Piggyback? Ja. Huckepack auf Englisch. Warum? Machen die Engländer (oder Amerikaner) das denn anders als wir? I wo, so heißt einfach die Schau. Und zum Huckepack (gibt’s das überhaupt als Substantiv? Laut Wikipedia schon, im "Österreichischen Wörterbuch" kann man freilich lediglich jemanden huckepack tragen oder nehmen – adverbiell), wurscht, dazu gehören jedenfalls immer noch zwei. Und tatsächlich stellen in der Galerie Reinthaler gerade der Michael Huey und der Florian Nährer gemeinsam aus. Der eine ein Hüter der Erinnerung, eine Art Archivar, der sucht, findet und neu kontextualisiert, der andere ein Maler. Aha, und wer trägt da wen? Eigentlich beide sich gegenseitig.

Obwohl natürlich keiner auf den anderen angewiesen wäre. Dass ihn der durch die Ausstellung schleppen müsste. Sie passen schlichtweg verdammt gut zusammen, mögen dieselbe Farbe, nämlich die Farbe Bunt (bzw. lassen sie eine Präferenz erkennen für Rosa, Türkis, Gelb . . . – Nährer: "Wir haben uns aber nicht abgesprochen"), haben beide ein Faible für färbige Rahmen ("Zufall – oder Gedankenübertragung", meint Huey), und ihre Kunst ist irgendwie "gestört". Mit voller Absicht. Weist mehr oder weniger subtile Brüche auf. Sorgt für Irritationen. Hat vermeintliche Schönheitsfehler und Mängel. Könnten das Hommagen an die berückende Schönheit der Unvollkommenheit und an den Nonkonformismus sein? 

Sessel bellen nicht

Michael Huey, der ursprünglich aus der Malerei stammt (und aus den USA, sprich 1964 in Traverse City, Michigan, geboren worden ist) und mittlerweile in Wien lebt und archiviert (und nimmer gegenständlich malt, sondern mit den leibhaftigen Gegenständen hantiert), der arbeitet bevorzugt mit Fundstücken, mit fremden Hinterlassenschaften, lauscht deren Geschichten. Ein leidenschaftlicher Sammler von Gewöhnlichem und Besonderem und allem, was ihn anzieht und "Erfahrung" hat.

Diese zwei Sessel sind schuld. Nur ihretwegen trägt die Schau den Titel "Piggyback" (Huckepack). Weil die von Michael Huey kombinierten alten Sitzgelegenheiten aus dem Wien der vorvorigen Jahrhunderwende genauso heißen. Die knalligen Bilder an der Wand hinten (links: "Have a Very Nice Day!", rechts: "It's All About a Pure Soul") hat übrigens der Florian Nährer gemalt. 
- © Michael Huey, Courtesy: Galerie Reinthaler

Diese zwei Sessel sind schuld. Nur ihretwegen trägt die Schau den Titel "Piggyback" (Huckepack). Weil die von Michael Huey kombinierten alten Sitzgelegenheiten aus dem Wien der vorvorigen Jahrhunderwende genauso heißen. Die knalligen Bilder an der Wand hinten (links: "Have a Very Nice Day!", rechts: "It's All About a Pure Soul") hat übrigens der Florian Nährer gemalt.

- © Michael Huey, Courtesy: Galerie Reinthaler

Einen Vierbeiner hat er, der Germanistik und Kunstgeschichte studiert hat, etwa auf der Straße aufgelesen, einen Streuner quasi, und dann mit einem anderen, den er zufällig daheim hatte, gepaart, und herausgekommen ist schließlich das titelgebende und zentrale Exponat der Ausstellung. Hm. Ist das nicht Tierquälerei? Wenn von Hunden die Rede wäre, möglicherweise. Da es sich jedoch um Stühle handelt . . . Äh, wie paart man die? Indem man sie zum Beispiel aufeinanderstellt. Wie die Bremer Stadtmusikanten. Nix Unzüchtiges demnach. 

Dinge im heiratsfähigen Alter

Auf dem eigenen Dachboden (in der Vorhölle des Vergessens sozusagen – oder in einer davon) hat der Künstler ("Ich tu immer wieder Dinge verheiraten, die nicht zusammengehören") also eine kleinere Version jenes Modells entdeckt, dem er ein neues Heim in seinem Oeuvre gegeben hat. Um daraufhin die Ehe des größeren Sessels, der sichtlich einiges mitgemacht, erlebt hat (der Lack blättert ab, die halberte Rückenlehne fehlt), mit dessen besser erhaltenem Mini-Me, seinem Echo, zu vollziehen.

Zwei urige Wiener, auf denen theoretisch bereits Gustav Klimt oder Egon Schiele hätten gesessen haben können. Und wahrscheinlich sind sie noch ein paar Jährchen älter als das allererste Readymade von Marcel Duchamp, dem Vater des Readymades (und Mitbegründer der Konzeptkunst), der 1913 das Vorderrad eines Fahrrades samt Gabel verkehrt herum auf einem Hocker (ebenfalls ein Vierbeiner, bitte) montiert hat.

