Mit diesem Garten stimmt was nicht. Der ist so . . . grau. Okay, angeblich ein Zen-Garten. Und ein solcher ist bekanntlich eine Steinwüste. Mehr oder weniger. (Gekämmter Kies und dazwischen ein paar größere Gesteinsbrocken, hallo?) "Kare-san-sui" sagen die Japaner dazu. Ausgetrocknete Landschaft. Wenngleich die mit dem Rechen gezeichneten Spuren im Zen, Tschuldigung: Sand (bzw. Kies) Wellen symbolisieren sollen. Ein Gewässer. Und das ist üblicherweise nass. Aber wenigstens das Moos wäre doch grün, oder?
Nicht, dass der Christian Mühlbauer Moos angepflanzt oder den eh schon grauen Fußboden vom Bildraum 01 auch noch mit Tonnen von Kies "gesteinigt" hätte. Zwei Zen-"Lackerln" hat er höchstens gemacht. Bildraum, wohlgemerkt. Betonung auf "Raum". Drinnen. Obwohl: Ein Lebensraum kann durchaus draußen sein. Leben tut hier freilich ohnehin nix mehr. Bestenfalls still vor sich hin. Als Stillleben. Wobei das im Französischen bezeichnenderweise eine "Nature morte" ist, eine tote Natur.
An den Fressfeind der Natur verfüttert
Die verhungerten "Bäumchen", die der in Wien lebende Deutsche zu einem schütteren Wäldchen arrangiert hat, sind demnach Zimmerpflanzen. Nur dass sie halt nicht aufs Topferl gehen, es sich um keine Topfpflanzen handelt. Stubenrein sind sie trotzdem. Schließlich müssen sie nicht gegossen werden. Sind so gesehen genügsam und pflegeleicht wie Plastikblumen. Betonpatscherln haben sie übrigens an. Sie wurzeln in runden Podesten. Sonst würden sie ja umfallen.

Zwei "Future Plants" (Eisen, Blüten, Draht, Beton, Pigment) von Christian Mühlbauer besuchen die Gegenwart.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Verdorrten Königskerzen, die dem Künstler irgendwann in Nürnberg untergekommen sind (die waren allerdings braun, nicht grau), denen sind diese Gewächse nachempfunden. Eisenstange, Draht, echte Blüten. ("Die blühen gelb. Kann man auch n Tee draus machen.") Und das Ganze dann in Beton eingetunkt, diesem Fressfeind der Landschaft quasi ins Maul gestopft. (Jedenfalls versiegelt dieser gefräßige Baustoff gern den Boden. Macht die Erde, über die er sich drüberwälzt, unfruchtbar. Ist – und frisst – wie der nimmersatte Asphalt.)
Und was an diesen "Future Plants", die keineswegs ausnahmslos grau sind (es gibt sie zudem in Mauerblümchen-Beige und einem rötlichen Ton) soll jetzt so futuristisch sein? Dass sie aussehen wie Fossilien einer traurigen Zukunft, in der der menschengemachte Klimawandel (und der menschengemachte Beton) der Botanik den Rest gegeben hat? Konservierung gelungen, Leben tot? (Erinnert fast ein bissl an die Mücke im Bernstein.) Pikanterweise gelten Königskerzen als Heilpflanzen. Bei einer Erkältung zum Beispiel kommen sie zum Einsatz. Gegen die Erderwärmung können sie dagegen offenbar nichts ausrichten. Moment: Erkältung? Ach, Pflanzen können einen Schnupfen kriegen? Oder sie husten, wenn sie sich verkühlen? Nein. Nicht, dass ich wüsste. Und eine kranke Natur kann man mit Königskerzentee (als Gießwasser) generell nicht gesundpflegen.
Beton mit und ohne Be-
Jö, sogar das Wasser ist versteinert (gewissermaßen), mit dem zwei der einbetonierten Pflanzen – sinnbildlich – bewässert werden. Der Mühlbauer hat nämlich die Stängel mit geharkten konzentrischen Kies-, falsch: Betonkreisen umgeben. Mit einer erstarrten, ausgehärteten Zen-"Pfütze" jeweils. Die flüchtigen Furchen haben sich permanent in die rohe Masse eingegraben, wurden haltbar gemacht. Für immer fixiert. Oder auf alle Fälle bis zum Ende der Ausstellung. Zumal sich der, der sie gezogen hat, selber nicht hundertprozentig sicher ist, ob sich die vor Ort erzeugten "Baumscheiben" unversehrt vom Bodenbelag kletzeln werden lassen oder beim Versuch kaputtgehen werden. ("Muss man schauen.") Eine Meditation über den aktuellen Zustand der Natur?

