen Schwarzweiß-Aufnahmen aus der geteilten Stadt Berlin 1985 bis 1987. Sie sind nach seinen Vorstellungen schmal mit schwarzem Metall gerahmt und wirken in freier Kombination mit Leerstellen dazwischen wie eine Installation. Kurator Walter Moser kooperierte dazu mit der Stiftung für Fotografie und Medienkunst, dem Privatarchiv Schmidt und wichtigen Museen in Hamburg, Paris und Madrid. Nach Schmidts Anfängen mit Serien aus den Berliner Bezirken Kreuzberg und Wedding, die sich dokumentarisch und sachlich Architektur und Bewohnern widmen, ist das Opus Magnum "Waffenruhe" düster und widmet sich subjektiv der Berliner Mauer, den jugendlichen Punks, den vielen Brachen und Architekturfragmenten einer im Kalten Krieg geteilten Stadt.
Erfolg in den USA
Ein Foto, das den beim Fluchtversuch im Niemandsland verbluteten Peter Fechter zeigt, wird wie ein düsterer Denkmaltraum von ihm fotografiert und in die Abfolge eingegliedert wie auch einige Farbreste die Linse teilweise wie angewehter Staub und Fetzen trüben. Ein hübsches Punk-Girl ist seine eigene Tochter, die ihm Zugang zur Jugendszene ermöglicht. Existenzialismus und die damals typische kulturpessimistische Sicht, spricht auch der im 1987 entstandenen Fotobuch zur Serie schreibende bekannte Regisseur Einar Schleef an. "Waffenruhe" wurde zum 750-jährigen Jubiläum der Stadt Berlin im Martin-Gropius-Bau gezeigt und ging weiter nach New York ans MoMa. Schmidt konnte damit zu den in Amerika bekanntesten deutschen Fotografen aufsteigen und holte sich Anregungen aus der amerikanischen Szene, etwa vom gleichaltrigen Lewis Baltz.

Schleefs Geschichte eines von persönlichen Verlusten gezeichneten Mannes passt auch auf die Vita des Künstlers. Er kam aus schwierigen Familienverhältnissen, einige männliche Verwandte saßen im berüchtigten Gefängnis Bautzen ein, in den 1960er Jahren arbeitete er als Polizist, begann als Autodidakt nebenbei in Berlin-Kreuzberg, seinem Heimatbezirk, zu fotografieren. Dazu besuchte er Volkshochschulkurse und Amateurklubs, 1976 gründete er eine Werkstatt für Fotografie, um selbst zu unterrichten. Mit Camera Austria knüpfte er schon damals Kontakte.
Die Wandlung vom dokumentarischen Medium zur Kunstform, die er selbst vollzogen hatte, wurde damals in Europa erst langsam begriffen, Schmidt gilt daher als Erfinder der Autorenfotografie. Jeder Fotozyklus ist anders, auch wenn er alte Aufnahmen eingliederte in spätere Serien, korrigierte er seinen Stil, wechselte zuerst von kontrastreichen Aufnahmen in Kreuzberg, durch die Gastarbeiterzuwanderung als "größtes Getto Europas" bezeichnet, bei der Serie in Wedding zu schattenlosem Grau, Architekturdetails und Oberflächen wurden Schmidts Spezialität.
War die soziologische Serie noch ein Auftrag der SPD, wurde die nächste viel konzeptueller. Von der kleinen Kamera wechselte er zu Plattenkamera, technische Raffinessen beschäftigten ihn wie das Atmosphärische. Mit den Brachen- und Mauerbildern hat man wie auch in der auf die deutsche Wiedervereinigung folgende Berlin-Serie 1989/90 das Gefühl auf den Schauplätzen von Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" zu stehen.
Vielseitig und kritisch

Was folgte, war ganz anders: In der bekannten Werkgruppe "Ein-heit" kombinierte Schmidt vorgefundenes Material aus den Medien, teils gerastert, seitenverkehrt oder bearbeitet als ein Tableau von 163 Fotos zur Identität Deutschlands ab 1933, mit Politikerporträts neben Unbekannten; Turnerinnen unter Hitler wie in der nachfolgenden DDR sind kaum zu unterscheiden, ebenso wenig die Aufmärsche. Mitten drin, gerastert und vom Passbild vergrößert, sein eigenes Porträt. Besuchern bietet sich die Möglichkeit, assoziativ die eigene Geschichtsauslegung mit einzuschreiben.
Schmidt blieb vielseitig und kritisch bis in seine letzten Serien, vor allem "Lebensmittel" (2006/10), in der nun Farbe mit schwarzweißen Aufnahmen wechselt und bis in abstrakte Auflösungen die völlig anonymisierten Früchte und Würste der Verarbeitungsbetriebe unserer Massenproduktion vorführt. Verwoben mit Vorbildern aus der Kunstgeschichte, etwa Jean-François Millets Ährenleserinnen, kann er seine Zivilisationskritik gezielt verschärfen.