Was, bitte, ist ein "Überhall"? Ein Rechtschreibfehler? Weil der Titel dieser Ausstellung in der Galerie Krobath eigentlich "Überfall" lauten sollte (bzw. "Überschall")? Oder könnte der Überhall ein sehr schnelles Echo sein, das sich mit mehr als Mach 1 fortbewegt? Ja, könnte er natürlich. Trotzdem handelt es sich um . . . ein Wortspiel.
Die Menschheit rast mit ihrem Raumschiff Erde ungebremst auf das Verderben zu, und wenn das so weitergeht mit dem Klima, das bekanntlich in den Wechseljahren ist, Hitzewallungen hat, Stimmungsschwankungen, bleibt von der Besatzung und der ganzen schönen Natur bestenfalls ein Hall über. Oder so ähnlich. Aber stell dir vor, es ist Weltuntergang und die Leute fliegen lieber auf Urlaub. (Lauter Eskapisten? Realitätsflüchtlinge? Oder "Pack die Badehose ein, die Sintflut ist da"-Katastrophentouristen?)
Der Sand strandet am Meer
Gut, die Anna Meyer, die diese surrealen Landschaftsbilder gemalt hat, diese dystopische Exotik in kitschigen Heile-Welt-Farben, war selber drei Wochen in Spanien. In Andalusien. Nach ihrem Ausflug ins Gebirge, zu den sterbenden Gletschern, nachdem ihre an der Großglockner Hochalpenstraße ausgewilderten visionären "Weltschmelz"-Impressionen also drei Jahre lang draußen gewesen waren ("Da malt das Wetter faktisch mit"), hat es die in Wien ansässige Schweizerin (1964 in Schaffhausen geboren) eben in wärmere Regionen gezogen, dorthin, wo in der heißen Jahreszeit die Wälder brennen und der Regen nur aus den Löschflugzeugen kommt. Zum Schnee der Wüste, zum Sand, den Dünen, die sich selber wie Berge versetzen, nämlich durch die Botanik wandern und diese dabei "verwüsten", bevor sie irgendwann am Meer stranden.

Muscheln sammeln ist die Hölle (siehe links unten), und gegen den Klimawandel haben die Flamingos sowieso nur Glashelme. (Helmet of Glass", 2022, von Anna Meyer.)
- © Rudolf Strobl, 2022, Courtesy: Krobath WienNein, den Witz mit der Blondine in der Wüste werde ich an dieser Stelle sicher nicht erzählen. (Oder streng genommen ist das ja eine Scherzfrage: Was macht eine Blondine in der Wüste? – Staubsaugen.) Erstens ist der (oder die: die Scherzfrage) sexistisch (abgesehen davon, dass sich mir nicht erschließt, was daran überhaupt komisch sein soll, zumal die Blondine doch offensichtlich hochbegabt ist; ich zumindest würde mitten in der Wüste keine Steckdose finden) und zweitens war die Künstlerin, die zufällig ebenfalls blond ist, garantiert nicht mit dem Staubsauger am Sandstrand, sondern hat Eindrücke, Motive und Muscheln gesammelt, hat fotografiert, skizziert, notiert, weil sie sich in den Gefilden "drin bewegen muss", die sie später im Atelier mit ihren originellen Fantasien und den Problemen und Themen der Zeit anreichert. ("Meine Bilder sind nie Lart pour lart." Ihre Kunst genügt sich halt nicht selbst, will immer etwas mitteilen.)
Regenbögen sind trotzdem keine Stinker
Und drittens ist sie eine feministische Blondine, will die männlich geprägte, patriarchal altvaterische Landschaftsmalerei weiblich akzentuieren. Und hat gleich einmal einer Titanwurz, die mit ihrer angeberischen "Erektion" höchst unanständig ausschaut und deren lateinischer Name nicht von ungefähr "Amorphophallus titanum" ist (Betonung auf "Phallus"), nein, nicht etwa was abgeschnitten, sie hat ihr Schamlippen und eine Klitoris angedichtet. Hat sie verqueert.

Hände hoch, das ist ein "Überhall"! Nein, Anna Meyers Bild (2022) heißt nicht in Wahrheit "Überfall". Obwohl: Ob die Tarnschnecken mit ihren Tarnschecken in friedlicher Absicht kommen? (Undbedingt, so regenbogenbunt, wie ihre Schleimspur ist.)
- © Rudolf Strobl, 2022, Courtesy: Krobath WienEines dieser Aronstabgewächse (Betonung auf "Stab") hat die Malerin voriges Jahr Ende Mai sogar persönlich besucht: den Willi, dessen Ego-Show im Botanischen Garten der Universität Wien medial groß angekündigt wurde. Von einem nach einem Tag in der Gegenwart benannten Gratisblatt beispielsweise wie folgt: "Penispflanze ,Willi verbreitet ab Montag ekligen Mief."
Und wie die größte Blume der Welt dank ihrer Stink-Potenz Insekten anlockt (mit ihrem – für diese – unwiderstehlichen Geruch nach toter Ratte), so ködert ihre gemalte Version, zusammen mit dem verführerischen Kolorit rundherum, mit saftigem Grün, mit Magenta, Himmelblau und Regenbogenbunt, die Blicke. Erst bei genauerer Betrachtung entdeckt man: Oh, dahinter verblutet ein umgeknickter Baum! Und den Weinbergschnecken mit Camouflage-Häuschen (die sind sowieso von Natur aus Zwitter, die Schnecken, diskriminieren kein Geschlecht) hat jemand Batterien reingeschoben. Einspurige Kriecher mit Elekroantrieb. E-Gastropoden. Und mit den Weißstörchen, diesen Zugvögeln, die ja nicht deshalb so heißen, weil sie mit der Eisenbahn im Winter in den Süden fahren würden (der zyklischen Erderwärmung entgegen, dem Sommer), mit denen erhebt sich ein gefiederter Düsenjäger in die Lüfte, eine Mischung aus Kampfjet und Friedenstaube – mit Kriegs-(oder Friedens-?)Bemalung in ukrainischem Blau-Gelb.
Hell in the Shell
Die Apokalypse ist anscheinend eine Romantikerin. Farblich jedenfalls. Da ist sie sentimental, verströmt Optimismus. Bunt geht die Welt zugrund. Der Weltuntergang wird zum Weltbuntergang (Colourcalypse Now!), tarnt sich als Traumurlaubsdestination, die Vorhölle als Paradies. Außerdem dient die Idyllen-Mimikry dazu zu zeigen, "was da alles draufgeht, dass es um etwas wahnsinnig Schönes geht, das man bewahren sollte".