Steinskulptur? Nein, Keramikvase. (Das kantige Weiße im Vordergrund.) Oben hat das bildhauerische Ding vom Christian Mühlbauer nämlich ein Loch.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Was der Künstler zusammengeführt hat, darf der Sammler jedoch sehr wohl trennen. Den Garten auseinanderreißen. Jedes hagere Pflänzchen hat sein eigenes Betonpatscherl. Und der Urheber fragt sich überdies: "Wie performt so ein Objekt in einem Wohnzimmer, neben dem Sofa?" Vermutlich mehr wie eine – defekte – Stehlampe als ein Philodendron. "Kunst in einer Ausstellung ist cool", meint Mühlbauer. "Aber wie funktioniert sie weiter, wenn sie gekauft wird?"
Sockel stehen ebenfalls welche herum. Keine herkömmlichen eckigen aus Holz. Zylinderförmige aus Beton! Und die fügen sich mit ihren skulpturalen Objekten oben drauf harmonisch in die Installation ein. Fallen dort zumindest nicht unangenehm auf. Die zwei weiß glasierten, hohlen Keramiken, die Voyeure aufgeilen, weil immerhin kann man in sie von oben hineinspechteln, einen Blick hineinwerfen: Blickfänge also? Eyecatcher, in die sozusagen die Augen purzeln? Na ja, eigentlich sind das – Vasen. Passen mit ihrer Leere perfekt zu dieser dystopischen Vision. Weil bald werden womöglich keine Blumen mehr vorhanden sein, die man pflücken könnte, um ihnen beim Welken zuzusehen. Eine Vase ohne Inhalt (bis auf die darin wie Pingpong-Bälle herumkullernden imaginären Augäpfel – Stichwort Eyecatcher) kann unter Umständen genauso beredt über die Vanitas schweigen, wie ein üppiger Strauß von ihr ausschweifend erzählt.
Wenn der Zeiger der Sonnenuhr abbrennt
Dass die Vasen weniger wie angewandte Kunst wirken als wie eine, die nicht zu gebrauchen ist, liegt vielleicht an ihrer Unvollkommenheit. Eine unpersönliche Glätte kann man ihnen eindeutig nicht unterstellen. Und das wiederum kommt daher, dass ihr Schöpfer ein experimentierfreudiger Bildhauer ist. Nicht aus Ton hat er die Gefäße geknetet, wiewohl sie daraus bestehen. Aus einem Styrodur-Block hat er sie vielmehr herausgearbeitet. Mit einer Flamme, die dabei zu seinem feurigen Meißel geworden ist. Um die Form nachher mit Gießkeramik abzunehmen. Gleich dreimal hintereinander wurden die Vasen aus dem Feuer geboren: Beim Modellieren, sprich bei ihrer Gestaltwerdung, beim Brennen des keramischen Materials im Ofen und zuletzt während des Glasurbrands.

Man beachte die weiße Scheibe mit dem dünnen Staberl auf dem Sockel ganz links. Der Christian Mühlbauer hat da jedenfalls keine Sonnenuhr gebastelt.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Und was hat es mit diesem mysteriösen Scheibchen auf sich, in dessen Mitte ein Staberl steckt, das einen Schatten wirft? Eine Sonnenuhr, die mangels konkreter Zahlen und sonstiger Skalierung schlicht die Vergänglichkeit anzeigt, das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit? Kein Zeit-, sondern ein Zeitlichkeitsmesser? Des Pudels wahrer Kern, die richtige Lösung dieses Rätsels, ist zugegebenermaßen desillusionierend: ein Räucherstäbchenhalter. Oh. Dafür ist das Design denn doch etwas mickrig. Da mag das Räucherstäbchen im zentralen Loch noch so teuer sein. "He, habt ihr mal n Feuer?", fragt der Künstler in die Runde. Er will den anwesenden Nasenlöchern sein Opus vorführen. Respektive den nicht gerade billigen Duft.
Und die Reliefs an den Wänden? Wachsabgüsse von diversen natürlichen Strukturen? Von schorfiger Rinde, rauen, zerklüfteten, von Wind und Regen zerfressenen Oberflächen? Moulagen von der Erosion höchstpersönlich? Oder Lebend-, wenn nicht gar Totenmasken der Natur selbst? I wo. Der Mühlbauer hat selber Erosion gespielt. Hat sich wieder mit dem "Feuermeißel" ins Styrodur versenkt, mit dem Feuer, diesem zerstörerischen und erschaffenden, schöpferischen Element zugleich, diese rosa Platten heimgesucht, die typischerweise an Hauswänden angebracht werden. Zum Energiesparen. Damit man beim Wohnen weniger heizen muss.
Welches Haarwachs verwenden die apokalyptischen Reiter?
Da ist sichtlich einer Feuer und Flamme für die Wärmedämmung. Doch ausgerechnet mit dem Brenner auf besagte Dämmplatten loszugehen und dabei Hitze zu produzieren und CO2 freizusetzen (das Molekül des Bösen), um das Resultat am Schluss in wärmeempfindliches Paraffinwachs zu transformieren (werden aus Letzterem nicht Kerzen gemacht?), das hat was. Macht die Sache komplexer, als es zunächst den Anschein hat. Sprechende Materialien zwischen Widerstandsfähigkeit und Fragilität (Beton mit und ohne Be-, Wachs, Blüten . . .), und überall ein Subtext, den man mitlesen kann, aber nicht muss, weil die Arbeiten einem auch "ohne" was mitzuteilen haben.

Die Reliefs aus Paraffinwachs könnten genauso gut die Totenmasken der Natur sein. Könnten. Rechts: Hat der Christian Mühlbauer hier ein Stückl von einem Baumstamm abgegossen? Nein, das ist wieder eine Blumenvase. (Ohne Blumen. Also emanzipiert.)
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Hm. Erwähnt die Offenbarung aus der Bibel nicht irgendwelche wilden Reiter? Heißt die ziemlich apokalyptische Schau deshalb "Rough Rider" (obwohl kein einziger Hufabdruck auszumachen ist)? Mühlbauer weiht mich ein: "Das ist ein Haarpflegeprodukt. So n Haarwachs." Was nicht unbedingt bedeutet, das Präsentierte wäre lediglich was für den Kopf. Wäre kopflastig. Diesen kryptischen, weil nicht gerade selbsterklärenden Titel hat der Künstler gewählt, weil es hier "ums Shapen, um Struktur" gehe. "Außerdem verwend ichs selber." Alles klar. (Mir kommt plötzlich ein surrealer Gedanke: Buddhistische Mönche, die den Kies in ihrem Zen-Garten frisieren, reiben vorher ihren Rechen damit ein. Mit "Rough Rider".)