"I würd jetzt ned mei Familie verkaufen." Das hätte ein Menschenhändler ebenfalls sagen können. Trotzdem wars ein Maler. Der Martin Veigl. Der seine Leinwände lieber mit wildfremden Personen füllt als mit welchen, die er kennt oder mit denen er gar verwandt ist. ("Da kann i mi mehr auf die Malerei konzentrieren.") Schließlich malen die Maler ihre Bilder nicht bloß, sie veräußern sie außerdem. Oder lassen das ihre Galeristen für sie tun.
"Moments under Construction" (Momente im Bau) heißt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Gerersdorfer – nicht. (Sondern "Blickfang".) Es könnte aber der Titel sein. Der gebürtige Steyrer (mit y, weil er 1988 im oberösterreichischen Steyr geboren worden ist und nicht irgendwo in der Steiermark) bastelt sich nämlich nicht zuletzt gern selber einen Moment zusammen, konstruiert ihn aus den Fragmenten, die der Alltagsfluss angeschwemmt bzw. die der Künstler mit der Kamera im Strom des Lebens aufgeschnappt hat. Ein schmissiges Opus (eine pittoreske "Baustelle") nennt er bezeichnenderweise "Im Aufbau des Moments".
Die hellsten Pigmente? Photonen!
Für das Bruchstückhafte hat er sichtlich ein Faible. Überall löst sich der figurative Realismus in der puren, ungegenständlichen Malerei auf, aus der Passanten auftauchen, um in ihr zugleich unterzugehen. Sind diese großzügigen, ungestümen Pinselspuren, ist dieses abstrakte "Fluid" zwischen den sonnenbeschienenen Körpern womöglich dieser ominöse "Urban Flow"?

Der Alltag macht einen Ausflug ins Schönwetterblau. (Aus Martin Veigls Serie "Capture", 2022.)
- © Martin Veigl, Courtesy: Galerie GerersdorferVeigl: "Es is immer so vü los, dass es gar ned greifbar, fassbar is. Ma kann eigentlich nur mittreiben, sich treiben lassen." Also mit der Hektik. Und nicht einmal der Moment ist ein Stillleben, nicht einmal das Elementarteilchen der Zeit, das Letztere auf den Punkt bringt, zu einem Augenblick verdichtet, nicht einmal das hält lange genug inne, dass man es einfangen kann. Jedenfalls ist die Zeit flüssig wie die Farbe, verrinnt. Panta rhei.
Lediglich das Wetter verflüssigt sich nicht. Bleibt penetrant trocken. Nie regnet es. Veigls Technik: Öl und Licht auf Leinwand. Denn dermaßen sonnig und hell ist es da, als hätte der Maler Photonen in seine Farben hineingemischt. Als zusätzliches Pigment. Als Stimmungsaufheller. Kitschiges Sentimental-Rosa, erfrischendes Swimmingpool-Türkis: Anscheinend ist hier jemand ein Romantiker, der sich in die maskenfreie Unbeschwertheit vor der Zeitenwende, vor Corona, zurückmalt. (Dazu passt, dass eine Serie "Street Romance" betitelt ist.)
Gerät, das aus Lebenden Untote macht
Hm. Irgendwas stimmt mit der alten Normalität nicht. Genau: Niemand starrt auf sein Smartphone. Was in höchstem Maße irritierend ist, zumal wir gerade eine Smombie-Apokalypse durchmachen. ("Smombie": ein Kofferwort aus "Smartphone" und "Zombie".) Mit umherwandelnden lebenden Toten, die nicht auf den Straßenverkehr achten, doch wenigstens nur nach Likes lechzen und nicht nach Menschenfleisch.

Ich seh etwas, was sie nicht sieht: gute Malerei. ("Small Gesture" von Martin Veigl.) Auf dem Bild sind übrigens DREI Hände: die zwei vom Modell und die "Künstlerhand", die sich ebenfalls gestisch einbringt.
- © Martin Veigl, Courtesy: Galerie GerersdorferDie handlichen Geräte, die die Lebenden zu Untoten transformieren, hat der Veigl den Leuten kurzerhand weggenommen. Auf seinen Bildern herrscht striktes Handyverbot. Dementsprechend hat er die Schnappschüsse vom Getümmel, die ihm als Inspirationsquelle dienen, mit einer "richtigen" Kamera gemacht. Apropos Handy und Wischen. Doppelt gestisch: die "Small Gestures". Kleinformate mit isolierten Händen, zu denen sich die "Künstlerhand" gesellt (die beschaulich expressive Malgeste).
Und wo genau hat der heute in Haag, Niederösterreich, ansässige Veigl die anonyme Herde der Städter aus intimer Nähe fotografiert? "Das ist ein Betriebsgeheimnis." Bloß so viel verrät er: In Österreich wars. Tja, wer auf seinen ökologischen Fußabdruck achtet, setzt eben auf Regionalität. Selbst bei seinen Motiven.
Blickkontakte, zwischenmenschliche Dynamik. Dennoch ist der Einzelne in der Masse meist allein. Sogar dann, wenn die Augen gleichgeschaltet sind, alle vom selben Ereignis fasziniert zu sein scheinen, ein gemaltes Publikum gebannt irgendetwas außerhalb des Gemäldes betrachtet wie man selbst das Bild. Veigls offenkundige Lust am Malen geht nahtlos in die Schaulust des Betrachters über.