
Das Mainzelmännchen entspannt sich in David Hockneys Pool. "Collage Nr. 929" (2021) von Hank Schmidt in der Beek.
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der Beek"Der Mainzelmännchen-Effekt bei Hannah Höch und Victor Vasarely" – hm. Ziemlich anspruchsvoll, dieser Ausstellungstitel. So könnte genauso gut eine Diplom- bzw. Masterarbeit heißen. Okay, eine, die am ehesten der schlaue Det verfasst hat (das Mainzelmännchen mit der Brille). Oder meinetwegen Schlaubi, der nervige Besserwisserschlumpf. Ebenfalls Brillenträger. (Nicht, dass eine Brille die Voraussetzung fürs Gscheitsein wäre.)
Und eigentlich ist das eh nicht der Titel. Sondern lediglich der Untertitel. Und der Haupttitel? "Guten Aaabend!" Ja, den versteht man auf Anhieb. Auch wenn die Mainzelmännchen ihren Begrüßungsspruch in Wirklichkeit dermaßen nuscheln, dass man deutsche Untertitel bräuchte.
Schließlich ist die Kultur ein Multiversum

Wird die schwebende Tasse runterfallen, wenn das Mainzelmännchen die Stange durchschneidet? Dank Hank Schmidt in der Beek ist dieser Dalí jetzt noch surrealer.
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekWurscht. Die sechs Kleinwüchsigen mit den Zipfelmützen (und neuerdings teilweise ohne Kopfbedeckung), nämlich der faule Anton, der fleißige Berti, der musische Conni, der schlaue Det, der schelmische Edi und das sportliche Fritzchen (he, A bis F, daraus folgt, es könnten theoretisch noch 20 weitere Mainzelmännchen existieren, zumal das Alphabet über 26 Buchstaben verfügt), die sind bekanntlich die Maskottchen vom ZDF. Seit genau 60 Jahren sind sie dort Werbetrenner von Beruf, verantwortlich für die Abgrenzung des Werbeblocks vom restlichen Programm. Zusätzlich sollen sie die Zuschauer zwischen den Spots unterhalten. Diverse Nebenjobs haben sie mittlerweile ebenso, Auftritte in der satirischen "Heute-Show" zum Beispiel.
Ach, und ihre Gags haben einen Effekt auf die Kunst? Jetzt schon. Also seit der Hank Schmidt in der Beek die Zwergerln zum Spielen raus- und auf die klassische Moderne losgelassen hat. Die Spezialität des 1978 geborenen Berliners ("Ich nehme keine Rücksicht auf die originalen Zusammenhänge und Intentionen") ist ja die direkte und ungenierte Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte, wobei es sich im Grunde um Transplantationen handelt, die er an den jüngeren Alten Meistern und Meisterinnen vornimmt. Oder halt an deren Meister- und Meisterinnenwerken. Technik: Cut and paste. Noch komplett analog. Mit Skalpell, Klebstoff und chirurgischer Präzision. Obwohl: "Die Chirurgen, die haben wahrscheinlich noch präzisere Werkzeuge." (Schmidt in der Beek) Collagen fertigt er folglich an. Hybriden aus E und U, aus Ernst und Unterhaltung, integriert den Humor erfolgreich in Ersterem, im Ernst. Eröffnet einen interkulturellen Dialog. (Schließlich ist die Kultur ein Multiversum, oder?) Die populärkulturellen "Niederungen" interagieren mit der "hohen Kunst".
Lieber Mainzelmännchen als Dosensuppe

