"Frieden ist, wenn woanders geschossen wird." Wer auch immer das gesagt hat (und keine Ahnung, ob mit Betonung auf "woanders" oder auf "geschossen"), wenn er sich nicht geirrt haben sollte mit seiner Definition, sehe ich für den Weltfrieden echt schwarz. Weil irgendwo ist immer ein Woanders. Umso bunter geht es in der Galerie ARTECONT zu. Da beschwört der Mario Dalpra nämlich jetzt erst recht den Frieden: "PEACE" (noch dazu in eindringlichen Blockbuchstaben, dafür ohne Rufzeichen) nennt er seine hochglanzpolierte Ausstellung.
Oder sehnt sich da einer, dessen Statement "ja immer ein ästhetisches" ist und der beklagt, "wie unfähig diese Menschen sind, das Schöne auf der Welt wahrzunehmen, aber fähig sind, es zu zerstören", einfach in den fröhlichsten, poppigsten Farben nach einträchtiger Ruhe, nach Harmonie, nach der Abwesenheit von Konflikten? "Es sind ja nicht die Menschen, die Unfrieden wollen", stellt er klar, der Dalpra. Sondern? Das Universum? "Einzelne Personen."
Gute Laune ist trotzdem keine passive Aggression
Seine Geschöpfe jenseits von Erbgut und Böse (lauter Unikate), oft fantastische Kreuzungen zwischen Fauna und Flora, Kreatur und Pflanze, die sich geschmeidig winden und verbiegen, sich quasi in Schlangenlinien durchs Paradies eines verspielten Schöpfers bewegen, durchs "Dalpradies", und sich im geilsten Lack suhlen, die kommen jedenfalls eindeutig in Frieden. Selbst die, die sich mannshoch vor einem aufbauen und mehr Gliedmaßen haben als die hinduistische Kali. (Außer, man zählt deren Rock aus abgeschlagenen Armen dazu.) Mannshoch? Als ob Frauen nicht ebenfalls 1,80 Meter groß werden könnten. Zufälligerweise handelt es sich bei dem imposanten gelben Exemplar sogar um ein Weibchen. Um eine Göttin. Sonnengöttin. ("Goddess of the Sun.")

Der Titel dieser lackierten Bronze aus dem "Dalpradies" ist Programm: "Die Lustvolle" (2022).
- © Galerie ARTECONTDiese freundlichen, fremdartigen Lebensformen (animalisch, vegetabil, menschlich, mikrobisch – "Da gibts ja so viele Bakterien und Viren, die lustig ausschauen") stellen also keinerlei Bedrohung dar. Nicht einmal für die seriöse Kunst. Obwohl nicht jeder sie vielleicht ernst nimmt. Ich war anfangs, zugegeben, genauso skeptisch. War mir nicht sicher, ob die Dinger nicht womöglich zu kitschig sind, zu naiv. Irgendwann hab ich freilich kapituliert. Vor ihrer unwiderstehlichen Sinnlichkeit und der unbändigen Fabulierlust ihres Erzeugers. Sind sie demnach doch nicht so friedfertig? Höchstens wenn das Verbreiten von guter Laune allein durch seine äußere Erscheinung mittlerweile als passive Aggression gilt. Böse Absichten haben "Die Fühlerin", "Die Verworrene" oder "Die Akrobatin" wahrlich nicht, lediglich ästhetische, wie gesagt.
Nicht, dass die Bronzen schnurren täten . . .

