Was ist der Unterschied zwischen der Mona Lisa und einem Klavier? Eigentlich lautet die Scherzfrage ja, was eine Geige von einem Klavier unterscheidet. Witzigerweise ist die Antwort aber eh genau dieselbe: Das Klavier brennt länger. Feuer kommt in dieser Ausstellung allerdings sowieso lediglich im Titel vor ("Fire and Stone"). Die Mona Lisa nicht einmal dort. Trotzdem haben die Bilder von Larissa Leverenz etwas mit Leonardo da Vincis berühmtestem Damenporträt gemeinsam.

Nicht, dass da irgendwer lächeln würde. Dafür wurden sie ebenfalls auf Holz gemalt. Noch dazu auf Pappelholz. Okay, die kleineren auf das von der Linde. Und das wäre der Künstlerin sogar lieber. Wenn es das in größer gäbe, würde ihre Bilder folglich wieder weniger viel mit der Mona Lisa verbinden. Abgesehen davon, dass sie um einiges "hölzerner" sind, das Holz mit seinem blassen Teint und seiner Maserung kräftig mitmischt.

Während die Mona Lisa genauso gut auf Leinwand gemalt sein könnte. (Außer man glaubt, ihre mysteriöse Mimik käme daher, dass das Brett, auf das sie gepinselt worden ist, sich grad so weit, weil Holz schließlich arbeitet, unter der Ölfarbenschicht bewegt hätte, dass es der Gioconda, der Heiteren, den linken Mundwinkel leicht hochgezogen hat. Rätsel gelöst.) Wurscht. Oder Pappel. Bzw. Linde. Rätselhaft sind die Sachen von der Leverenz jedenfalls genauso. Wie das Lächeln der Mona Lisa. Und sie würden wahrscheinlich ebenso empfindlich auf Streichhölzer reagieren. Auf Geigenmusik? Nein. 

Nicht nur der Himmel seufzt Wölkchen

Brennen tut hier also nix (höchstens das Licht in der Galerie, der Galerie Ulrike Hrobsky). Andererseits: Wo Rauch ist, ist auch Feuer, oder? Und ziehen durch diese bunten, surrealen Gefilde, in denen sich fremdartige Wesen ("meine Geister und Kreaturen") und vertraute Dinge herumtreiben, etwa nicht dauernd dekorative weiße Schwaden?

Auf diesem grünen Planeten, erschaffen nicht von irgendeinem Urknall, sondern von Larissa Leverenz, wird sichtlich viel geraucht. ("Der Doppelgänger", 2022.) 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Auf diesem grünen Planeten, erschaffen nicht von irgendeinem Urknall, sondern von Larissa Leverenz, wird sichtlich viel geraucht. ("Der Doppelgänger", 2022.)

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

1978 in Köln geboren, lebt Leverenz heute in Wien und in ihrem eigenen Paralleluniversum, in dem der Mensch zugleich abwesend und allgegenwärtig, weil insgeheim offenbar die dominante Lebensform ist. Denn wer, wenn nicht er hat wohl überall Fahnen hineingerammt? Zugegeben, keine Nationalfahnen, sondern vorwiegend rote. Und selbst wenn sichtlich jemand Gebietsansprüche erhebt, diese fantastischen Landschaften erobert hat, kann man die Gemälde natürlich dennoch käuflich erwerben. Dann wird wiederum vermutlich so ein rotes Punkterl jeweils daneben an der Wand picken.

Streng genommen handelt es sich freilich nicht um Gemälde. Oder nicht nur. Das sind technische Hybriden, famose. Malerei, Zeichnung und Siebdruck (Letzteren unterrichtet Leverenz obendrein an der Wiener Angewandten, wo sie nach einem Designstudium in Münster selber einst Grafik studiert hat), diese drei Gattungen verschmelzen so unlöslich miteinander (zu Konglomeraten aus Alltäglichem, Visionärem, poppig Plakativem, Organischem, Spiralen . . .) und die Grenzen zwischen ihnen verwischen dermaßen, dass man oft gar nimmer sagen kann: Ist das gemalt, gezeichnet oder gedruckt? Was im Endeffekt ja ohnedies ziemlich egal ist. Narrative Fantasien, in denen Wölkchen wie Seufzer herumgeistern. 

Die Hände der Schöpfergöttin

Besonders reichlich beflaggt: das Opus "No Man is an Island". Kein Mensch ist eine Insel. Dabei hat anscheinend jeder die seinige als sein Revier markiert. (Und ein Homo sapiens pinkelt halt nicht einfach auf seinen Besitz drauf.) Schwerelos schweben die grünen Landstücke, die ein bissl aussehen wie Schirmchen (oder wie Eierschwammerln), in der Luft. Oder fallen sie? Sind Fallschirmchen? Oder sind das lauter isolierte Grüns vom Golfplatz, bloß dass die Fähnchen eben anzeigen, wo man die Blicke einlocht? Erstere ziehen Zweitere zumindest auf sich.