Dieser Magritte benötigt dringend ärztliche Hilfe: Hank Schmidt in der Beeks "Collage Nr. 912" (2021).
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekDoch während die Aktivisten der Letzten Generation mit Suppendosen ins Museum marschieren und aktionistische Schüttbilder produzieren (und dabei wenigstens darauf achten, dass der van Gogh von einer Glasscheibe vor ihrer Attacke geschützt wird), geht der Schmidt in der Beek viel subtiler vor. Pickt Trickfiguren, nein, selbstverständlich nicht auf die Originale, vielmehr daheim im Atelier auf Abbildungen davon. Als pointierte Kommentare, Anmerkungen.
Zuerst muss er freilich diese vielseitigen Dinger da kaputt machen, zerlegen: die Bücher. Konkret: Kunstkataloge, von denen er "immer schon ein leidenschaftlicher Sammler" war. Und da er nun entschieden hat, "dass ich sie produktiv weiterverwerte, statt sie im Regal stehenzulassen und alle Jubeljahre herauszuholen", reißt (respektive löst) er eben kurzerhand Seiten heraus. Dann beginnt das "Puzzlespiel", die penible Integration der Figuren mit Migrationshintergrund (mit Comic-Wurzeln) in ihre neue Heimat.
Wie die tumben Toren führen sich die herzigen Fremdkörper im Dada, im Surrealismus oder in der russischen Avantgarde auf. Liebenswerte Störenfriede, die mit ihrer Unbeschwertheit und Naivität, ihrem schier kindlichen Übermut für witzige Irritationen sorgen. Sie putzen, verarzten, kraxeln herum, sind Heimwerker und richtige Bosnigeln mit der Schere auf der Suche nach Seilen zum Durchschneiden. Haben keinerlei Berührungsängste. Werden mitunter regelrecht übergriffig. Mit der Gießkanne oder bloßen Händen. Die Wichtel erstarren definitiv nicht in Ehrfurcht vor der großen Kunst, geschweige denn, dass sie einen Respektsabstand einhalten würden.
Die Fahrradpumpe macht den Kreis schön rund

Sind die Mainzelmännchen schuld an den geilen visuellen Effekten in Victor Vasarelys Op-Art? Die "Collage Nr. 916" (2021) von Hank Schmidt in der Beek legt es nahe.
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekAuf den Kasimir Malewitsch dürften sies besonders abgesehen haben. Auf seinen Suprematismus. Seine gegenstandslose Welt voller Geometrie suchen sie sogar mit der Säge heim. "Da kann man natürlich nicht dran sägen", stellt der Künstler klar. "Und das Mainzelmännchen machts trotzdem." Auf die "Ebene in Rotation, genannt: Schwarzer Kreis" (vermutlich weil es schlicht ein schwarzer Kreis ist) stürzt sich das sportliche Fritzchen gleich einmal mit der Fahrradpumpe. Hat es womöglich den Ehrgeiz, die perfekte Rundung zum Platzen zu bringen? Rund, runder, bumm? Und der schlaue Det blickt aus dem legendären Schwarzen Quadrat wie aus einem Fenster und hält sein "Guten Abend"-Schild raus. Na Prost Mahlzeit.
Denn mit der Hannah Höch, in deren dadaistischer Collage mit Gesäß der musische Conni seine talentierten Backen präsentiert (sie bei einem Trompetensolo aufbläst), und mit dem Victor Vasarely, dessen Op-Art die umtriebigen Knirpse besteigen, als wärs die Eiger-Nordwand oder der Mount Everest, begnügen sich die Mainzelmännchen nicht.
Und, nein, in der Op-Art fehlt kein P. Die kommt von "optical": optisch. Ist eine Illusionskunst. Eine, wo abstrakte Muster Dreidimensionalität vorgaukeln. Oder ein Flimmern, ein Vibrieren. Bewegung suggerieren. Und der Schmidt in der Beek macht kongenial mit bei dem Täuschungsmanöver. Platziert die kletternden Mainzelmännchen so im gestreiften Opus des berühmtesten Op-Artisten, als würden sie (mit ihrem Gewicht) die Streifen nach unten ziehen und die visuellen Effekte dadurch erst erzeugen. Eine passgenaue logische Erklärung, wie das Gemälde entstanden sein könnte. Wie maßgeschneidert. ("Manchmal rasten die wirklich ein." Sprich die Besucher aus den Comic-Heftln.) Und den Konstruktivismus einer Ljubow Popowa schüttelt wiederum der schlaue Det aus seinem Buch.
Von der Kunst in den Wahnsinn geschlumpft
Hilfsbereit sind die Mainzelmännchen sowieso. Und deshalb Kunstbanausen. Einem geschundenen Stück Menschenfleisch von Francis Bacon wird arglos Luft zugefächelt, und weil der Steinkopf in Magrittes "Die Erinnerung" einen blutroten Fleck hat, kommt sofort wer mit dem Erste-Hilfe-Köfferchen daher.
Und reinlich sind sie, habens sichtlich gern sauber. Drum sind sie die natürlichen Feinde der Aktionisten. Oder des führenden Vertreters des Nouveau Réalisme, Yves Klein, der sein eigenes Blau besaß und sich dieses obendrein patentieren ließ (als "International Klein Blue") und berüchtigt war für seine mit lebenden Pinseln fabrizierten "Anthropometrien". Und wie reagiert ein Mainzelmännchen, das sich mit einer solchen, einer "Anthropometrie" (wie ein Kartoffeldruck, nur mit nackerten Frauen), konfrontiert sieht? Wie ein Maler und Anstreicher. Es walzt sie mit weißer Farbe nieder.

