Echt jenseitig, was man im Bildraum 01 geboten bekommt. No na, da sind alle tot, nämlich der Che Guevara, der Stalin, der Mao, der Gaddafi und die Frida Kahlo, und die müssen damit nun notgedrungen leben. Letztere in Gestalt einer Barbiepuppe der "Inspiring Women"-Serie und die vier Männer als handliche Actionfiguren. Als Massenware in den Händen des Konsumenten bzw. eines Künstlers, der mit ihnen spielt und in einem vielleicht nicht ganz sauberen Syllogismus aus den zwei Prämissen "Plastik ist für die Ewigkeit" und "Das Leben nach dem Tod währt auch ewig" den Schluss zieht: "Deshalb ist das Leben nach dem Tod aus Plastik." (Plastik? Dieses Erdölprodukt? Pfui!)
Life in plastic, its fantastic
In den Filmen, die Kosta Tonev mit ihnen gedreht hat ("Dolls I" und Dolls II") und bei denen es sich folglich um keine Zombiefilme handelt (und um Actionfilme genauso wenig, sonst hießen die wohl "Play Hard" und "Play Harder – Jetzt erst recht"), plaudern die Revolutionäre, Diktatoren und die Malerin dann, nein, nicht aus dem Nähkästchen, sondern angeregt aus dem Mistkübel der Geschichte. Quasi. Und das tun sie bezeichnenderweise in der Sprache der Globalisierung: auf Englisch. Allerdings mit patriotischem Akzent, weil der 1980 im bulgarischen Plowdiw geborene und mittlerweile in Wien ansässige Künstler für seinen Mao einen Chinesen als Sprecher engagiert hat, für Gaddafi einen Libyer, für Che einen Kubaner, seiner Frida leiht eine Amerikanerin ihre Stimme (gut, Mexiko liegt eh fast in den USA) und sein Stalin ist ein . . . Finne.

Einblick in die Ausstellung "Tales from the Dustbin of History" im Bildraum 01. Zwei Videos ("Dolls I" und "Dolls II") und 70 gedruckte Botschaften von Kosta Tonev.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Ein selbstbestimmtes Leben nach dem Tod führen die fünf ohnehin nicht. Die "göttlichen" Arme (die des Schöpfers der Videos), von denen sie kontrolliert, bewegt werden, sind praktisch durchwegs im Bild. "Dolls I": Posthume Rivalitäten zwischen zwei Alphamännchen. Mao Zedong und Muammar al-Gaddafi, die in ein weißes Nichts entrückt worden sind, versuchen sich gegenseitig zu beeindrucken, schenken sich nichts. Okay, der "Revolutionsführer" überlässt dem "Vorsitzenden", der sein rotes Buch dabeihat (die Mao-Bibel), sein grünes Buch. Wirft es ihm wütend vor die unverwüstlichen Kunststoff-Füße. (Gaddafi zu Mao: "Beschuldigst du mich des Plagiats?" – Mao zu Gaddafi: "Ich sage nicht, du hättest mein Buch kopiert. Du hast mich kopiert.")

Zwei Alphamännchen im Leben nach dem Tod. Und beide haben ein Buch dabei: Mao seinen roten Bestseller und Gaddafi sein Green Book. Szene aus Kosta Tonevs "Dolls I" (2020). Man beachte die weggeworfene "amerikanische" Sonnenbrille des libyschen Revolutionsführers.
- © Bildrecht Wien, 2023Wobei Mao, der natürlich bereits länger tot ist, sich an seine Wiederauferstehung als Actionfigur inzwischen gewöhnt haben dürfte. Ohne ideologische Bedenken intoniert er den Song "Barbie Girl" der Band Aqua ("Im a Barbie girl in a Barbie world, / Life in plastic, its fantastic . . .") und zieht für Gaddafi eine Flugshow ab, macht ihm vor, wie man hier als Super-Mao, Tschuldigung: Superman, herumdüsen könne. Der will sich freilich nicht ausgerechnet mit einem Kämpfer für den American Way of Life identifizieren, woraufhin ihn Mao darüber aufklärt, dass er doch sowieso eine Captain-America-Sonnenbrille auf der Nase hätte. ("How do you know this?" – "We make those in China.")
Nach dem Tod bringt dir kein Stadtplan mehr was
In "Dolls II" wiederum sind Ernesto "Che" Guevara, Josef Stalin und Frida Kahlo in diesem White Cube ohne jegliche Orientierungspunkte gefangen. Drei Menschen in einem Raum, im Lockdown nach dem Tod, gefangen in einer Situation, aus der sie nicht entkommen können, während sie sich gegenseitig piesacken und sich verzweifelt an ihre Selbsttäuschungen klammern – eine Versuchsanordnung wie in Jean-Paul Sartres existenzialistischem Einakter "Geschlossene Gesellschaft", in dem der womöglich meistzitierte Satz des französischen Romanautors, Dramatikers und Philosophen fällt: "Die Hölle, das sind die anderen."