Der Mensch ist ja so besitzergreifend. Muss überall seine Fahne reinstecken. Beschauliches (hier fliegt man jedenfalls nicht mit dem Privatjet, sondern dem Privatzeppelin) von Larissa Leverenz: "No Man is an Island" (2022) 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Der Mensch ist ja so besitzergreifend. Muss überall seine Fahne reinstecken. Beschauliches (hier fliegt man jedenfalls nicht mit dem Privatjet, sondern dem Privatzeppelin) von Larissa Leverenz: "No Man is an Island" (2022)

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Und die Hände der Schöpfergöttin quasi, der Künstlerin nämlich, die ins Geschehen eingreifen, den aufsteigenden Rauch (?) festhalten, fallen als lebensgroße Schatten auf die Szene. Als Schattenrisse. Anderswo gibt’s die dazugehörigen Beine. ("Das sind meine. Weil ich nichts anderes hatte.") Sehr persönliche Arbeiten demnach. Manchmal stammen die Extremitäten jedoch auch von Freundinnen. ("Die mussten ihre Hände hergeben. Wie Schablonen.") Dass die Bilder "unmenschlich" wären, komplett menschenleer, weil sich keiner von unserer Spezies aus der Deckung wagen würde, das stimmt somit nicht ganz. Und wer steuert außerdem diese Zeppeline? (Äh, der Autopilot? Vielleicht sind die ja von Tesla.)

"A Nebulous Conversation" (2022): Da werden wolkige Sprechblasen ausgehaucht. Und irgendwer (na ja, die Larissa Leverenz) hat seine Handschuhe verloren. 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

"A Nebulous Conversation" (2022): Da werden wolkige Sprechblasen ausgehaucht. Und irgendwer (na ja, die Larissa Leverenz) hat seine Handschuhe verloren.

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Spuren hinterlässt er auf alle Fälle, der Mensch. Verliert seine Handschuhe in der Botanik, inmitten von Kakteen und exotischen Pflanzen. Oder seine hingefetzten handschriftlichen Kritzeleien (Leverenz: "Wie wenn du einen Kugelschreiber ausprobierst, ob er noch funktioniert") kriechen wie skripturale Würmer über den Boden. Fast möchte man Wörter in dem spontanen, automatischen Gekrakel entziffern, das sogar Schatten wirft. Botschaften aus dem Unbewussten? An der Schwelle zur Lesbarkeit? 

Wer hat denn da die Wüste gesteinigt?

Die zerdepschten Kreise, die die Leverenz immer wieder nonchalant ausstreut, mit denen sie ihre Welten gewissermaßen grafisch abschmeckt, würzt, wie andere ihre Suppe mit Salz oder Maggi, das sind übrigens Gummiringerln. Gedruckt. Nein, nicht wie beim Kartoffeldruck. Anfärbeln und auf die Unterlage pressen. Vielmehr Direktbelichtungen auf dem Sieb, diesem feinmaschigen, auf einen Rahmen gespannten Gewebe, durch das beim Siebdruck die Farbe gestrichen wird. Wäre es nicht simpler gewesen, mit einem Stift kurzerhand ein paar Kringel zu machen? "Ich mag banale Objekte, die ich in ein anderes Licht rücke", bekennt die Künstlerin, die überdies die Ketten von Jalousien auf dem Sieb platziert, mit diesen regelrecht zeichnet.

Jö, der grüne Felsbrocken sieht ja tatsächlich wie eine versteinerte Amphibie aus: "Der Frosch." Larissa Leverenz hat diese Mischtechnik (Acryl, Tusche und Siebdruck auf Holz) 2022 fertiggestellt. 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Jö, der grüne Felsbrocken sieht ja tatsächlich wie eine versteinerte Amphibie aus: "Der Frosch." Larissa Leverenz hat diese Mischtechnik (Acryl, Tusche und Siebdruck auf Holz) 2022 fertiggestellt.

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Und die versprochenen Steine? ("Fire and Stone", wohlgemerkt. Feuer und Stein.) Die setzt sie in der Raster-Wüste aus. Verteilt die Felsbrocken über ein geometrisch konstruiertes Flachland, steinigt die sich perspektivisch in die Tiefenillusion erstreckende Ebene. (Einer gibt Rauchzeichen, pafft wie ein Schlot.) Oder verwickelt die schroffen "Ballaststoffe" in Ballanceakte.

Balanceakte und krakelnde "Würmer" aus der Fantasie (und der Hand) von Larissa Leverenz: "Die Waage" (2023). 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Balanceakte und krakelnde "Würmer" aus der Fantasie (und der Hand) von Larissa Leverenz: "Die Waage" (2023).

