Wenn ein Jüdisches Museum eine Ausstellung zum Thema "Schuld" macht, erwartet man eine Auseinandersetzung mit einem Aspekt des Nationalsozialismus. Was man nicht zu sehen erwartet, ist eine mittelalterliche Sammeltruhe aus dem Ablasshandel der katholischen Kirche, ein buddhistisches Mandala oder, als Leihgabe aus dem Technischen Museum, alte Zündschnüre, mit denen Dynamit zur Explosion gebracht wurden. Hat Alfred Nobel Schuld auf sich geladen, oder waren es diejenigen, die seine Erfindung zur kriegerischen Anwendung gebracht haben? Merke die Assoziation.

Barbara Staudinger verordnet dem Wiener Jüdischen Museum eine Neuorientierung. Schon die "Missverständnisse"-Ausstellung im Haupthaus in der Dorotheergasse führte zu heftigen Diskussionen. Die Ausstellung in der Judenplatz-Dependance wird dergleichen eher nicht auslösen. Dazu ist sie zu beliebig.

Vor allem zeigt sie sehr wenig. Selten waren die drei kleinen ebenerdigen Räume lockerer bespielt. Das mag ein Konzept sein nach der Überlegung, dass man lieber ein paar hochwertige Bilder und Objekte zeigt, etwa Gerhard Richters "Onkel Rudi", der erstmals in Österreich zu sehen ist, oder eine der inszenierten Fotografien des israelischen Fotokünstlers Adi Nes. Natürlich ist die große Marmorskulptur "Eva" von Teresa Feodorowna Ries ist der Blickfang schlechthin - wie die Künstlerin die Ästhetik Auguste Rodins weitergedacht hat, zeugt von einer überragenden Begabung.

Murmelstein und Tonya Harding

Vor allem sollte man sich die Zeit nehmen, im letzten Raum das auf Video aufgezeichnete Gespräch mit Benjamin Murmelstein anzusehen und anzuhören. Murmelstein gilt als kontroverse Gestalt: Der Rabbiner wurde von den Nationalsozialisten mehrfach zur Zusammenarbeit gezwungen, in Israel wurde er mehrfach der Kollaboration beschuldigt, während der österreichische Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici auf dem Standpunkt steht, Murmelstein habe mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet, um so viele Juden als möglich zu retten.

Insgesamt aber bleibt unverständlich, worauf die Schau hinauswill. Die Ausstellungen in den Räumlichkeiten am Judenplatz sollen dem Ort Rechnung tragen, sagte Barbara Staudinger bei der Präsentation, also das Mahnmal von Rachel Whiteread mitdenken und das Haus, in dessen Untergeschoß Mauerreste der ersten Synagoge Wiens zu sehen sind. "Die Ausstellung untersucht verschiedene Formen der Schuld", heißt es im Einführungstext.

Doch die Ausstellung "untersucht" nicht, sie zählt lediglich auf. Beginnend bei Adam und Eva wirft sie anhand von Objekten und Bildern dem Betrachter diverse Begriffe von Schuld an den Kopf: "moralische Schuld", "metaphysische Schuld", "die Last der Schuld". Immerhin: Die Literaturvideoinstallation zu Ilya Kaminskys Langgedicht "We Lived Happily During the War" lässt schlucken: Hat man das Recht auf ein glückliches Leben, wenn irgendwo Krieg herrscht?

Man darf den Kuratorinnen und Kuratoren nicht vorwerfen, dass sie in den Texten zu den Objekten kaum an der Oberfläche kratzen, schließlich haben selbst umfangreiche philosophische Abhandlungen die Themen nicht endgültig aufgearbeitet. Ohnedies fragt sich, ob solch eine endgültige Aufarbeitung überhaupt möglich wäre.

Eventuell könnte der Katalog Aufschluss bieten - doch er lag zur Präsentation der Schau weder gedruckt noch als pdf vor. Und so pendelt der Besucher der Schau zwischen Dynamit-Zündschnüren und einem Foto vom Nürnberger Prozess, zwischen einem des Auschwitz-Überlebenden Piotr Ravitz und einem Video zum Fall der Eiskunstläuferin Tonya Harding, zwischen biblischen Motiven wie Eva, Kain und Abel und einer Geldtruhe aus den Zeiten des Ablasshandels und kann sich des Eindrucks erwehren, ein Halbfertigprodukt geliefert zu bekommen, das er selbst gefälligst zu Ende denken möge - aber nicht im Sinn eines eigenen Erkenntnisgewinns, sondern in dem einer Suche nach dem Sinn des Ganzen.