In seinen Briefen an André Breton machte Sigmund Freud klar, dass er selbst mit der modernen Kunst wenig anfangen konnte.
Die Briefbeziehung hielt zwar bis 1937, nachdem Breton 1921 den Erfinder der Psychoanalyse in der Berggasse besucht hatte, doch distanzierte Freud sich klar von den methodischen Vergleichen der Künstler. Dennoch publizierte Breton in den surrealistischen Publikationen auch die Gegenstimme. Selbst Freuds Weigerung, zu einer Traumanthologie beizutragen, druckte er ab, um den Anschein eines wissenschaftlich-künstlerischen Austausches zu wahren.
Die Verbindung mag also einseitig sein, aber vorhanden ist sie, und schließlich war die Begeisterung für Freuds neue Wissenschaft prominent durch die vielen persönlichen Interpretationen einzelner Künstler in Frankreich vertreten. Dies trug 1938 entscheidend zum Engagement bei, den jüdischen Wissenschaftler aus der Gefahrenzone der Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen.
Magische Blicke

Der Ausstellungsbereich der Sonderschau "Surreal! Vorstellung neuer Wirklichkeiten" umfasst die vorderen Wohnräume der Familie Freud. Die Schau bringt auf dem Platz aber hundert Werke von fünfzig surrealistischen Künstlern - meist Arbeiten auf Papier und kleine Skulpturen - unter und teilt sich in siebzehn Kapitel, die teils thematisch einzelne Künstler umfasst. Auch die Künstlerinnen Dorothea Thanning, Meret Oppenheim, Toyen (Marie Čerminova) sind vertreten.
Die Werke stammen aus der Privatsammlung von Helmut Klewan, der sich früh der surrealistischen Begeisterung von Maria Lassnig, Arnulf Rainer und Edgar Jené anschloss. Sie umfasst, zusätzlich zu Zeichnung und Malerei, auch Literatur und Fotografie.
Die Radierung mit dem Bildnis Freuds von Hermann Struck ging von Klewan als Schenkung ans Museum. Die neuen Arbeitsweisen wie etwa die Frottage Max Ernsts oder die Collage, die neben Oppenheim auch Herbert Bayer neben Überblendungen (Mehrfachbelichtungen) in der Fotografie verwendete, setzen den erweiterten Kunstbegriff in Gang.

Pablo Picasso verbindet antike Mythen mit der Ästhetik des Surrealismus: "Minotaure aveugle guidé par une fillette dans la nuit" (der blinde Minotaurus, in der Nacht von einem Mädchen geführt, 1934).
- © Oliver OttenschlägerDie Arroganz der Vernunft
Raoul Ubac erfand eine weitere Verfremdungstechnik, die "Brûlage", bei der er das Glasnegativ durch Erhitzen teilweise zerstörte, dabei aber den Zufall und den "automatischen" und damit den unbewussten Vorgang hervorkehrte. Die Befreiung von der "Arroganz" der Ratio war - ganz im Gegensatz zu Sigmund Freuds Denken - auch für die Kerngruppe um Salvador Dalí, Yves Tanguy, André Masson und für die Phase Pablo Picassos um 1917 entscheidend.

Bilder, die nur erinnerten Träumen folgen: "Somnambule" (1940) von Victor Brauner.
- © Bildrecht, Wien, 2022Das Interesse an der Sexualität, Begehren und Melancholie (mit Hans Bellmer und Kurt Seligmann), magische Blicke (Paul Delvaux) aber auch der Rückgriff auf Fantastik und Symbolismus, stellen zu Freuds Anregungen, etwa für Dalís "paranoisch-kritische Methode", ein ganzes neues "Hoheitsgebiet der Halluzinationen" (Victor Brauner) dar.
Den einzelnen Gedankenfäden psychischer Zustände wird in dieser Schau genau nachgegangen und ebenso der Erweiterung des Surrealismus von Europa nach Amerika über Roberto Matta oder Man Ray, wo die automatische Handschrift der Surrealisten schließlich mit dem Action Painting neue Tore öffnete.