Wem gehört Iljia Repin? Diese provokante Frage stellt die Ausstellung "Born in Ukraine" im Kunstmuseum Basel - und beantwortet sie unmissverständlich: Repin, bekannt durch seine monumentalen Menschenbilder, Porträts- und Landschaftsmalerei, die gleichsam als "ur-russisch" wahrgenommen wurden - ist eigentlich Ukrainer.

Eine der wenigen Künstlerinnen: Zinayida Serebryakova: "Selbstbildnis", 1923. 
- © Kyiv Nat. Art Gallery

Eine der wenigen Künstlerinnen: Zinayida Serebryakova: "Selbstbildnis", 1923.

- © Kyiv Nat. Art Gallery

Die Ausstellung "Born in Ukraine" versammelt im Erdgeschoß des Baslers Kunstmuseums 49 Gemälde von 31 Kunstschaffenden aus dem 18. bis 20. Jahrhundert und ist zugleich eine Rettungsaktion für wichtige Werke der Kiewer Gemäldegalerie. Im Oktober 2022 wurde die Galerie durch russische Raketenangriffe schwer beschädigt.

Ob die Ausstellung im Dezember eröffnen konnte, war bis kurz vor der Eröffnung ungewiss. Der Transport der Kunstwerke durch das Kriegsgebiet geriet zum Abenteuer, keine Versicherung wollte die Risiken übernehmen. Zunächst war die Ausstellung, die übrigens bei freiem Eintritt läuft, nur bis April anberaumt, mittlerweile wurde der Zeitraum bis 2. Juli verlängert. Derzeit hofft man, dass sich danach ein anderes Museum findet, das die Bilder beherbergt.

"Born in Ukraine" ist mehr als nur eine Ausstellung von Bildern und Kunstschaffenden, die man hierzulande kaum kennt. Das Projekt spiegelt vielmehr die Suche der Ukraine nach ihrem kulturellen Erbe wider.

Malewitsch war Ukrainer

Seit 2014 macht sich die Kiewer Gemäldegalerie um eine kritische Re-Lektüre und Erforschung der eigenen Sammlung verdient - und hinterfragt damit auch grundlegend den Begriff von russischer Kunst. Der Krieg verleiht diesem Vorhaben zwangsläufig eine gewisse Brisanz.

Wie geht man nun in Zeiten des Krieges mit dem kulturellen Erbe ukrainischer Kunstschaffender um, die von der Kunstgeschichte lange Zeit unhinterfragt der russischen Kunst zugeschrieben wurde?

Prominentes Beispiel: Kasimir Malewitsch. Weithin berühmt für sein "Schwarzes Quadrat", wird der Künstler gemeinhin der russischen Avantgarde zugeordnet; tatsächlich ist Malewitsch aber in Kiew geboren und verstand sich zeitlebens als Ukrainer.

Oder David Burljuk: Er gilt als Vater des russischen Futurismus, die Ausstellung weist aber eindrucksvoll nach, dass Burljuk seine extravaganten Farbkompositionen unter dem Einfluss der ukrainischen Folklore entwickelt haben könnte.

Oder der eingangs erwähnte Iljia Repin: Geboren 1844 in Charkiw, die zweitgrößte ukrainische Stadt ist gegenwärtig wieder Kriegsschauplatz, studierte Repin an der Kunst-Akademie in St. Petersburg, ein Auslandsstipendium führte ihn sogar nach Wien und Paris. 1876 kehrte er nach Russland zurück, lebte aber von 1903 bis zu seinem Tod 1930 mit seiner Frau in Kuokkala, Finnland.

Repin wirkte zu einer Zeit, in der die Ukraine zunächst Teil des Russischen Kaiserreiches war und ab 1922 der Sowjetunion zugerechnet wurde. Nicht nur die ukrainische Sprache war verboten, zahlreiche Gesetze sorgten dafür, dass es praktisch unmöglich war, eine eigenständige Kultur zu entwickeln. Auch für eine professionelle Kunstausbildung musste man seinerzeit nach Moskau oder St. Petersburg ausweichen. Die Elite des Landes wurde während der gesamten Zeit systematisch verfolgt.

In "Born in Ukraine" sind, neben Ilja Repin, noch Dmytro Lewytsky, Wolodymyr Borowykowsky, Archyp Kuyindschi und Mykola Jaroshenko ausgestellt. Diese Maler eint, dass sie in der Ukraine geboren sind, jedoch in Russland ausgebildet und daher automatisch der russischen Kultur zugeordnet wurden, auch wenn einige in anderen Teilen Europas oder in den USA lebten.

Beim Rundgang durch die Ausstellung begegnet man auch Bildern von ukrainischen Künstlern mit jüdischen, armenischen, polnischen und griechischen Wurzeln - wie Iwan Aiwazowsky, Lew Lagorio, Archyp Kuyindschi, Kostiantyn Kryschytsky, Isaak Brodsky und Dawyd Schterenberg.

Malende Kosaken

Rein formal betrachtet, ähneln ihre Porträts und Landschaftsbilder des 18. und 19. Jahrhunderts ihren Kollegen in Westeuropa.

Worin mag also die besondere Bedeutung für das kulturelle Selbstbewusstsein liegen? Um das zu erfassen, hilft ein Blick in die Geschichte: Fast alle der ausgestellten Maler stammen von Kosaken ab.

Kosaken mag man hierzulande mit Reitkünsten, romantischen Chöre und wilden Tänze assoziieren, in der Ukraine formierte sich rund um die Kosaken jedoch der politische Widerstand - zunächst gegen das Zarenreich, dann gegen die Sowjetunion; bei den Maidan-Demonstrationen 2014 dienten die einstmals verfolgten Kosaken als Vorbilder.

Der Kiewer Museumsdirektor Iurii Vakulenko und seine Kuratorin Oksana Pidsucha, die zugleich "Direktorin des Museums der Ukrainischen Diaspora" ist, betreten mit der Ausstellung "Born in Ukraine" und der damit einhergehenden Re-Lektüre der Sammlung und kritischen Befragung der Bestände sensibles Terrain, das zur Kontroverse einlädt, in abgewandelter Form aber derzeit viele Museen beschäftigt.

Die Sammlungen zahlreicher kultureller Einrichtungen, die häufig in der Kolonialzeit gegründet wurden, bestehen zum Teil aus Objekten, die auf fragwürdige Weise erworben wurden. Die Museen beginnen sich nun erstmals kritisch mit den mitunter dunklen Ursprüngen ihrer Bestände auseinanderzusetzen. Die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria und das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Nigeria ist nur ein prominentes Beispiel.

Im Wiener Weltmuseum fragt man sich mitunter auch, unter welchen schwindligen Bedingungen so manche Artefakte in die Schaukästen kamen. Abgesehen von kolonialer Raubkunst, ist etwa die kulturelle Aneignung, die während der Habsburgermonarchie praktiziert wurde, noch längst nicht aufgearbeitet. Anders gefragt: Wem gehört Ödön von Horváth?