Sabine Folie hat 2022 als neue Direktorin die Sammlungen der Akademie (Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Glyptothek) übernommen. Sie ist in Wien keine Unbekannte und so verwundert ihre differenzierte Strategie des ersten Ausstellungskonzepts und die Konfrontationen der alten Gemälde zur Gegenwartskunst kaum, auch nicht die anspruchsvollen theoretischen Anregungsquellen, aus denen diese gespeist werden.

Der Titel verbindet "Das unbekannte Meisterwerk" von Honoré de Balzac mit einer Novelle Edgar Allen Poes: "The Purloined Letter" handelt von einem entwendeten Brief, wobei die Täuschung in beiden Texten als Strategie auftaucht, aber auch die Paraphrasen des Begriffs "Meisterwerk".
Augentäuschung

In zehn Kapiteln gibt sie uns immer wieder abschweifende Kunstgeschichten vor, nur eine Linie als Parcours wäre für Folie die falsche Option, mit dem diebischen Vergnügen des "Ausleihens" aktuell umzugehen. Bis Herbst wird die Schau begleitet von Aktivitäten, dabei sind auch noch interessante Vorträge zur Kunsttheorie zu erwarten.
Im ersten Saal etwa verweist der Übertitel auf einen der spannendsten Protagonisten zur Mata-Malerei, Victor I. Stiochita und sein Buch "Das selbstbewusste Bild". Die Augentäuschung und das Darstellen der Malkunst selbst wird vom barocken Theoretiker und Trompe lil-Maler aus Holland, Samuel van Hoogstraten, vertreten, zu dem eine Skulptur von Lili Dujourie aus den 1980er Jahren kongenial korrespondiert, aber auch die Strategie des Fotogramms oder die Geste der Pinselspur, letztere von Klaus Scherübel gefilmt, stellen hier eine archäologische Spur der Medien durch die Jahrhunderte her. Danach werden die zahlreichen alten Seestücke der Sammlung, frei nach Marcel Broodthears Blick auf das Ultramarin des Meeres oder die Muschel, neben Allen Sekula, auch als politischer Raum neben dem Poetologischen beleuchtet.
Mit der "Fischhändlerin" von Abraham van Beyeren kommt auch die sexuelle Metapher zu den Themen Ökologie und Ausbeutung von Arbeit. Danach sind Porträts als "Subjekte an der Schwelle" der Erweiterung der Zeit zwischen Absolutismus und Aufklärung verschrieben, neben Maria Theresia von Martin van Meytens der wichtige die Akademie erneuernden Direktor, Adam Philipp Graf Losy von Losymthal; beide werden mit Ulrike Grossarths Untersuchungen der Kleiderhüllen, Perückenschachteln zwischen Produkt und Abfall konfrontiert. Die "Burlesken Verschiebungen - Klassenoperationen" folgen auch im nächsten Abschnitt, wobei Scherübel neben Daniel Chodowiecki auftaucht. Zu den als Schäfer verkleideten Künstlern (Barent Fabritius) kehrt Broodthears wieder. Den Bettlern Jacques Callots und Rembrandts folgen Landschaften als neues Genre, das eine Menge Gesellschaftskritik zu verpacken vermochte, die Landflucht bleibt allerdings auch ein Thema des 20. Jahrhunderts. Heutige Verwendung der schäbigen Kleidung der Arbeiterklasse bei aktuellen Modemachern kommt neben Rodney Graham und Jeroen de Rijke/Willem de Rooij inspirierend hinzu. Zum Schwarz Rembrandts oder in Blumenstücken Rachel Ruyschs korrespondiert Martin Beck mit seiner Flower-Serie, gefolgt von der "Blauw naakt" Lili Dujouries, die minimalistisch den "Ennui" der Nouvelle Vague mit der nackten "Venus" Lucas Cranachs und Peter Paul Rubens wunderbaren Gemäldeskizzen in Beziehung setzt.
Geträumte Ektasen
Rubens dionysische Identifikation mit dem Silen als Alter Ego zur klassischen Mäßigung antiker Skulpturen, voller "edler Einfalt und stiller Größe" (Johann Joachim Winckelmann), gibt den Gipsen aus dem Keller wieder Ausgang, dabei der Antinoos oder der Eidechsentöter nach Praxiteles.
Eine performative Auftrittsmöglichkeit Marcello Malobertis schließt an und Albert Paris Güterslohs Werke harren möglicher Wiederentdeckung. Den geträumten Ektasen folgt im Raum mit dem Weltgerichts-Triptychon von Hieronymus Bosch eine Gegenüberstellung im Sinn "Gotischer Transparenz": die Baurisse von Laurenz Spenning, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes aus dem Kupferstichkabinett, können nur bis Juni dem Dämmerlicht ausgesetzt werden. Grossarths Tänze ergänzen. Im Korridor setzen Marienbilder gegenüber verchromten Schaufensterpuppen, samt Papiereinkleidung von Anna Sophie Berger fort, bis am Ende der Künstler bei der Arbeit (Canova contra Export) das Bild abrunden.