Mit den "Simple Pleasures" wird hier geworben und um Besucher gebuhlt. Mit den kleinen Freuden und schlichten Genüssen also. Als da wären? Na ja, Essen, Trinken, und vor allem wird viel nackte Haut gezeigt. Ach, die Gerersdorfers betreiben jetzt eine Go-go-Bar? Nein, eh nicht. Aber ein Etablissement, das genauso mit G anfängt. Nämlich noch immer eine Galerie. Und in dieser werden derzeit eben die Grundbedürfnisse gedeckt: Stillleben und Akte. Kunst aus natürlichen Zutaten, die die Sinne ansprechen und von Christy Astuy appetitlich gemalt worden sind.
Hm. Und wenn jemand mehr ein Faible fürs Unnatürliche hat, für was Abstraktes? Muss er sich zu den barbusigen Darstellungen halt sechs Buchstaben dazudenken. Vorne ein A, ein b, ein s, ein t und ein r und hinten ein s. Ergibt: Abstr-Akte-s.
Künstlerische Textilfreiheit
Selbst eine nackte Wand ist bei der in Wien lebenden und pinselnden Amerikanerin, die 1956 in Carmel, Kalifornien, auf die Welt gekommen ist, sexy. Die Birne davor sowieso. (Abgesehen davon, dass die sooo vegetarisch auch wieder nicht ist. Oder enthält die etwa kein Fleisch? Okay, Fruchtfleisch.) Wand, die: Eine Wand an sich ist demzufolge schon sehr feminin. Normalerweise hat sie freilich nicht obendrein noch weibliche Rundungen. Sondern ist flach. Sonst halten die Bilder so schlecht. Im vorliegenden Fall wölbt sich allerdings ein knackiges Gesäß aus dem monochromen Rosa. Was? Die Wand hat Sitzfleisch? Obwohl sie in der Regel herumsteht und sich überhaupt nicht hinsetzen kann? Oder ist das die Pointe? (He, in der steckt sogar ein Po.)

Pointe mit zwei Backen: In Christy Astuys "Stillleben mit Derrière" (2022) hat die Wand Sitzfleisch.
- 2022 © Farid SabhaDer Hintergrund wird jedenfalls zum Hinter-n-grund (und ein Hintern ist kein Intellektueller, ergo: Weshalb sollte es dieses Wortspiel sein?). Wobei man in diesem "Stillleben mit Derrière" (mit einem Allerwertesten auf Französisch) ja praktisch überall ein Echo dieser fundamentalen Form (Astuy: "I mean, its a basic shape") ausmachen kann: im Obst (no na, nach diesem speziellen ist immerhin der Birnen-Po benannt) und in der ebenfalls ziemlich birnigen Vase mit den, äh: Kugeldisteln? (In der Potanik, Tschuldigung, Freudscher Verschreiber: Botanik, mit weichem B, bin ich nun einmal nicht wirklich bewandert.)
Und die Nackerten? Sind die nicht sexistisch oder wenigstens antifeministisch? "Ich bin keine Feministin in der Kunst", räumt die Malerin ein. Und: "Ich weiß nicht, ob ichs im Leben bin. Ich möchte frei sein." Moment: Darf eine Frau nicht anziehen, was sie will? Dann doch entsprechend wohl auch ausziehen, oder? Noch dazu in der Malerei. Künstlerische Freiheit, hallo? Und solange die existiert, tut das die künstlerische Textilfreiheit sicherlich gleichermaßen. Oder gibts auf der Leinwand irgendwelche Entkleidungsvorschriften? Einen Undresscode?
