Nach Francis Bacon und Lucian Freud wurden Georg Baselitz zu seinem 85. Geburtstag im Kunsthistorischen Museum fünf Säle und eine Reihe Kabinette freigeräumt, damit er seine Bildergespräche mit den alten Meistern aufnehmen kann.
Baselitz wählte 40 aus und stellte sie über 70 seiner Großformate gegenüber, wobei seine erste Phase der Anti-Heldenbilder nicht zu sehen ist. Es startet mit 1972, als er bereits die Umkehr der Motive vorgenommen hatte; dies geschah nach dem akademischen Streit, ob abstrakt oder gegenständlich zu malen sei, und hat die Perspektiven und Sichtgewohnheiten durchbrochen, ein willentlich verstörender Akt.

Kopfüber: Georg Baselitz: "Weiblicher Akt", 1972.
- © Finn BrøndumHeute gibt der Maler auch zu, dass es zudem eine Aktion war, um Aufmerksamkeit gegen die sonst eher der Pop Art folgende junge Generation zu erregen. Das ist ihm damals tatsächlich gelungen und die wilde Malerei, egal ob mit breitem Pinsel oder auch mit den Fingern, tat ein Übriges.
Nach der Auswahl des Künstlers startet die Schau mit einer Ansammlung früher Adam- und Eva-Themen der Deutschen und Niederländer, doch auch Lukas Cranachs befremdliches Gemälde "Lot und seine Töchter" hat als ungleiches Paar und durch seine diabolische Erotik einen besonderen Reiz auf Baselitz ausgeübt.
Kopfüber-Akte
Dazu hängen die Kopfüber-Akte seiner Frau Elke und meist Selbstbildnisse, auch beide als Paar nebeneinandersitzend, alle in heiterer Buntheit der 1970er Jahre. In einem Akt seiner Frau 1977 lässt sich die Farbmaterialität in Bezug setzen zu ersten Holzskulpturen, die damals parallel entstanden sind. So empfängt die Besucher denn auch gleich in der Eingangshalle des Museums eine Baselitzsche Dreierguppe aus schwarz bemaltem Holz. Dabei ist ihm auch der formale Dialog mit der Architektur Gottfried Sempers ein Anliegen. Im Saal acht steht die zweite geschnitzte Aktfigur zu meist locker gemalten Strandbildern - oft nach Polaroids - dazu Tizians mythologische Aktgemälde wie "Diana und Callisto" oder die niederländischen Manieristen wie Frans Floris mit wild durcheinander purzelnden Körpern in einem "Jüngsten Gericht".

Der Künstler tritt als Mitkurator mit Andreas Zimmermann auf, sein Schwergewicht in der Auswahl legte er auf der besonderen Sammlung Kaiser Rudolfs II., allen voran Bartholomäus Spranger, dazu Hans von Aachen. Diese absoluten Favoriten drehen ihre elegant gelängten nackten Körper um die eigene Achse zur "Figura serpentinata". Dazu kommen natürlich die Manieristen aus Italien wie der "Amor" Parmigianinos und die Serie der ikonografisch anspruchsvollen "Amori"-Bilder von Paolo Fiammingo. Dazu passen die um 1999 gemalten oft auch bei Baselitz gedrehten Paare um eine kreisrunde, freie Stelle, ein Loch, das durch die Farbdose entstand, da der Künstler am Boden malte wie dereinst Jackson Pollock.
Aus der Barockzeit wählt er den sinnlichen Hofmaler Kaiser Leopolds, Guido Cagnacci, oder die eher melancholischen Schlafzimmerbilder des Prinzen Euren mit aus. Tizians Spätwerk "Nymphe und Schäfer" fasziniert den alten "Neuen Wilden" natürlich durch die damalige Fingermalerei, die schon der Venezianer ausübte. Die Gemälde sind nicht nach den alten Meistern gemalt, sondern es bilden sich Gruppen und familiäre Bezüge.
Zuweilen ist es nicht nur das Formale, das ihn fasziniert, sondern doch auch die Ikonografie. So kommt bei Hans Baldung Grien in "Die drei Lebensalter und der Tod" die Konfrontation schöner jugendlicher Akte mit dem als Skelett auftretenden Tod. In den letzten Sälen kann man die Affinität für dunkle, ausgemergelte oder Skeletten ähnliche Körper ab etwa 2010 bei Baselitz in monumentalen Formaten bewundern. Dabei ein schweres Thema wie "Displaced Persons" (2020). Sein Spätwerk, auch mit Einsatz von goldgelber Farbe im Kontrast zu Schwarz und wie Sternenstaub auftretendem Weiß aus dunkler Malerei, zeigt gegenüber der Phase von den 1980er Jahren bis etwa 2000, als er bunte Akte auf weiß bleibender Grundierung bevorzugte, einen Impetus zurück in die Wildheit.
Altersdrama
Ob es dabei der in der Kunsttheorie eines Philippe Aries beschriebe Auftritt des Todes als wild zerstörerisches und das Fleisch zersetzendes Altersdrama ist oder wie in "Geht es noch weiter runter" ein fast kosmisches Schweben nach unten, bleibe dahingestellt. Diese Serien waren jedenfalls in Österreich bislang nicht zu sehen und faszinieren durch ihre Bezüge zu schwebenden Figuren eines Correggio, doch auch das Motiv des die Treppe hinuntersteigenden Akts eines Marcel Duchamp, die existentialistischen frühen Papstbildnisse eines Bacon oder die spielerischen Akte Francis Picabias haben dem hoch gebildeten Baselitz offenbar Anstöße geliefert für dieses wildbewegte Alterswerk, das zuletzt ironische Züge zeigt.
So hat die Collage mit Nylonstrümpfen "Nylonparade" über pastelligen Akten wie auch seine Reaktion auf die Satyrbilder des Manierismus neben dem starken Todesbezug ein heiteres Gegengewicht. Der "Fleischsalat" (Zimmermann) der Rudolfinischen Kunst bekommt mit Baselitz späten Akten wie "Sinn macht keinen Sinn", 2019, einen Vitalisierungsschub, der auf Gegenseitigkeit beruht.