Ziemlich romantisch, wie diese Robo-Krabben da in den Sonnenuntergang krabbeln. Oder wollen sie eigentlich in den "Testballon", nach dem dieses Opus (2022, Öl auf Leinwand) von Anna Meyer benannt ist?
- © Rudolf Strobl, 2022, Courtesy: Krobath WienDetail- und anspielungsreich sind die Strände und Savannen bevölkert, wo selbst das Düstere in der Sonne hell leuchtet und strahlt, wie mit Fewa Color gewaschen. Bei perfektem Bilderbuchwetter. (Wobei: Was ein Schönwetter ist, ist relativ. Bei Dürre ist Regen schön.) Dauernd entdeckt man was Neues, wenn man durchspaziert. Die drei Ks. Kinder, Küche, Kirche? Blödsinn. Klima, Krieg und . . . Kunst(geschichte). Ein Felsen weint dalíesk, Robo-Krabben krabbeln in den Sonnenuntergang, Europa packt den Stier bei den Eiern (nicht den russischen Bären, wohlgemerkt), die Muschel enthält keine Perle, dafür die Hölle. "Shell" – "hell". (Mehr oder weniger frei nach dem Mineralölkonzern mit dem Muschel-Logo.)

Liefern die Muscheln jetzt keine Perlen mehr, sondern ukrainischen Weizen? Schildkröten mutieren zu Handgranaten (oder ist das lediglich Mimikry, damit niemand sich traut, ihnen was anzutun?), Schnecken "verpanzern", und das alles bringt sogar einen Felsen zum Weinen. Man suche das titelgebende "Nadelöhr", von Anna Meyer am Strand und nicht im Heuhaufen versteckt.
- © Rudolf Strobl, 2022, Courtesy: Krobath WienDie Fauna rüstet sich, passt sich an die feindlicher werdende Umgebung an, hybridisiert, motzt sich zu Cyborgs auf, degeneriert (Meyer: "Die Tiere müssen sich selber wehren, werden zu Kriegern, weil sie sonst nicht mehr überleben können"), wenngleich die zerbrechlichen Glashelme die Schildkröten- und Flamingo-Soldaten schwerlich effektiv schützen werden.
Malen wie die Letzte Generation
Der Sand (ein echter!) ist auch in der Galerie gestrandet. Stammt der von der Atlantikküste? Nein, aus dem Baumarkt. Und die Künstlerin spielt mit ihm wie in der Sandkiste. Baut parallel zu ihren Bildern trashige Modelle. Erprobt die Leinwandszenen, führt sie auf ihren liebenswerten, kleinen Pawlatschenbühnen auf, von denen sie in den Raum weiterwuchern, auf den Boden ausufern.

Detail aus dem wild fabulierenden "Überhallschallfallall"-Modell. Jö, E-Schnecken (denen Regisseuse Anna Meyer Batterien reingeschoben hat) kriechen über die Tafelbildbühne.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Krobath WienDie Titanwurz hat sie übrigens aus einer umgedrehten Spülmittelflasche und Plastilin gebastelt. Und die an Fäden schwebenden Kampfflugzeuge aus Keilrahmenkeilen. Und hat die militanten "Vögel" umgehend mit Schwanen-, Bussard- und Rabenfedern zu Friedenstäubchen umoperiert. (Äh, sind Bussarde nicht Greifvögel? Sprich Jäger?) "Aus dem Alltagsmüll entstehen mit der Farbe zusammen", erläutert Meyer, "mit den Augen begehbare Bilder. Die Gegenstände fallen praktisch rein und die Farben drüber."

Auf dem Galerieboden geht's weiter, spielt Anna Meyer im Sand.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Krobath WienDie Technik der "Letzten Generation" beherrscht sie genauso: Farbe auf Glas. Allerdings nicht auf Museumsglas, nicht auf jenes, hinter dem die Malerei in Deckung geht. Auf diesem ist die Malerei drauf. Wenn die Malerin zwischendurch ihr Öl nicht auf die Leinwand aufbringt, sondern auf eine Plexiglasscheibe. (Auf, wie gesagt. Keine Hinterglasmalerei.) Einmal imitiert sie gar eine Schüttattacke. Steckt ihre Flamingos mit dem Schwarzen Tod an, mit der Ölpest.
Verspielt und mit Humor (und dem nötigen Respekt) packt hier eine den Ernst der Lage bei den osterbunten Eiern.

Die "Letzte Generation" war da: Öl auf Plexiglas. Und die von Anna Meyer gemalte Sandwüste setzt sich in echt fort.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Krobath Wien