Es wal das rinke Ohl und nicht das lechte
Außerdem macht sich Christy Astuy selber zum Sexobjekt. (Sind Selbst-Akte eigentlich eine Variante der Autoerotik? Nicht, dass ein Auto involviert wäre.) Im hauchdünnen Negligé oder komplett ohne Hauch bietet sie sich freizügig den schaulüsternen Blicken dar. Sich? Ihr Gesicht ist das zweifellos, die Figur hingegen immer eine andere. Da fragt sich anscheinend jemand nicht bloß: "Was ziehe ich heute aus?", sondern ebenso: "Welche Brüste probiere ich heute an?" "Es ist kein einziger mein Körper", stellt sie klar, die Astuy. Und von wem stammen die alle? Von einer Freundin, aus diversen Zeitschriften, dem Internet. Sie hat sich quasi zusammengebastelt wie Frankensteins Braut (bzw. wie die Braut von Frankensteins Monster). Höchst ästhetisch, wohlgemerkt.

Kopf sucht Körper und hat ihn erfolgreich gefunden: "Nude with Green Painting" (2022) von Christy Astuy.
- 2022 © Farid SabhaSelbstbildnisse in dem Sinn sind das folglich keine. Andererseits legt sie sich das eine Mal als Malerin ("La pittrice") ins Gras. In der Pose einer beinah klassischen Venus. Hält sie den Pinsel nicht in der falschen Hand? Oder ist die Freundin, deren Physis sie sich ausgeborgt hat, Linkshänderin? Vermutlich verhält es sich vielmehr wie beim Vincent van Gogh, von dem einige ja nach wie vor glauben, er hätte sich einen Teil seines rechten Ohrwaschels abgeschnitten. (Wenn nicht das ganze.) Dabei hat er gar nicht sich mit verbundenem Ohr gemalt. Sondern? Wen? Sein Spiegelbild. Und das ist bekanntlich seitenverkehrt. Deshalb wars logischerweise das linke Ohr. Wenngleich es auf dem Gemälde so aussieht, als wärs das rechte gewesen.
Die Astuy wiederum dürfte ihre ursprüngliche Komposition kurzerhand gespiegelt haben. Umgedreht. Mit dem Bild auf der gemalten Staffelei, einem Bild im Bild, das sie vor einem weiteren Bild zeigt, hat sie es zumindest getan. Hat rechts und links vertauscht. Schließlich hängt das Original ("Nude with Green Painting") zum Vergleich unmittelbar daneben. Außerhalb vom Bild. An der Wand. Im Bild hat es mehr was von einem Attribut, wie der reine, jungfräuliche Pinsel, von dem keine Farbe tropft, hier weniger ein Werkzeug als ein Zepter ist. Das Insigne der Malerei. Weil das soll sicher nicht heißen, das abgebildete Staffeleibild wäre eine jungfräuliche Geburt gewesen.
Ist autobiografisches Kiffen nicht eh legal?
Erschöpft scheint sie zu sein, müde, die "Pittrice" (Italienisch für "Malerin"). Hat sie vielleicht von der Doppelbelastung als Malerin und Modell ein Burnout? Und ein bissl traurig wirkt sie. Ernst. Gedankenverloren. Besonders als "Pensive Nude". Pensive? Fehlt da nicht ein "Ex" am Anfang? Nein, warum? Passt doch. Zumal das englische Adjektiv auf Deutsch "nachdenklich" bedeutet. Und so übertrieben teuer ("expensive") ist das Nackerpatzl auch wieder nicht. 6.200 Euro blättert man für die Entblätterte hin.

Auch ein Bild wächst offenbar mit seinen Aufgaben (nicht bloß die Leber): Christy Astuy mit Giraffenhals raucht sich im passenden Format ein.
- © 2021 Farid Sabha"Das ist mein Gesicht, was soll ich machen?", meint die Besitzerin von besagter Physiognomie dazu. Und präzisiert: "Ich hab kein Pin-up-Gesicht." Zum Glück hat sie kein solches. Ihres ist viel interessanter. Ist markant wie das von der Marlene Dietrich, der Greta Garbo und nicht zuletzt jenes von Bette Davis, die übrigens zu ihrem Alter Ego geworden ist, zu ihrem älteren Ego gewissermaßen.
Im Gegenzug war ihr jüngeres Ich (und nicht etwa ihr aktuelles Spiegelbild oder ein anderes Selfie) meist die Vorlage für die frankensteinisch montierten Köpfe. Konkret ein Porträt, das ein früherer Studienkollege dereinst von ihr angefertigt hat.