Michael Huey stört anscheinend gern. In dem Fall ein mehr als 100 Jahre altes schwarzweißes Idyll. (Aus der Serie "Disturbance", 2022.) 
- © Galerie Reinthaler

Michael Huey stört anscheinend gern. In dem Fall ein mehr als 100 Jahre altes schwarzweißes Idyll. (Aus der Serie "Disturbance", 2022.)

- © Galerie Reinthaler

Readymade? Fertigkunst. Ein zum Kunstwerk erklärter industriell fabrizierter Gebrauchsgegenstand. Im Falle des Hocker-Radls halt eine Assemblage aus zweien. Das Sessel-Duo wiederum, diese verschieden-gleiche Verdoppelung, hebt ein rosa Podest von den Niederungen des Alltags ab und in die Sphäre der Kunst empor. 

Die Erinnerung hat ein Schlüsselloch

Auf einem anderen Sockel, diesmal einem hellblauen, schwelgt ein mysteriöses Holz-Objekt in Nostalgie, besinnt sich auf sein früheres Dasein als . . . Tür ("An Object’s Memory of Its Life as a Door"). Ein Bekannter von Huey, Joe Nedow, hat diese Zeitzeugin aus Amerika, die locker 100 Jahre auf dem Buckel hat, dekonstruiert (nicht, dass Türen bucklig wären), hat das Holzbrett zerstückelt und zu einem Regal umoperiert, das er später wieder loswerden wollte. Um 90 Grad gekippt, könnte man sicher wirklich Bücher darin deponieren. So hingegen ist es einem zunächst ein Rätsel, ein handfestes, das durchaus das Zeug zum Sockel hätte.

Mit dieser Tür stimmt was nicht. Jedenfalls ist sie nimmer sie selbst. "An Object's Memory of Its Life as a Door" von Michael Huey. 
- © Galerie Reinthaler

Mit dieser Tür stimmt was nicht. Jedenfalls ist sie nimmer sie selbst. "An Object's Memory of Its Life as a Door" von Michael Huey.

- © Galerie Reinthaler

Knauf, Schlüsselloch und Scharniere erinnern sich ungeachtet der radikalen Typveränderung nach wie vor deutlich an eine bewegtere Vergangenheit, an ein schwungvolles Auf und Zu, als der dominante Zweibeiner auf diesem Planeten noch aufrecht durch die Öffnung dahinter hindurchgeschritten ist. (Ob Holz ein Gedächtnis hat und im Innersten seine intakte Gestalt memoriert hat? Ergo den Baum?)

Bummvoll ist dafür ein Regal, das schon von Anfang an ein solches gewesen und dennoch wandlungsfähig ist wie ein Transformer. Okay, vielleicht nicht ganz so wie ein Transformer. In einer Garage parken kann es aber wie ein Autobot. Sofern man diese über es "drüberstülpt", zumal das Regal, das für die "Revue du Louvres" maßgeschneidert worden ist (vom selben Nikolaus Fuchs übrigens, der die Podeste gezimmert hat), ja keine Räder hat, um selber hineinzurollen.

Der Sockel ist zumindest zugleich die passgenaue, hermetische Hülle (Huey: "Wie eine Garage") für das Archiv, in dem unmerklich die Zeit vergeht, die Jahrgänge (1957 bis 1974) und monochromen Zeitschriftenrücken zur Vergänglichkeit verschmelzen. Und zu einem kompakten Orangerot. (He, ist der Louvre nicht genauso ein Behälter?) Ein komplex minimalistischer, verspielter Farbkasten ("Color Block", 2021), der mit dem Ent- und Verhüllen kokettiert. 

In die Idylle reingrätschen

Der Mensch in der Natur. Der Mensch, wohlgemerkt. Mensch, der. Der männliche. Der posiert in historischen Schwarzweiß-Fotografien nackt vor dem Meer, vor der Unendlichkeit. Oder bekleidet vor verdschungelter Kulisse (es grünt so grau), in der jeglicher Horizont zugewuchert ist. Afrika? Indien? "Mich würd’s wundern", wirft Huey ein, "wenn’s nicht Österreich wäre." Folglich kein Kolonialist? "Ich kenn den ja nicht."

Auch so kann man Farbe in den grauen Alltag bringen. (Oder in die graue Vorzeit. Schließlich stammt das Foto aus dem frühen 20. Jahrhundert.) Michael Huey machts's vor. Mit seinem Scanner. ("Disturbance No. 9.") 
- © Michael Huey, Courtesy: Galerie Reinthaler

Auch so kann man Farbe in den grauen Alltag bringen. (Oder in die graue Vorzeit. Schließlich stammt das Foto aus dem frühen 20. Jahrhundert.) Michael Huey machts's vor. Mit seinem Scanner. ("Disturbance No. 9.")

