Die Materie denkt, also ist sie, nämlich geistreich. Denn der Geist wird sich den Körper, in dem er haust, ja wohl nicht ausgedacht, einfach zusammenspintisiert haben, oder doch? Wobei: Einfach ist da gar nix. Das uralte Leib-Seele-Problem geistert jedenfalls anscheinend durchs Loft 8 und materialisiert sich in den Bildern von Zhang Wenrong. Sowohl in denen, die an der Wand stillhalten, als auch in den bewegten auf dem Flatscreen.
Das legt zumindest der Titel der ziemlich mystisch melancholischen und leicht surreal angehauchten Schau nahe, die in Zusammenarbeit mit der heuer ihr zehnjähriges Bestehen feiernden Blue Mountain Contemporary Art (BMCA) verwirklicht worden ist, einer Sammlung von zeitgenössischer chinesischer Kunst. (Inzwischen mit Sitz in Wien. Seit ihrer Übersiedlung aus Peking.) Und? Wie lautet er nun, der Titel? "Her Body doesnt Fit Her Soul."
Der Kopf ist der Hoffnung zu klein
Irgendeiner Seele passt demnach der ihr zugewiesene Körper nicht. Die Haut ist schließlich lediglich für das physische Darunter maßgeschneidert. Für alles andere könnte sie durchaus ein paar Nummern zu klein sein. Und tatsächlich entweicht bei einem Mädel und bei einem alten Mann, der mit sich selber allein und dessen Spiegelbild seine einzige Gesellschaft ist, etwas Immaterielles, ein inneres Leuchten, bricht aus der Enge des Schädels aus, aus dem Gedankengefängnis, und erhellt als einzige Lichtquelle die Dunkelheit. Wie ein Hoffnungsschimmer.
In der Malerei selbst ist die Farbe im Zwiespalt, ist pastose Substanz und "vergeistigt" zu feinen, fast unstofflichen Transparenzen, überwindet die Schwerkraft. Zwei starke Gemälde, die durch ihre Rätselhaftigkeit faszinieren und ihr Geheimnis letztlich für sich behalten.

Mysteriöse Lichter: Die Erleuchteten von Zhang Wenrong ("Me and You", 2014, Öl auf Leinwand) erhellen die Finsternis und das Loft 8 vielleicht noch mehr, als es die Fenster tun.
- © Hanna GassnerDas mit dem unpassenden Körper hat sich Kuratorin Alexandra Grimmer übrigens von Wim Vandekeybus ausgeborgt, dem belgischen Choreografen, der 1993 eine Performance mit teils blinden Tänzern so genannt hat. "Es geht um Licht und Dunkel", hat dieser damals vermerkt, "um Sehen und nicht Sehen – aber nicht um Blinde." Bewegung machen die Bilder des 1982 in der Provinz Gansu geborenen Künstlers, der in Sichuan Malerei studiert hat und mittlerweile in Shanghai lebt, ebenfalls. Zu einem Ticken, dem Marschrhythmus der Zeit, die unaufhaltsam durch seinen Animationsfilm "Territory" schreitet (begleitet von erhabenen Gesängen). In gerade einmal drei Monaten hat Zhang Letzteren anno 2013 "heruntergezeichnet". Das Kernstück der Ausstellung.
Seelenlandschaft mit Sehenswürdigkeiten
Reflexionen in zweifacher Hinsicht: Spiegelungen und Überlegungen. In der realfilmischen Anfangsszene erinnert sich ein alter Mann (der jüngst verstorbene Onkel des multimedialen Malers und Zeichners) an die Vergangenheit, entdeckt im Spiegel, diesem Gerät zur Anfertigung von Selbstporträts, das an sich kein Gedächtnis besitzt, sein kindliches Selbst, das wiederum in das Ding, das gute Reflexe hat und alles zurückwirft, alles reflektiert, quasi hineinköpfelt, bevor die animierte Zeichnung übernimmt, wo sich Strich und Farbe immer wieder zu einer düsteren Atmosphäre verdichten. Das traditionelle und das moderne China, dazwischen ein taumelnder Mao. Das einzig Beständige ist der Wandel, die permanente Veränderung. Metamorphosen treiben die (alb)traumhafte Handlung voran, laufend verwandelt sich hier das eine in das andere.

Breitet seine Schwingen über einem düsteren China aus: der Phönix, nachdem er sich im Animationsfilm "Territory" von Zhang Wenrong aus der Asche erhoben hat. Und kommt auf seinem Weg beim Oriental Pearl Tower vorbei.
- © BMCA CollectionOder das eine frisst das andere. Ein dauernder Kampf um Leben und Überleben, der ewige Kreislauf von Geburt und Tod. Der Säugling krabbelt in die Pubertät, vergreist und humpelt am Stock gewissermaßen in die Asche, aus der der Phönix aufsteigt, um dann majestätisch über eine eher unwirtliche Seelenlandschaft zu fliegen, durch trostlose Heimatgefilde mit touristischen Sehenswürdigkeiten und superlativischen Wahrzeichen. Der Shanghaier Oriental Pearl Tower (ein Fernsehturm) oder die Pekinger Sendezentrale des staatlichen Fernsehens erheben sich da markant aus der schwarzen Tusche.