Ist ziemlich animalisch, Mario Dalpras "Die Fühlerin" (2020, Bronze, patiniert).
- © Michael GoldgruberTatsache ist, hätte der Wladimir Putin eine Skulptur vom Mario Dalpra daheim im Kreml, hätte er den Angriff auf die Ukraine . . . okay, vermutlich trotzdem befohlen. Dabei entspannt das Streicheln von Haustieren. Entstresst. Sprich es werden Endorphine ausgeschüttet, diese körpereigenen Opiate. Und wenn das mit Hunden und Katzen funktioniert, warum dann nicht gleichermaßen mit diesen zutraulichen Fantasiewesen, die sich den Händen verführerisch entgegenrekeln und -schmeicheln oder ihre polierten "Knospen" nach einem ausstrecken, den Tastsinn animieren? Nicht, dass eine Galerie ein Streichelzoo wäre. Oder die Bronzen schnurren würden, sobald man sie liebkost. Oder mit ihren Tentakeln wedeln täten.
Eine oberflächliche Kunst? Unbedingt. Glatt und glänzend wie Autos. (Was nicht heißt, man bräuchte einen Führerschein, um sie angemessen würdigen zu können. Oder das wären ausschließlich erotische Spielzeuge für Autofetischisten.) Wau, dieses Blau! Offenbar das Maximalblau, weil blauer wirds nicht. Und wie sich die Umgebung darin spiegelt . . .
"Das ist eine der schwierigsten Fragen", gesteht der Bronzebändiger. "Welche Farbe ich nehme. Manchmal lackiere ich um." Und neuerdings experimentiert er zudem mit effektvollen Farbverläufen. ("Du bist dann mit der Spritzpistole unterwegs und darfst die anderen Teile nicht besprühen.") Oder die grüne Patina entblößt da und dort kokett die nackte Bronze. So betrachtet, ist "Die goldene Kurvige" ein Akt. (Bronze, poliert.)
Ein A und zwei Os

Da hat eine wohl zu viel Verstand für einen Kopf. Oder ist das "Growing Mind" (2021) vom Mario Dalpra eine Medusa 2.0?
- © Galerie ARTECONTBekanntlich ist die Wurscht ein Zwei-Ender. (Oder eine Zwei-Enderin.) Das hat sie mit der Schlange gemeinsam. (Mit Ausnahme der Hydra.) Beim Dalpra (nein, er gießt keine Bronze in Därme) kann sie aber durchaus dreimal enden. (Wie die rosarote "Innige Bewegung", die ein A und zwei Os hat.) Oder noch öfter. Oder überhaupt nicht. Wenn die Wurscht, die länger ist als jedes Sacherwürstel und mit ihren irgendwie femininen Rundungen gelenkig und sexy herumkurvt, sich in einer komplexen Endlosschleife ohne Anfang und Ende verliert.
"Kurvige, die", "Grüne, die", "Auferstehende, die" . . .: Inspirationsquelle ist für den 1960 geborenen und viel herumgekommenen Vorarlberger mit Ateliers in Wien, Indien und Indonesien neben der Natur, die sich nachher in die organische Abstraktion davonschlängelt, immer wieder das Weibliche ("die optimalste, die natürlichste, die lebensrettendste Form"). Sein "Growing Mind" hat gar einen Hintern. Und kniet. (Gut, das Knie ist ein Unisex-Körperteil. – Der Hintern nicht?) Eine Art Medusa 2.0, bei der die flexiblen Kriechtiere gleich Kopf und obere Extremitäten ersetzen und die ihre Fühler nach dem Wissen ausstreckt. Oder nach der puren Lebensfreude? Dem Universum?
Apropos. Den "Mister Universe" (Mister, der), der mit seinen polierten Fortsätzen prahlt, will ich selbstverständlich nicht unterschlagen. Bei den 20, 25, 30 Jahre alten Mischtechniken, wo sich der Dalpra in die kindliche Unbeschwertheit zurückkritzelt und die er "eigentlich schon wegschmeißen" wollte, würde ichs dagegen am liebsten tun. Verschweigen, dass sie dahängen. Seinem Lehrer, dem Arnulf Rainer (und der ist ja nicht irgendwer), haben sie allerdings gefallen.

Zeitreise in die Kindheit: Auch das ist vom Mario Dalpra ("He Blew up His Feelings").
- © Galerie ARTECONT