Das Leben ist nun einmal kein Ponyhof. (Die Kunst genauso wenig.) Aber der Markus Guschelbauer sattelt sowieso erwachsene Pferdln. Pferdestärken. Fährt immerhin mit dem Traktor durch die Gegend. Vor laufender Kamera. (Laufender, wohlgemerkt. Nicht davonlaufender. Vor seinen Fahrkünsten.) Hat er das denn gelernt, das Traktorfahren? Ja. By doing. ("Ich hab’s einfach getan.")

Wie er das brummende Trumm der Marke Steyr auf einer provisorischen Wippe parkt, dessen Gewicht dort droben auf den zwei schwankenden Brettln austariert und nachher kurzerhand aussteigt und aus dem Bild rausmarschiert, das ist allerdings ziemlich beeindruckend. Eine fragile Skulptur in einem prekären Gleichgewicht. Ein Balanceakt wie sein Werk insgesamt, in dem unter anderem Kultur und Natur dialogisch aufeinandertreffen.

Hm. Hat er keine Angst gehabt, dass das Holz unter dem schweren Gerät brechen könnte? Offenbar nicht. Probieren geht halt über Studieren, oder? ("Das ist immer mein Motto. Ich bin eher ein Trial-Error-Mensch.") Studiert hat der 1974 (am 24. Dezember, jö: ein Christkindel!) in Friesach geborene Kärntner trotzdem. Nämlich Fotografie. An der Angewandten in Wien. 

Die Gesänge der Traktoren

Der Sehsaal, wo jetzt grad ein roter Traktor durch sechs kurze Videos tuckert, hat sein durchaus zuversichtliches Jahresthema ("I will not be sad in this world" – Ich werde in dieser Welt nicht traurig sein) übrigens von einem Musikalbum und dem gleichnamigen Instrumentalstück des 2021 verstorbenen Duduk-Spielers Dschiwan Gasparian geborgt (Duduk: die armenische Flöte). Darauf reagiert die aktuelle Ausstellung mit einem vielleicht nicht pessimistischen, doch zumindest etwas realistischeren Songtitel: "I Never Promised You a Rose Garden." (Die Schau heißt wie das Lied, aus dem Lynn Anderson 1970 einen Welthit gemacht hat. "Singen" tun hier nur die landwirtschaftlichen Zugmaschinen.)

Prekäres Gleichgewicht: In "Balance" (2012) beweist der Markus Guschelbauer, dass er einparken kann. 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Prekäres Gleichgewicht: In "Balance" (2012) beweist der Markus Guschelbauer, dass er einparken kann.

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Nicht, dass sich da einer aufführen würde wie ein Elefant, Tschuldigung: Traktor, im Porzellanladen, Tschuldigung: Rosengarten. Außerdem kurvt er in einem blühenden Obstgarten herum, der Guschelbauer. Zwischen Zwetschken-, Birnen-, Apfel- und Kirschbäumen. Oder überhaupt auf Wiesen und Feldern. Setzt sich am elterlichen Hof in Guttaring (und dabei handelt es sich eben nicht um einen Pony-, sondern um einen Bauernhof) mit seinen Wurzeln auseinander, seiner Identität, mit der eigenen Geschichte und der der Kunst sowie generell mit der Landschaft, stört den romantischen Blick auf Letztere (oder unterstreicht ihn). Mit seinen leicht irritierenden bis höchst surrealen Interventionen und subtilem Humor. Land-Art? Performance-Kunst? Beides. Eine performative Land-Art also? Mindestens. 

Dem Grünen die Kunst einbläuen

Irgendwann früher hat er beispielsweise (ohne Beteiligung eines Traktors) einen Wildbach verpackt. Quasi wie Christo und Jeanne Claude. Oder wie Obst oder Gemüse im Supermarkt. In Frischhaltefolie sozusagen. Für eine fotografische Auf- und Landnahme. 2009 wiederum hat er gleich die komplette Landschaft verhüllt. Diesmal mit Traktor (wie auf einem kleinen Bildschirm zu sehen). Hat mit dessen Hilfe eine weiße Agrarstretchfolie (jene, mit der Heuballen eingewickelt werden) vor dem von der Sonne geblendeten Blick aufgezogen wie eine leere Leinwand. Für die eigene Pleinairmalerei des Betrachters gewissermaßen, eigene (womöglich sentimentale, idealisierte) Vorstellungen von der Landschaft, während die reale hinter diesem "Deckweiß" aus Plastik verschwindet.