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Zwei Trümmer (wobei sich das eine bei genauerer Betrachtung bald als Steinmauer herausstellt) verharren beispielsweise auf Kugeln in einem prekären Gleichgewicht. Beinah berühren sich sie beiden, küssen sich Natur (der Stein) und Kultur (die Mauer). (Ballaststoffe? Für den bösen Wolf schon, dem man im Märchen das gefressene Rotkäppchen und dessen Großmutter per Kaiserschnitt aus dem Bauch herausoperiert hat, um diesen nachher mit Steinen zu füllen, die zwar nicht die Verdauung angeregt haben, doch so "sättigend" waren, dass das haarige Raubtier an seinem Übergewicht gestorben, von ihm erdrückt worden ist, es nimmer ertragen hat.) 

Der Plural von Malerei – äh, Maler-Eier?

Landschaft und Stillleben mögen sich nicht immer sauber auseinanderdividieren lassen (zudem entgrenzt sich Erstere mitunter ins Kosmische), Letztere scheinen freilich der Gravitation zu huldigen. Na ja, bis auf das "Black Egg" eventuell. Das steht auf der dunklen Seite des Lichts, sprich im Finstern aufrecht wie das weiße (oder braune?) Ei des Kolumbus, ohne dass es unten einer plattgedrückt hätte. Ist ein Spitzentänzer. Und geheimnisvoll wie Stanley Kubricks Monolith aus dem Sci-Fi-Klassiker "2001: Odyssee im Weltraum". Das ominöse Maler-Ei? Obwohl: Malerei, die. Der Plural von dieser ist bekanntlich Malereien und nicht Maler-Eier. Und sind in der Nacht nicht alle Eier mindestens grau? Was aus dem da schlüpfen mag? Der Tag?

 Larissa Leverenz hat dieses Ei, das schwarz und obskur ist wie Kubricks Monolith ("Black Egg", 2022), bestimmt nicht gelegt. Eh nicht. Sie hat es hingestellt. 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

 Larissa Leverenz hat dieses Ei, das schwarz und obskur ist wie Kubricks Monolith ("Black Egg", 2022), bestimmt nicht gelegt. Eh nicht. Sie hat es hingestellt.

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Die Kartoffeln sind dann aber eindeutig geerdet. ("Erdäpfel", hallo?) Und entsprechend dreckig. Authentisch. Die Masse gibt sich der Trägheit hin. Masse nicht im Sinne von "große Anzahl, Menge", sondern im Sinne von "Schwere der Materie". Nichtsdestotrotz kann sie durchaus kommunikativ sein, die Knolle. Einmal ist sie da offenkundig in ein Gespräch vertieft. Mit einer . . . Salatgurke? Sondert eine – gut: leere – Sprechblase ab wie ein beredtes Schweigen. Oder ist das schlichtweg der Odem des Lebens? Des Stilllebens? Stilllebens? Das hier nämlich keine Nature morte ist, keine tote Natur.

Und die "Gurke"? (Oder Kartoffel, die vor Neid oder Ärger ergrünt ist?) Stottert. Spuckt grüne Und-so-weiter-Punkte aus. Sind die gesprayt? Wurde das Holz mithilfe des Airbrushs, der Luftpistole, mit feinen Farbpartikeln bestäubt? Falsch. Das ist ein Druck. Weil die Künstlerin stets die Kontrolle behalten will. Und ein Sprühnebel lässt sich nicht kontrollieren. Drum ist das Ganze "digital gesprüht" (Leverenz). 

Godzilla versus Erdapfel

Monumental wirken die Kontrahentinnen. Speziell mit dem eingeschüchterten, mickrigen, hm: Essiggurkerl (?) zwischen ihnen. Eine Konfrontation wie Godzilla versus King Kong. Nur ohne Zähne und – Beine, um sich fortzubewegen und aufeinander losgehen zu können.

Kartoffeln werden zu friedfertigen Monstern, zu gestrandeten sanften Riesen, Murmeln zu Planeten. Das Kleine zeigt innere Größe nach außen, zumal sich Leverenz gern mit den Proportionen spielt, mit dem Mikro- und dem Makrokosmos jongliert, überhaupt äußerst verspielt ist. Was nicht heißt, dass da kein Ernst dahinterstecken würde. Keine Fragen gestellt werden würden. Wo sind die Grenzen? Wovon ernähren wir uns in Zukunft? (Von Kartoffeln, wovon sonst?) Und während man sich in dieser vertraut fremden Welt, wo es viel zu erkunden gibt, neugierig umschaut, kann man diese sogar selber weiterausmalen, weil sie noch Raum für die eigene Vorstellungskraft lässt.

Eine originelle Geschichtenerzählerin, die ihren Stil gefunden hat.

Stein mit Fernweh: Der Kleine dürfte Sehnsucht nach dem Weltall haben. Titel dieses Werks  von Larissa Leverenz: "Universe of a Stone No. 1" (2023). 
- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023

Stein mit Fernweh: Der Kleine dürfte Sehnsucht nach dem Weltall haben. Titel dieses Werks  von Larissa Leverenz: "Universe of a Stone No. 1" (2023).

- © Larissa Leverenz, Bildrecht 2023