Auf Rollenspiele steht sie generell, die Astuy, die gern die Kunstgeschichte zitiert, im Revier der Alten Meister wildert. Ohne dass sie die erlegten Motive oder Stile zu eindeutig und offensichtlich bei sich einbauen würde. Mehr wie eine vage Erinnerung an längst getrocknete Farbe. Mit Pony und Pferdeschwanz wird sie zu Picassos Sylvette. Und ihr Schwanenhals dort drüben? Als hätte Modigliani ihn ihr manieristisch in die Länge gezogen. Und das Bild gleich mit, auf dem sie einen Joint raucht (den sie, nebenbei bemerkt, mit den schlanken Fingern ihrer linken Hand hält - die genauso gut die rechte sein könnte).
Autobiografisch soll letzteres Opus sein. Aber macht sie sich nicht strafbar, wenn sie sich in flagranti beim Kiffen – "Smoking ist eine geile Handhaltung" – erwischen lässt? Nicht unbedingt. Erstens ist das gewuzelte Cannabisprodukt lediglich gemalt, zweitens war es zunächst ein völlig legaler Tschick und drittens ist die Künstlerin inzwischen Nichtraucherin und jegliche Zigarette wäre mittlerweile ohnehin verjährt.
Von zu viel Rotem wird man eben blau
"Da bin ich eine Säuferin", erklärt sie und deutet auf ihr melancholisches Ebenbild, das in Gesellschaft einer Weinflasche sichtlich den Blues hat. Von zu viel Rotem wird man halt irgendwann blau. Apropos. Die fesche Katz ist das auch. Also blau. Betrunken demnach? I wo. Dafür so blau wie die Milka-Kuh lila ist. Und sie ist tatsächlich ein schnurrendes Wesen. Die Astuy hat selbst eine merkwürdige Katze als Haustier. Bei der es sich nämlich um einen Hund handelt. Um einen Chihuahua. Ein Taschenhund? Nein, einer aus Bodenhaltung. Während der Ausstellungseröffnung ist der Barney auf alle Fälle frei herumgelaufen. Bei den Füßen.

Hat da jemand seine blaue Periode? Oder ist die Katze von Christy Astuy, die eigentlich einen Hund hat, einfach so blau? ("Blue Cat", 2022.)
- 2022 © Farid SabhaTischlein, deck dich: Die Stillleben sind aufgetischt, das Mahl ist freilich frugal und übersichtlich. Fast minimalistisch. ("Ich hab mich sehr zurückgehalten, denn meine natürliche Linie ist eher barock.") Die Fische auf dem Teller sind ja nicht einmal zubereitet, geschweige denn entgrätet. Und die Tischplatte kippt einem geradezu entgegen, ist eine schiefe Ebene, von der die Weintrauben, Kirschen, der Kerzenständer und das Geschirr trotzdem nicht abrutschen und aus dem Bild herauspurzeln, um auf dem Galerieboden zu zerschellen.
Die, die uns das serviert hat, rebelliert neuerdings gegen die Perspektive, die Schwerkraft, die Naturgesetze ("Es muss gar nix mehr stimmen. Ich befreie mich von meinem Drang, realistisch zu sein"), seit sie ihre Sachen mit dem iPad und dem digitalen Pinsel komponiert und nachher alles mithilfe des analogen Pinsels (und mit gewohntem Können und Humor) altmeisterlich ins Öl überträgt. (Oder als "iPad Drawing" ausdruckt. iPad Drawing? Eine digitale Collage aus Fremdem und Eigenem, die sich auf edlem Papier materialisiert.)
Gut, die Birnen, Artischocken oder Fische sind anonym, haben nicht das Gesicht der Malerin. Woran erkennt man dennoch einwandfrei deren Urheberschaft? An der unverwechselbaren Signatur. (In praktischerweise leicht zu lesenden Blockbuchstaben.) Und wie beim Picasso, der einfach nur "der Picasso" ist, reicht allein der Nachname: Astuy, die.