Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man, geteilte Freude hingegen angeblich eine doppelte Portion Freude. Und eine geteilte Ausstellung? Ist nach wie vor eine ganze. Andererseits bestreiten der Jürgen Paas und der Bodo Korsig in der Galerie Peithner-Lichtenfels (GPLcontemporary) grad eine "Doppelausstellung". Also, was jetzt?
Die Räume und Wände haben die beiden jedenfalls gerecht untereinander aufgeteilt, beim zur Verfügung stehenden Platz brav fifty-fifty gemacht. Keiner muss dem andern folglich neidig sein. Auseinanderhalten lassen sich die Arbeiten sowieso leicht. Die von dem einen sind bunt, die vom andern – weniger. (Abgesehen davon, dass sie nicht so sehr nebeneinander- als sich vielmehr gegenüberhängen. Ein Dialog eben, wo man in der Regel ein Gegenüber hat.) Man weiß immer sofort, was von wem ist. Besonders weil der, der es farbintensiv mag, offenbar auf die simple Geometrie steht, während sich sein Kollege bevorzugt mit den organischen Formen spielt.
Warum ist die Farbe krummer als eine Banane?

Dieses "TARGET" (aufgerollte PVC-Farbbänder) vom Jürgen Paas hat eigentlich weniger ein Ende als ein Etcetera. Theoretisch könnte man schließlich locker noch ein paar Runden dranhängen.
- © Jürgen PaasDer Jürgen Paas verbiegt übrigens Farben. (Zumindest für seine "Targets".) Freilich nicht mit seinen etwaigen mentalen Kräften, sondern mit seinen körperlichen. Und "unter Hochspannung". Die sind dann sogar krummer als eine Banane, die Farben. (Oder als ein Löffel von Uri Geller.) Nämlich kreisrund. Und sie kreisen ein Loch ein. Mit Farben kann man ja nicht bloß malen, man kann sie auch aufwickeln. Zu poppigen "Zielscheiben". Sofern man, wie der Deutsche, PVC-Bandln verwendet. Industriell gefertigte und gefärbte Möbelkanten zusammenstückelt.
Das lose Ende ist aber eigentlich keines. Kein Ende. Eher ein Undsoweiter. Daran zu ziehen, wäre definitiv ziemlich verlockend. Obwohl man eh nicht weit käme beim Abrollen der konzentrischen Ringe, zumal die Bänder an strategischen Stellen verklebt sind. Außerdem: "Würd auch keinen Sinn machen. Als würd man die Ölfarbe in die Tuben zurück-. . ." Verstehe. Der Jürgen Paas muss seinen Satz gar nicht beenden.
Diese runden Scheiben sind quasi der Anfang der Unendlichkeit. Die ersten Meter der Reise. Bzw. hat da jemand immer wieder aufs Neue von vorne begonnen. Wobei eine Bodenarbeit durchaus auf eine stattliche museale Größe anwachsen kann. Fünfeinhalb Meter sind da schon drin. In der Galerie allerdings nicht. Die ist bestenfalls mit einem roten Teppich belegt. Auf den man dafür draufsteigen darf. Ohne sich seiner Schuhe und Socken entledigen zu müssen. ("Wenn ein New Yorker Discobesitzer käme und sagen würde: ,Mach mir nen 15-Meter-Dancefloor, wär ich der Letzte, der Nein sagt." Ergänzung: "Dann müsst man aber mit nackten Füßen tanzen.")
Man entgeht der Bewegung nicht