Sooo viele Punkte beim Sigmar Polke: Papa Schlumpf rückt in Hank Schmidt in der Beeks "Collagen Nr. 804a + b" mit dem Schmetterlingsnetz aus.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekApropos blau: Die Schlümpfe treiben hier gleichfalls ihr sehr unterhaltsames Unwesen. Oder werden getrieben. Von der Kunst in den Wahnsinn. Wie der Papa Schlumpf, der den herumschwirrenden Kringeln des "kapitalistischen Realisten" Sigmar Polke verzweifelt mit dem Schmetterlingsnetz hinterherschlumpft. Die Botschaft des konzeptuellen "Secret Paintings" von Art & Language (ein schwarzes Quadrat mit dem Hinweis, dass der Inhalt dieses Bildes unsichtbar und allein dem Künstler bekannt sei und unbedingt für immer geheim gehalten werden müsse), vor dem andere vielleicht kapitulieren würden ("Leck mich doch am Azrael!"), erschlumpft der Intellektuelle im Schlumpfdorf, der Schlaubi, dafür in Schlumpfes-Eile und kritzelt in seine Sprechblase ein "Pst!", fordert absolute Diskretion ein. Jö, selbst die Passepartouts sind schlumpfblau.
Den Leuten ein Loch hinblatteln
Und weil der Collageur seit 15 Jahren Comic-Heftln seziert und ausschlachtet und entsprechend viele besitzt, ist man nicht sonderlich überrascht, auch auf Entenhausener zu treffen. Auf einen sich ratlos am Kopf kratzenden Donald Duck etwa, der eine Papierarbeit des Mannes mit dem Filzhut und dem erweiterten Kunstbegriff, also von Joseph Beuys, erstaunlich exakt beschreibt: "Ich sehe nichts als ein weißes Blatt mit einem Loch in der Mitte." Und während er ein andermal in Magier-Montur einen surrealen Zaubertrick vorführt (die schwebende Jungfrau mit einem Tiger im Hintergrund, der aus dem Maul eines Fisches springt), einen echten Dalí ("Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen"), wird seinen Neffen Tick und Trick, die offenbar als Nächste dran sind, schlagartig bewusst, dass sie sich mit ihrem einstudierten Kunststück jetzt brausen gehen können: "Danach ist unser ,Tanzendes Taschentuch ein bisschen dünn." Herrlich.

Schlumpf assistiert René Magritte. Er färbelt in der 843. Collage von Hank Schmidt in der Beek allerdings nicht das Ei an.
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekSelten hab ich mich beim Betrachten von mehr oder weniger alten Schinken so amüsiert. Oder streng genommen kann ich mich bloß an ein einziges Mal erinnern. Damals hat der Obelix einen schwerelos in der Luft hängenden Felsbrocken vom Surrealix, Tschuldigung: vom René Magritte, einfach wie einen Hinkelstein huckepack genommen (und ist selber wie ein Heliumballon emporgeschwebt). In der Galerie von der Gabriele Senn hat er das getan, weil der Hank Schmidt in der Beek da schon vor zehn Jahren einmal ausgestellt hat.
Mit dem Exorzisten den Kleinen Maulwurf austreiben?