Blick in das Ding mit den guten Reflexen: in den Spiegel. Auch diese Szene (hier auf Papier) hat Eingang in die sich durch ständige Metamorphosen weiterspinnende Handlung von Zhang Wenrongs Animationsfilm "Territory" gefunden.
- © BMCA CollectionSpontan kommt mir jetzt seltsamerweise die letzte Strophe aus Joseph von Eichendorffs naturlyrischer "Mondnacht" in den Sinn: "Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / Als flöge sie nach Haus." Das Ganze hat eben trotzdem was Romantisches, diese beschaulich dystopische Ruhe vor der Apokalypse. Was Schwarzromantisches, meinetwegen. Und wo landet der feueraffine Vogel, der sich brennend fürs Leben interessiert? Im Nest. Respektive auf einem kahlen Baum in unmittelbarer Nähe davon, vom Nationalstadion in Peking (Spitzname "Birds Nest" – Vogelnest), das anlässlich der Olympischen Sommerspiele 2008 errichtet worden ist. Zhangs Phönix legt zwar kein Ei, doch dafür schlüpft aus diesem selber ein Küken. Ein menschliches. Ein Baby.
Bewegung beim Trockenschwimmen
Gefragt, was seine Themen seien, hat Zhang einmal geantwortet: "Das Leben und Träume." In "Territory" amalgamiert er beides gekonnt und eindringlich zum Existenziellen. Einigen Blättern aus dem Film kann man sozusagen beim Trockenschwimmen zusehen, sprich: wie sie auf der Wand mehr oder weniger flüssige Bewegungsabläufe Bild für Bild nachvollziehen. Sich etwa Kreide und Wasserfarben ins Expressive hineinsteigern, wenn ein Selbstporträt des in Ketten gelegten Künstlers verzweifelt nach der Freiheit schreit. Autobiografische Visionen folglich? Oder allgemeinmenschliche? Jö, Doktor Dolittles Stoßmich-Ziehdich! Dieses Lama ohne Hinterteil, aber stattdessen mit zwei vorderen Hälften, mit zwei Köpfen. (Lama? Ist mehr ein Schaf. Bzw. sind es zwei halbe Schafe.)

Zhang Wenrong bringt Kreide und Wasserfarben zum Schreien: ein paar Vorlagen für "Territory". (Der Animationsfilm läuft gleich daneben.)
- © Hanna GassnerWie Fußnoten oder figurative Anmerkungen sind in Nischen und Winkeln kleine, intimste Acryl-Öl-Mischtechniken regelrecht versteckt (Andy Warhol, eine Nackerte, eine rauchende Engländerin . . .). Entspannungsübungen, Improvisationen (vielfach nach gefundenen Fotos, medialen Bildern), die er gern macht, der Zhang, um sich von der großen Malkunst, von den großen Formaten zu erholen.
Zeitungen sind im sprudelndsten Sinne des Wortes eine elementare Inspirationsquelle für ihn. In seinem "Water"-Projekt dreht er beispielsweise einen stinknormalen Wasserhahn auf und heraus plätschert Zeitungspapier, das Stadt und Land nach und nach überschwemmt, weil wer die Presse kontrolliert, wer die Nachrichtenhoheit hat, der regiert die öffentliche Meinung, hat die Macht. Keine Sintflut, eine Printflut. Wie sich der Informationsfluss (oder der Desinformationsfluss?) seinen Weg bahnt (durch diverse Gegenden in freier Wildbahn, auf der Chinesischen Mauer . . .), diesen geilen Trickfilm, für dessen Realisierung (oder Surrealisierung) Zhang über 12.000 Assistenten engagiert hat, kann man sich freilich nicht im Loft 8 geben. Allerdings auf der BMCA-Homepage: https://www.bmca-art.com.
Den Pinsel in die Einsamkeit eintauchen
Apropos bahnen. Konkret: Eisenbahn. Singular. Auf viereinhalb Quadratmetern Leinwand wartet Zhangs Onkel wie die personifizierte Sehnsucht geduldig auf den Zug, der längst abgefahren ist, zumal die Gleise schon vom Grünzeug überwuchert werden. Die Natur ist fleißig dabei, sämtliche menschlichen Spuren auszulöschen und sogar den ein bissl verloren mittendrinsitzenden Onkel zu verschlucken. Wieder eine "unberührte" Natur, eine pure, menschenleere Landschaft zu werden. Der Titel des Ölgemäldes bemerkt den Onkel nicht einmal mehr: "The Great Landscape." Das Opus heißt auf alle Fälle nicht "Uncle Waiting for the Train." Traurig.
Selbst den Pinsel scheint Zhang in diese Stimmung eingetaucht zu haben. Im hellen, dunstigen Himmel löst sich die Farbe in Luft und Licht auf, auf der Erde wachsen die Pinselstriche wie Grashalme. Eine sensible, nuancenreiche Malerei der leisen, gedämpften Töne, Untertöne und Zwischentöne. Ob da jemand wirklich seinen Onkel in der Wildnis ausgesetzt hat, oder hat er insgeheim die Einsamkeit des Malers vor der Leinwand gemalt?

Warten auf den abgefahrenen Zug: Zhang Wenrong hat seinen Onkel in der Wildnis, in "The Great Landscape" (2014), ausgesetzt.
- © BMCA Collection