Signiert ist das Opus (okay, außerhalb vom Bild; der Film ist vielmehr so betitelt) bezeichnenderweise mit den Initialen des deutschen Paraderomantikers, der drei Vornamen hat, von denen einer der Nachname ist, also von Caspar David Friedrich: "CDF." Der hat den Menschen noch zum andächtigen Beobachter verklärt, der ehrfürchtig vor der überwältigenden Natur erschaudert ist, innegehalten hat. Nie hätte ein "Wanderer über dem Nebelmeer" die Stille mit einem knatternden Gefährt niedergemäht.

Suchbild mit Traktor und Frühlingsgefühlen im Obstgarten: Noch einmal ein Screenshot aus Markus Guschelbauers "Blau". 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Suchbild mit Traktor und Frühlingsgefühlen im Obstgarten: Noch einmal ein Screenshot aus Markus Guschelbauers "Blau".

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Obwohl: Wenn der mittlerweile in Wien lebende und, nein, daselbst nicht unbedingt Traktor fahrende, doch anderweitig beschäftigte Guschelbauer im Jahre 2012 ein sehr blaues monochromes Tafelbild seitlich an einem Anhänger montiert und durchs Gelände karrt, wirkt diese Neuinterpretation eines Landschaftsgemäldes (wo das Gemälde durch die Landschaft befördert wird) äußerst beschaulich. Ein Blau, das blauer als blau ist (so blau wie das vom Yves Klein, der sich seines sogar patentieren hat lassen und eine blauere Periode gehabt hat als der Picasso), macht einen Ausflug ins Grüne und der Himmel darüber derweil selber blau. Oder streng genommen macht er seinen Job und ist halt blau.

Die Kunst macht im Grünen blau. (Die ganze Arbeit hat ja der Markus Guschelbauer, der den Traktor lenkt.) 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Die Kunst macht im Grünen blau. (Die ganze Arbeit hat ja der Markus Guschelbauer, der den Traktor lenkt.)

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Eine originelle Form des bewegten Bildes, das noch dazu abstrakter kaum sein könnte und in der Frühlingsidylle "auslüftet". Ein skurriler (oder konzeptueller?) Kunsttransport, mit dem der Multimedia-Künstler die vermeintlich unberührte Natur nicht zum ersten Mal als Kulturlandschaft outet. 

Beziehungsgeschichte mit viel Elasthan

Ganz allein ist er auf weiter Flur, manövriert den Traktor durch die ansonsten menschenleeren Gefilde. Unweigerlich muss ich an diesen makabren rübezahlbärtigen Witz denken, den der deutsche Komiker Otto Waalkes bereits vor Jahrzehnten erzählt hat. Ein Vertreter kommt aufs Land und erkundigt sich bei einem Buben, wo sein Papa sei, weil den würde er gerne sprechen. "Vom Traktor überfahren." Aha. Und die Mama? Die hat auch der Traktor erwischt. Oje. Tragisch. Geschwister? Oma? Opa? Alle vom Traktor überrollt. Praktisch die gesamte Familie ausgelöscht. "Aber dann bist du ja völlig allein", resümiert der Besucher schließlich entsetzt und will wissen, was der arme Bua denn nun den lieben langen Tag mache. Und kriegt zur Antwort: "Traktor fahren."

Zwei Traktoren, ein Stoffstreifen und Lycra: aus Markus Guschelbauers Video-Loop "Marchfeld" (2022). 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Zwei Traktoren, ein Stoffstreifen und Lycra: aus Markus Guschelbauers Video-Loop "Marchfeld" (2022).

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Moment: Ist er nicht dieses eine Mal zu zweit im Bild, der Guschelbauer, mit einem zweiten Traktor, den sein Vater lenkt? Falsch. Das ist der Vater von jemand anderem. Und dieser andere sitzt am Steuer des ersten Traktors. Und im Marchfeld, nicht in Kärnten. Eine generationenübergreifende Beziehungsgeschichte, die anscheinend viel Lycra enthält. Jedenfalls ziehen die beiden eine elastische violette Stoffbahn auseinander, strapazieren sie bis an die Grenzen der Belastbarkeit und des Bildes. Entfalten dieses stumme Banner, dessen nonverbale Botschaft jeder selbst für sich entziffern muss. Oder ist sie eine rein visuelle?