Wandelbar: Die "JUKEBOX" (Jürgen Paas) von der EINEN Seite . . .
- © Jürgen PaasDie "Targets", diese Tondi, haben ein bissl was von alten analogen Filmrollen. Bunter sind sie höchstens. Film: bewegte Bilder. Und tatsächlich scheinen die Rollen zu rotieren, einen hypnotisieren zu wollen. Pop-Art ohne P, sprich Op-Art. Op von "optical". Zwar ist jede Kunst irgendwie "optisch", nur die Op-Art ist es halt besonders. Hat diverse visuelle Effekte. Und die potenzieren sich, wenn der kreisaffine Künstler, dessen Geburtsort Krefeld laut Wikipedia witzigerweise eine "kreisfreie Stadt" ist, ein komplexeres Ensemble komponiert, in dem sich die Kreise mit verschiedensten Durchmessern obendrein teilweise überlappen. Oh, ein Septett mit zwei Solisten, die sich etwas abseits herumdrücken, sich nicht ins fast psychedelische Getümmel stürzen.
Schallplatten drehen sich bekanntlich ebenfalls (und die Nadel, die sich in die Musik versenkt, folgt einer Spirallinie, diesen "Jahresringen" des "Vinylbaums"). Musik und Farbe haben ja überhaupt ein intimes Verhältnis. Töne haben Farben (Klangfarben), Farben wiederum Töne (Farbtöne), sind äußerst musikalisch. Wie Paas "Jukeboxen", die viereckig sind wie klassische, nein, nicht Musik, sondern Tafelbilder. Die spielen gewissermaßen eine pittoreske Musik ab. Oder besitzen sie dynamische Klangfarben?

. . . und von der ANDERN Seite. Oder EINER andern Seite. Mit jedem Blickwinkel ändern sich die Farben.
- © Jürgen PaasLamellenbilder, die im Vorbeigehen Farben und Muster wechseln. Die machen dem Betrachter also Beine, bringen ihn dazu, sich zu bewegen. "Das macht er doch automatisch", muss mich der Paas natürlich korrigieren. "Es gibt ja keinen Betrachter, der immer am selben Fleck verweilt." Okay.
Selbst faule Betrachter, die zielstrebig auf das petrolgrüne Sofa im Kabinett zusteuern, der Sogwirkung der einzigen Sitzgelegenheit nicht widerstehen können, selbst die müssen zuerst an einem melodischen Chaos in freien Rhythmen vorbei, das sich im Augenwinkel zu orangen und blauen Streifen ordnet. Man entgeht der Bewegung nicht. Der Farbdynamik. Nicht einmal "davonsitzen" kann man ihr. Und der Trick? Die Lamellen, die auf der monochromen Platte, auf einer Grundstimmung, montiert sind, in den Schlitzen stecken, haben eben zwei Seiten. Und die sind meistens nicht gleich. Drum ist es genau genommen falsch zu behaupten, so ein Opus wäre ein Bild. Betonung auf "ein". Es beinhaltet so viele Bilder, wie es Blickwinkel gibt.
Das Leben ist zu kurz, um ein Saxophon herzustellen
Die Einzelteile für seine "Materialmalerei" lässt sich der Paas bequem liefern. ("Wenn ich ins Saxofon oder die Oboe oder die Klarinette blase, muss ich die nicht vorher herstellen.") Er machts wie "die großen Maler" (Paas), die ihre Farben ebenso wenig selber produzieren. ("Das Leben ist viel zu kurz.") Und beschränkt sich auf den kreativen Part. Aufs Komponieren, Verdichten. Stellt sich dabei Fragen, die er auch mit dem Pinsel in der Hand hätte. Wo platziere ich welche Farbe, zum Beispiel. Abstrakte Kunst mit einem strengen System, das trotzdem (und bei aller perfektionistischen Präzision) noch Raum für den Spieltrieb übrig lässt.

Schwarzer Stahl wirft roten Schatten: Ein "hidden mind" (2016) von Bodo Korsig.
- © Bodo KorsigDas Runde muss nicht immer ins Eckige. Manchmal ist es bereits dort. In der "Beatsticks"-Serie etwa. Da betätigt sich der Paas als Schlagzeuger. Und als traditioneller Maler. Technik: Acryl auf Multiplex. Multiplex? Ja. Sperrholz mit jeder Menge Furnierlagen. Mit der Vielschichtigkeit von Manner-Schnitten. Der Malgrund: quadratisch. Darauf ein Kreis, auf den alle möglichen Farbtöne niederprasseln wie Schlägel auf die Trommelmembran, ohne dass sich die beinah mikadostäbchenartig verteilten haptischen Striche, die man für Klebefolie halten könnte, jedoch überschneiden. Zufall mit Berührungsängsten.
Wie man einen Schatten zum Erröten bringt
Die Werke des einen kommen gern lautstark, knallig daher (farblich sind sie oft regelrechte Diven), die vom Bodo Korsig mögen stiller sein, was aber nicht heißt, sie wären weniger präsent. Oder gar unscheinbar. Vor der Wand schwebende schemenhafte Gebilde aus geschwärztem Stahl werfen ominöse rote Schatten.

