Was, bitte, ist eine "Inundate"? Ach so, englisch wird das ausgesprochen. Und nicht mit einem langen a. Der Titel von Sarah Pichlkostners Schau voller fragiler Momente und Situationen reimt sich folglich gar nicht auf "Tomate", "Kantate" oder "Koordinate". Und was heißt das Wort auf Deutsch? Überfluten, überschwemmen, aha. Gut, das ist vielleicht ein bissl übertrieben. Wasser enthält die Ausstellung in der Galerie Hubert Winter jedoch durchaus.

Gleich beim Eingang wird man in Echtzeit angestarrt. Vom linken Auge der Künstlerin auf einem Monitor. Wenn ein Augenblick die Zeit zwischen zwei Lidschlägen ist, dann dauert Pichlkostners Augenblick – ziemlich lange. Die Salzburgerin (1988 in Schwarzach im Pongau geboren), die an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert hat, zwinkert, kneift besagtes Auge zusammen, quetscht Tränen aus ihm heraus. Die emotionalste Flüssigkeit. Mit Salz und Gefühlen angereichertes H2O gewissermaßen. 

Der Brunnen macht es spannend

Und während sie das Wasser am Anfang selber produziert, kommt es am Ende, im hintersten Kammerl, aus dem Brunnen. Minutenlang glotzt man konzentriert auf den hängenden Tropfen, traut sich kaum zu blinzeln, um nicht zu verpassen, wie er fällt, nämlich in unregelmäßigen Abständen aus einem Glaskolben in einen randvollen schlanken Metallzylinder, der daraufhin überschwappt, über den Rand "tränt".

Der Brunnen (rechts) von Sarah Pichlkostner lässt sich Zeit. Einen Harndrang verspürt man in seiner Gegenwart jedenfalls NICHT. 
- © SIMON VERES, Courtesy: Sarah Pichlkostner und Galerie Hubert Winter, Wien

Der Brunnen (rechts) von Sarah Pichlkostner lässt sich Zeit. Einen Harndrang verspürt man in seiner Gegenwart jedenfalls NICHT.

- © SIMON VERES, Courtesy: Sarah Pichlkostner und Galerie Hubert Winter, Wien

Ein faszinierender Zeitmesser, der einen sofort in seinen Bann zieht. Und Zeit ist bekanntlich relativ. Oder misst das geheimnisvolle Gerät die Geduld? Von der hat ebenfalls nicht jeder gleich viel. Drei Tropfen hab ich durchgehalten. Definitiv das spannendste Exponat (das es obendrein spannend macht), wenngleich auch sonst oft eine innere Spannung oder eine ANspannung zu spüren ist. Das Prekäre, Labile.

Eine Stange balanciert auf ihrer Spitze, in herabbaumelnden "Pendeln" schlummert eine latente Bewegung. Überall erzählt das Material (Aluminium, Messingketten, Glas) eigene Geschichten. Von Reflexionen zum Beispiel. Oder instabilen Verhältnissen. Oder scheint eben wieder darüber zu sinnieren, über das Augustinus einst gesagt hat, wenn ihn niemand danach frage, wüsste er, was es sei, sobald er allerdings versuchen würde, es jemandem zu erklären, wüsste er es nimmer. (Was die Zeit ist, war übrigens sein philosophisches Problem.) 

Am Strand liegen lauter Zeit- und Gezeitenzeugen herum

Der Tropfen fällt. 
- © SIMON VERES, Courtesy: Sarah Pichlkostner und Galerie Hubert Winter, Wien

Der Tropfen fällt.

- © SIMON VERES, Courtesy: Sarah Pichlkostner und Galerie Hubert Winter, Wien

Eine mundgeblasene, bunt verspiegelte Glaskugel, der also quasi das Schweigen eingehaucht worden ist, bildet fast immer das Kernstück eines Gebildes, sein zerbrechliches "Herz". Oder ist das Tüpferl auf dem i. Mitunter ein individuell zerdepschtes "Klümpchen". Das Alu-Konstrukt auf dem Boden wiederum ist so etwas wie ein (simples) Geschicklichkeitsspiel. Vom richtigen Blickwinkel aus schiebt sich das Ringerl als Pupille ins stilisierte Auge. Das Blau aus einem Beamer, das von schwebenden metallenen Kreisbögen zurückgeworfen wird, erzeugt eine kühle Sinnlichkeit, und der Stein, den Pichlkostner am Strand gefunden und später in ein Objekt mit eingebaut hat, dieser Zeitzeuge, Zeuge der Zeit und Ge-zeiten, der mit seinem Loch in der Mitte viele, viele Jahre beglaubigen kann (steter Tropfen höhlt den Stein), der hat beinah was Naturromantisches.

Trotz der Luft- und Leichtigkeit und insgeheimen Poesie dieser Skulpturen, die ein Volumen mehr andeuten, grafisch umschreiben, als es auszufüllen, insgesamt freilich eher sperrig. (Auf den Tropfenbrunnen lass ich aber nix kommen.)