- © Michael Huey, Courtesy: Galerie Reinthaler

Nichtsdestotrotz pfuscht er, der Huey, ihm (und dem Nackerten) in die Idylle rein, gebärdet sich als Störenfried. Verursacht Bildstörungen. (Nicht von ungefähr hat er die Werkreihe "Disturbance" genannt. Störung.) Lädt seine bunten Farbstapel ungeniert in der Grau-in-Grau-Landschaft ab. Türmt seine irritierenden Farbstreifen auf, markiert in einem fremden Revier. Und wie macht er das? Mit dem Scanner. ("Ich übe Druck aus." Nachsatz: "Das ist nicht gut für den Scanner.") Vom Ergebnis ist er oft selber überrascht, kann es nicht zu hundert Prozent steuern, weil der Zufall mitmischt, sein Assistent ist.

Da setzt offenbar jemand ein Ich-war-hier-Zeichen und sich mit der physischen Existenz der Bilder auseinander. Huey sieht deren Überleben ja eher pragmatisch: "Sie können langlebiger sein als wir, aber man kann sie im Nu auch vernichten. Das ist reine Glückssache, ob sie durchkommen." 

Die Geometrie vermenschlichen

Und der Florian Nährer? Dessen Bilder höchstens in der Nacht graue Mäuse sind (wenn nämlich auch alle Katzen mausgrau sind), weil ansonsten auf ihnen, die bunter sind als ein Harlekinkostüm, das ganze Jahr über Fasching ist? Der überzieht seine Leinwände und MDF-Platten mit einem unregelmäßigen Rauten-Muster, wobei er die Karos, die er verzerrt, staucht, in die Länge zieht, freilich sauber gegeneinander abgrenzt, während eine subjektive Ordnung die Fläche dynamisch in Besitz nimmt.

Nur nicht zu genau, also malen. Hinsehen nachher allerdings schon. Sein auf präzise Weise schlampiges Opus nennt der Florian Nährer "Sorry For Not Making You My Daydream". 
- © Galerie Reinthaler

Nur nicht zu genau, also malen. Hinsehen nachher allerdings schon. Sein auf präzise Weise schlampiges Opus nennt der Florian Nährer "Sorry For Not Making You My Daydream".

- © Galerie Reinthaler

Bedeutet das, die unpersönliche, wenn nicht unmenschliche, weil im Prinzip unfehlbare geometrische Abstraktion wird gleich viel humaner? Vermutlich ja. Nicht zuletzt, weil sich die Präzision in Gestalt des St. Pöltners (ein 1976er Jahrgang und ein "Serientäter", der sich da der Wiederholung des Ähnlichen, nicht einmal des Gleichen, geschweige denn desselben verschrieben hat) kleine Schlampereien erlaubt, Ungenauigkeiten. Und schlampig sein, das ist menschlich, oder? Noch dazu spielt der einstige Kunst- und Theologiestudent gern Erosion (mit dem Schleifpapier), schmirgelt und wäscht seine Bilder, holt ältere Schichten wieder hervor. Malen als Entstehungsprozess. Betonung auf Prozess. ("Ich beginne irgendwo, und von dem Ursprünglichen bleibt dann meist eh nix über.")

Und wenn Kitsch-Pink, Sentimental-Blau, Knall-Gelb und Naturtöne zu einer fröhlichen Polychromie zusammengewachsen sind, zu optischen Raumerfrischern, sind die Bilder noch immer nicht fertig. Nährer: "Mit dem Rahmen wirkens kompletter." Und weil er den eigenhändig streicht, ist der anscheinend Teil der Malerei, nicht bloß deren Drumherum. Komplett-er wirken sie, die Gemälde. Allerdings noch nicht komplett

Have a nice day, also hau di über die Häuser

Endgültig vervollständigt werden sie eben erst von den Titeln, die Ratschläge erteilen ("You will Find Something Better than Death Everywhere" – Du wirst überall etwas Besseres finden als den Tod), sie entschuldigen sich bei einem ("Sorry for Not Making You My Daydream" – Tut mir leid, dass ich dich nicht zu meinem Tagtraum mache) oder verabschieden sich mit einem "Have a Very Nice Day!". (Oder gibt letzteres Opus dem Betrachter/der Betrachterin höflich, aber bestimmt zu verstehen, dass er/sie es nun lange genug angestarrt hat und sich schön langsam über die Häuser hauen kann?) Lauter Zitate aus Filmen, Liedern et cetera. Noch so ein Finder also.

Abstrakte Ikonen. Für den Florian Nährer ist jedes seiner Bilder ein potenzielles Tor zu einer anderen Wirklichkeit, zu einer Transzendenz. Eine "Möglichkeit, zu etwas zu gelangen, das ned diesseitig is". Na ja, solange ihm der Michael Huey aus der Tür zum Jenseits kein Regal macht. (Oder: Selber würde der so was eh nicht tun.)

Zwei penible Nonperfektionisten, deren grundsätzliche Ordnungsliebe unverkennbar ist. Eine glückliche Paarung.