Die Ausstellung steht ihnen gut: Der Galerist mit seinen beiden Künstlern und seiner Dolly. Georg Peithner-Lichtenfels (Mitte), Bodo Korsig (links, von ihm sind auch die Arbeiten an den Wänden, nämlich die Serie "reboot" und das Stahlobjekt "luck of desire") und Jürgen Paas (rechts hinten). Ach ja: Und die Dolly ist das einzige Mädel.
- © Bodo KorsigUnd wie, bitte, hat der im sächsischen Zwickau geborene Künstler den Schatten eines (wohlgemerkt: schwarzen) Objekts erröten lassen? (Nicht, dass ich mich das nicht genauso fragen würde, wenn der Korsig aus dem nordrhein-westfälischen Wuppertal stammen würde oder aus Gelsenkirchen.) Irgendwas mit der Beleuchtung? Sozusagen. Die "hidden minds" (2016) verstecken wirklich was. Hinten. Ihre Rückseite hat verborgene Talente, ist mit einem fluoreszierenden Wahnsinnsrot angestrichen, das vom Weiß der Wand reflektiert wird. Ein raffiniert sinnliches Zwiegespräch zwischen dem Handfesten und der flüchtigen Erscheinung. Wenn es sich bei dem, was sein Mitaussteller macht, um Materialmalerei handelt, dann ist das vielleicht eine "Materialgrafik".
Daneben wird beinhart gemalt. Auf Leinwand, auf Papier. Doch egal, ob Stahl oder Öl: Korsigs vertraut rätselhaftes biomorphes Vokabular glaubt man aus dem Biologieunterricht zu kennen. Synapsen? Nervenzellen mit ihren lustigen Fortsätzen (den Dendriten)? Primitive Lebewesen? Und ist das eine Drüse? Oder ein enthaarter Haarfollikel? "luck of desire": Eine Weggabelung der Signalübertragung? Sinnesreize am Scheideweg?
Zutzilla – König der Schnuller
Korsig bringt den Mikrokosmos groß raus oder abstrahiert die Formenwelt, mit der wir aufwachsen, die sich einem einprägt, ins Gedächtnis einbrennt. "Ich hab einen Schnuller, der vier Meter groß ist." Notgedrungen anderswo. Wo die Räume höher sind. Und logischerweise ist der zum Aufhängen und nicht zum In-den-Mund-Stecken. ("Das war die erste Verarsche als Kind. Du willst den Nippel und kriegst den Gummi, um ruhiggestellt zu werden." Hat er deshalb den Schnuller "als Keule" wiederauferstehen lassen? Als monströsen Zutzilla? Frei nach Godzilla?)

Eindeutig was Biologisches: Bodo Korsigs "living memories".
- © Bodo KorsigPapierarbeiten (Weiß auf Schwarz – "Schwarz gibts ja 1000 verschiedene"), die an Gewebsstrukturen denken lassen, haben den Titel für die gemeinsame Schau spendiert: "Reboot." Bilder aus dem Kopf (und das ist ganz wörtlich gemeint), die nun passenderweise den Teil von uns beschäftigen, von dem sie handeln: das Hirn.
Moment: Neustart. Was wird neu gestartet, rebootet? Die ewig untote Malerei? Die Kunst generell? Der Ausstellungsbetrieb? Die Normalität? (Stichwort "Corona".) Der Verstand, der sich in der neonormalen Realität zurechtfinden muss? Wurscht. Die Augen kommen in dieser Ausstellung auf ihre Rechnung. Sogar wenn sie mit total altmodischen Blicken um sich werfen.