Auf einem Acker im Marchfeld und von Markus Guschelbauers Filmkamera festgehalten: Hier ist das Band zwischen Vater und Sohn noch (oder schon wieder) ganz entspannt. 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Auf einem Acker im Marchfeld und von Markus Guschelbauers Filmkamera festgehalten: Hier ist das Band zwischen Vater und Sohn noch (oder schon wieder) ganz entspannt.

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Fast bis zum Reißen gespannt ist das Band zwischen Vater und Sohn, bis die zwei wieder den Rückwärtsgang einlegen und sich einander erneut annähern. Speziell bei Hofübergaben und dergleichen spiele die Generationenfrage eine große Rolle, meint Guschelbauer, der selbstverständlich keine Verwandten überfährt wie in einem Otto-Witz. (Und dessen geländegängiges Fahrzeug nicht einmal über einen Ottomotor verfügt, zumal man es mit Diesel volltankt.) 

Auch die Nähmaschine hat ein Gaspedal

Perfektes Timing: Traktor, Tuch und Markus Guschelbauer haben ein Meeting. 
- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Perfektes Timing: Traktor, Tuch und Markus Guschelbauer haben ein Meeting.

- © markus_guschelbauer / Bildrecht 2023

Dafür macht er traditionelle Geschlechterzuschreibungen platt. Rollenklischees. Hängt mit dem maskulinen Traktor (Traktor, der), diesem mit seiner Potenz protzenden Statussymbol in bäuerlichen Regionen, die Wäsche auf. Konkret: eine selbstgemachte Patchwork-Decke. ("Ich näh eigentlich recht gern", bekennt er sich zur klassisch weiblichen Handarbeit. Äh, hat eine Nähmaschine nicht ebenso ein Gaspedal?)

Okay, er hisst die Textilie eventuell mehr wie eine Fahne. Aber bühnenreif. (Pawlatschenbühnenreif.) Die mechanische Vorrichtung hat er geradezu liebevoll zusammengezimmert, so etwas wie einen Flaschenzug, mit dem der vorne vorbeifahrende Traktor seinen eigenen Hintergrund perfekt getimt emporhievt. Weil bei all dem Charme des Improvisierten (als hätte er die Konstruktion aus dem Stegreif gebastelt) ist der Guschelbauer, der bevorzugt handelsübliche Materialien und Gefundenes aus dem Alltag verwurschtet, "schon ein bisschen Perfektionist auch".

Und statt die Filme aus beinah 15 Jahren einfallslos an die Galeriewände zu projizieren, hat er für sie mit demselben Charme des perfektionistisch Improvisierten ein Haus gebaut. Einen Raum im Raum. Aus Holzlatten vom Obi und weißem Stoff, der zur Kinoleinwand wird. (He, sollen Männer nicht das Heimwerker-Gen haben?) Mit Fenstern. Manche sind offen (zum Reinschauen zwecks alternativer Blickwinkel), aus anderen dagegen blicken Monitore, und zusammen mit den Projektionen ergibt das ein komplexes Display, eine Simultanbühne für die doppelt bewegten Bilder (für die filmischen Bilder und die Farbflächen, bunten Tücher, die der Traktor abschleppt).

Die Natur selbst, dieser nahrungsspendende Ort und zugleich ein ästhetisches Genussmittel, wird zur Bühne, zur Kulisse, in der der Künstler, dessen Nachname einem Landwirt Unterschlupf gewährt (Guschelbauer), ein Stück namens "Landschaft" inszeniert (während die Landwirtschaft bekanntlich nicht ganz unschuldig ist am Klimawandel). Seine markanten, noninvasiven Eingriffe, mit denen er gekonnt und pointiert Befremden erzeugt, sind eindeutig weitaus mehr als textiles Gestalten unter freiem Himmel.

Schwebende Videoskulptur: Markus Guschelbauers bewegte Bilder im Sehsaal. 
- © Markus Guschelbauer, Bildrecht 2023

Schwebende Videoskulptur: Markus Guschelbauers bewegte Bilder im Sehsaal.

- © Markus Guschelbauer, Bildrecht 2023