Che Guevara, Frida Kahlo und Stalin im Plastikjenseits als Actionfiguren und Barbiepuppe in den Händen des Großen Konsumenten. Oder des Künstlers halt: "Dolls II" (2022) von Kosta Tonev.
- © Bildrecht Wien, 2023Nicht, dass Tonevs Trio ebenfalls in der Hölle wäre. Oder doch? Zumindest befindet es sich an einem Nicht-Ort, in einem Jenseits ohne Geografie, ohne Hauptstadt, ohne Machtzentrum, wo Revolutionen demnach obsolet geworden sind. Oder höchst schwierig. Für Revolutionäre eventuell durchaus die Hölle. Tonev: "Früher war das einfacher. Wenn man nicht zufrieden war, wusste man, wo der König wohnt. Der Kapitalismus hat keine Geografie."
Warum der Kapitalismus? Weil der anscheinend die Weltherrschaft an sich gerissen und sogar die Kinder der – marxistischen – Revolution gefressen hat. Che, der sein eigener größter Fan ist, ein Leiberl mit seinem jesus- oder chesusgleichen Konterfei trägt, bietet dem davon nicht sonderlich begeisterten Stalin auch eines an, ein T-Shirt. Er würde sein Gesicht ausbeuten lassen wie das Proletariat, wirft der sowjetische Ex-Diktator dem Comandante vor, den er einen "Antiestablishment-Jesus" nennt. Tja, wer keinen Personenkult um sich selbst treibt, werfe den ersten Stein im Glashaus, in dem er sitzt. Oder ist sein Orden auf der Brust etwa gesichtslos?

Theatralisch: Die Holzkonstruktionen für Kosta Tonevs Videos haben eindeutig was von Guckkastenbühnen.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Eine, die als berüchtigte Selbstporträtistin ihre Physiognomie in- und auswendig gekannt hat, schlägt vor, mehr in den Spiegel zu blicken. Weltverbesserung durch Selbstbeschau. Indem man bei sich anfängt. Und kriegt von Che einen Rüffel. Ob sie nicht denke, sie sei ein bissl von sich besessen. Nach einer Gesangseinlage zu dritt (Michael Jacksons "Man in the Mirror": "If you wanna make the world a better place, / Take a look at yourself and then make a change . . .") können sie partout keine Spiegel finden und kapitulieren vor den Tatsachen. Kamma halt nix machen. Bleibt eben alles beim Alten.
Haustiere aller Länder, vereinigt euch!
"Tales from the Dustbin of History" ist die sehr politische, kluge, aber trotzdem alles andere als trockene oder gar langweilige, um nicht zu schreiben: sterbenslangweilige, Schau also betitelt. Ja, die bunten Druckfarben auf den 70 Plakaten, mit denen eine Wand tapeziert worden ist, sind schon trocken. Getrocknet. Nimmer feucht. Und das Papier mit den rätselhaften Botschaften drauf ist übrigens nicht irgendwann zerknüllt gewesen und wieder glattgestrichen worden. Das hat niemand aus diesem ominösen "Mülleimer der Geschichte" herausgefischt, in dem diverse Ideologien und Gesellschaftsutopien, so manche Ismen gelandet sind: der Maoismus, Stalinismus, Kubismus . . . (nein, falsch der Kubismus ist eine Kunstrichtung, nicht die auf Kuba praktizierte Variante des Kommunismus).

70 druckfrische Variationen zu einem Thema mit 19 Buchstaben: Kosta Tonev hat Bill Clintons Wahlkampfslogan "It's the economy, stupid!" durch den Anagramm-Generator gejagt.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Alles frisch gedruckt. Mit alten, gebrauchten Holzlettern. "Shitty Unpoetic Demos" – beschissene, unpoetische Demos. Was soll denn das, bitte, bedeuten? Oder "Posh Comedy Institute". (Schickes Komödieninstitut.) "Dichotomy Unites Pets": Gegensätzlichkeit vereint die Haustiere. (Klingt wenigstens revolutionär. Hunde, Katzen, Hamster, Goldfische und Wellensittiche aller Länder, vereinigt euch!) "They Composted Inuits": hä? Die haben die Inuit kompostiert? Wer?
Woraus wird Käse gemacht? Aus der Wirtschaft!
Kosta Tonev hinterfragt hier die "freie" Marktwirtschaft, in der der Markt angeblich alles regelt, sich selber reguliert (durch Angebot und Nachfrage) und die Demokratie befördert. Sucht Alternativen, den Wandel. Mit dem Anagramm-Generator. Stellt die 19 Buchstaben in Bill Clintons ökonomiegläubigem Wahlkampfslogan aus den frühen 1990ern ("Its the economy, stupid") gründlich um. (Es ist die Wirtschaft, du Trottel! – He, und gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut, oder?) Ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Jedenfalls kommt nichts wesentlich Gscheiteres dabei raus als ein "Cheesy Donut Optimist". Ein käsiger (oder kitschiger) Donut-Optimist?

Könnte das dieser "cheesy donut optimist" sein? Vielleicht. In erster Linie handelt es sich freilich um den Künstler, um Kosta Tonev, der hier zugegebenermaßen ziemlich optimistisch dreinschaut.
- © Eva Kelety, Bildrecht 2023Hat der Kapitalismus kein Happy End? Es ist dennoch keine Finissage-Aktion geplant, wo die Zetterln von der Wand gefetzt und in den Mülleimer der Geschichte gestopft werden. Zum Mao- und Stalinismus dazu. (Außerdem: Mit jedem – obendrein unikaten – Plakat würde Tonev 150 Euro vernichten. Das kosten sie nämlich, die Blätter.)
Dafür soll am 20. April um 19 Uhr ein performatives Künstlergespräch stattfinden, das sich laut Ankündigung während einer Partie des Kartenspiels Trumpf zwischen Kosta Tonev und der Kulturarbeiterin und Kuratorin Aline Lenzhofer entfalten wird. Hört sich nach Multitasking an.