In der Nacht sind wahrscheinlich sogar diese Bilder grau. (Sofern keiner herinnen das Licht einschaltet und sie lediglich mit der Straßenbeleuchtung auskommen müssen, die von draußen durch die Fenster reinspechtelt.) Grau wie die Katzen. Und die sind am Tag nicht annähernd so grellbunt wie die Gemälde von Emmanuel Bornstein (Technik: Öl und Emotionen auf Leinwand), die einem mit ihrer intensiven Palette förmlich eine knallen. Und immer wieder dieses Kreischgelb, das nicht bloß laut, sondern fast schon toxisch ist, sich in die Netzhaut einätzt. 

Sich in die Polychromie hineinkauern

Aussehen tun sie jedenfalls wie das blühende Leben, die Bilder (was aber nicht nur daran liegt, dass sich die kleinformatigere der beiden ausgestellten Serien auf Blumenstillleben einlässt), stehen voll im Saft. Dabei stammen die Motive der großen Formate aus einem Kriegsgebiet. Aus der Ukraine. Die Motive, wohlgemerkt. Nicht die Bilder selbst. Oder gar der Maler. Der ist Franzose (1986 in Toulouse geboren) mit Atelier und Wohnsitz in Berlin.

Bunt geht die Welt zugrund': Ukrainer suchen in "Shelter VI" (2023) von Emmanuel Bornstein Schutz im U-Bahntunnel. 
- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Bunt geht die Welt zugrund': Ukrainer suchen in "Shelter VI" (2023) von Emmanuel Bornstein Schutz im U-Bahntunnel.

- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

In seinem ausdrucksstarken Zyklus "Shelter" (Zuflucht) suchen Zivilisten Schutz vor russischem Beschuss, bunkern sich unter der Erde ein, im U-Bahntunnel, starren auf ihre Handydisplays. Eine hat einen Chihuahua mit dabei. Oder der Maler setzt seine Figuren kurzerhand im abstrakten Farbraum aus und dort, wo eine perspektivische dritte Dimension bestenfalls angedeutet ist, kauern sie sich dann allein und mit klarer, ruhiger Kontur in die expressive Malerei, finden Unterschlupf in der Buntheit (wie die Arbeiten wiederum ein Obdach in der Galerie Crone gefunden haben). Die Farbe modelliert die Körper höchstens notdürftig aus der Fläche heraus, fließt durch die Leiber vielmehr hindurch.

Malen ist sowieso ein Kampf (zwischen Maler und Bild), die Leinwand ein Schlachtfeld der Gefühle, auf dem sich das Abstrakte und das Gegenständliche, die pastose Geste und der beschreibende zeichnerische Strich gekonnt zusammenraufen. Zur inneren Zerrissenheit. Zu einem Waffenstillstand. Am Ende ist wieder einmal eine Schlacht gewonnen, doch nicht der Krieg. 

Nur hinter den Händen hat man noch seine Privatsphäre

Überhaupt hat Bornstein sichtlich ein inniges Verhältnis zur Leinwand. Verarztet sie gleichsam, noch bevor etwas darauf passiert ist, er sie grundiert hat. Klebt nämlich zuallererst rohe Flicken auf, ausgefranste Leinenfleckerln. Um nachher "mit den ,Narben‘ zu spielen", wie er sagt. Widerstände, die sich der braven Glätte widersetzen und die der Pinsel überwinden muss. Nicht, dass ich den Bornstein zum Widerstandskämpfer hochstilisieren möchte. Seine Großeltern waren bei der Résistance.

Dreimal Einzelhaft in der expressiven Buntheit: Maler Emmanuel Bornstein hat seine drei Figuren in "Shelter II" (2022), "Shelter VII" (2023) und "Shelter I" (2022) dazu "verurteilt". 
- © SIMON VERES, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Dreimal Einzelhaft in der expressiven Buntheit: Maler Emmanuel Bornstein hat seine drei Figuren in "Shelter II" (2022), "Shelter VII" (2023) und "Shelter I" (2022) dazu "verurteilt".

- © SIMON VERES, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Strukturen und Effekte erzeugt der Enkel von Widerstandskämpfern außerdem mit einem Tuch, das er nicht aufcollagiert, weil er es lieber in die feuchte Farbe drückt und von dieser wieder abzieht. ("Das ist Teil der gleichen Logik, um mehr Textur und Zerbrechlichkeit in den Werken zu schaffen.") Die Vergangenheit in Gestalt eines entfernten Tüchls hinterlässt Ich-war-da-Spuren. Quasi.

In einem Zweiteiler (zwei Tafeln haben sich zu vier Metern Länge zusammengeschlossen): eine ausgedehnte Landschaft aus fröhlicher Bettwäsche, ein Klappbettenfeld. Und mittendrin hockt traurig eine Verzweifelte, die ihre Augen zuhält, vor der brutalen Realität zu verschließen versucht. Eine Notschlafstelle für Menschen, die alles verloren haben? Und zuletzt auch noch jegliche Privatsphäre, dass sie sich nur noch hinter ihre eigenen Hände zurückziehen können?

Zu viele Farben für ein einziges Bild: Emmanuel Bornsteins "Shelter V" (2023) ist zweiteilig. 
- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Zu viele Farben für ein einziges Bild: Emmanuel Bornsteins "Shelter V" (2023) ist zweiteilig.

- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Flucht und Migration kommen in Bornsteins Familiengeschichte ebenfalls vor, prägen seine Kunst und Biografie. Seine Urgroß- und Großeltern waren italienische bzw. polnische Einwanderer, waren väterlicherseits Juden, sind vor Mussolini und Hitler geflohen. Und er selber ist nun in die Geburtsstadt von einem seiner Großväter übersiedelt, nach Berlin, hat hier, nach einem Malereistudium in Paris, die Universität der Künste besucht. 

Die Stillleben wollen nicht stillhalten

Und die intimeren Formate? Gehören zur "Pensée"-Serie. Pensée: Französisch für Gedanke. Und für: Stiefmütterchen. Die "Pflanze des Gedenkens", ein Symbol der Erinnerung. Gedenken und sich erinnern, selbst unterschwellig im Hintergrund von aktuellen Sujets, das tut er ja gern, der Bornstein. Ob das da in der gemalten Vase wirklich Stiefmütterchen sind? Die einzelnen Blätter (die "Stiefmutter", die "Töchter" und die "Stieftöchter") summieren sich zumindest untrennbar und bis zur botanischen Unkenntlichkeit zur Blüte. Blumenstillleben, die ohnedies nicht stillhalten (Stillleben, hallo?), ihre Gedanken in die Abstraktion abschweifen lassen, bis die pure Malerei erblüht (wenngleich weniger einprägsam als in der "Shelter"-Reihe).

"Pensée IV" (2023) von Emmanuel Bornstein: Blumen, die in die Abstraktion hineinblühen? 
- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

"Pensée IV" (2023) von Emmanuel Bornstein: Blumen, die in die Abstraktion hineinblühen?

- © Marcus Schneider, Courtesy: Galerie Crone Berlin, Wien

Einer, der seine düsteren Themen in hellstem Kolorit verhandelt und den Finger trotzdem auf die Wunde legt. (Man muss schließlich nicht genussvoll drin herumwühlen im Schmerz, als wäre man in einem Splatterfilm.)

Ein Schlusswort sei mir noch erlaubt: Exzellent.