In Hank Schmidt in der Beeks "Collage Nr. 910" (2021) mischt sich der Kleine Maulwurf mit dem Dreieckslineal in Malewitschs dynamischen Suprematismus ein.
- © Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekWie ist das Ganze überhaupt einzuordnen? Sind diese banalen bis höchst geistreichen und praktisch immer originellen Eingriffe Vandalenakte oder, im Gegenteil, lauter Ehrenbezeigungen? Oder beides? Oder schlicht eine postmoderne Pop-Art? Post-Pop? Einen Exorzisten brauchen die von den Mainzelmännchen, Schlümpfen, Ducks, den Galliern und dem Kleinen Maulwurf "besessenen" Kunstwerke zumindest nicht. Schlimmstenfalls ein gutes Lösungsmittel, dessen Anwendung allerdings seinerseits ein Akt des Vandalismus wäre.
Nicht zuletzt machen die lustigen Gäste die hehre Kunst barrierefreier. Brechen das Eis. Was eventuell am "Mainzelmännchen-Effekt" liegt, der den Mainzelmännchen und den Werbetrennern generell unterstellt, sie wären möglicherweise zu attraktiv und würden, anstatt die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Werbeclips zu lenken, die Leute von diesen ablenken. Würden der Reklame schaden, sie weniger wirksam machen. Und dass man bei den Suchbildern mit Mainzelmännchen mehr auf die Mainzelmännchen schaut als auf die Kunst dahinter, kann durchaus passieren. Andererseits kennt man das meiste ohne Mainzelmännchen erstens ohnedies längst und lernt es zweitens durch die Neuinterpretation allenfalls umso besser kennen.
Das Hemd ist ihm näher als die Landschaft
Hank Schmidt in der Beek schickt aber nicht immer andere vor (die Mainzelmännchen, die Schlümpfe . . .). Höchstpersönlich und in voller Lebensgröße ist er zu Monets Seerosenteich in Giverny gereist, zu Cezannes Steinbruch von Bibémus oder in Caspar David Friedrichs Elbsandsteingebirge, alles Wiegen der klassischen Moderne.

Man sieht es diesen Bildern nicht an, aber das ist Freilichtmalerei. Vor romantischer Naturkulisse entstanden. Was da dargestellt ist? Das Muster des jeweiligen Pullovers, das der Hank Schmidt in der Beek beim Malen angehabt hat.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der BeekNicht, dass er sich jeweils mit Superkleber an diesen historischen, kunsthistorischen Orten befestigt und gewartet hätte, bis ihn die Polizei mit Nagellackentferner befreit. Nein, er hat seine Staffelei in der Natur aufgebaut und nachher "das Naheliegendste", wie er meint, gemalt: das Muster seines Pullovers oder Hemds. Auf alle Fälle nicht die Aussicht. Konzeptuell egozentrische Pleinairmalerei im Zeitalter der Selfie-Manie? Ein Selbstporträt oder Selbstironie? Narzissmus oder maßt sich da einer aus Bescheidenheit und Demut nicht an, dieselbe Landschaft zu malen wie Monet und Co.?
Äh, hätte er sein Projekt "Und im Sommer tu ich malen" nicht genauso in der Stadt realisieren können? In Berlin? Und im Atelier? Na ja, würde man dort solche Hemden tragen? Außerdem: die Aura, hallo? Die der Gegend überträgt sich bestimmt aufs Bild. Spätestens, wenn man das jeweilige Beweisfoto sieht (Fotograf: Fabian Schubert), das den Maler in freier Wildbahn bei der Arbeit zeigt und belegt, dass er tatsächlich "vor Ort" war.
Karos welken nicht
Nicht einmal, wenn es zu regnen anfängt, malt er die Streifen, Rauten und Karos drinnen fertig. Deswegen hören die horizontalen gelben und blauen Streifen, die er auf dem Herzogstand in Bayern gezogen hat, plötzlich mittendrin auf. Vor der Lieblingskirche Monets, die dieser zu verschiedensten Tageszeiten und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen studiert hat, war es hingegen eindeutig trocken. In der in der Galerie aufliegenden Publikation findet sich nämlich ein vollständiges Karomuster: "Die Kathedrale von Rouen (nachmittags)."
Im Herbst hat er weitergemalt und die Rauten dann im Frühling an eine Galeriewand in Wien gehängt. Samt Fotobeweis. (Der Maler und seine Staffelei auf einem Teppich aus welken Blättern im Bürgerpark Braunschweig. Links vor einer Caspar-David-Friedrich-würdigen romantischen Ruine, rechts an einem See.) Anscheinend eine von Grund auf ehrliche Kunst. Beschissen wird man von ihr jedenfalls nicht.

Die dazugehörigen Tatortfotos (gemacht von Fabian Schubert): Hank Schmidt in der Beek mit Staffelei, Pinseln und Pullover im herbstlichen Bürgerpark Braunschweig.
- © kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez, Courtesy: Gabriele Senn Galerie und Hank Schmidt in der Beek