Es ist nur ein kleiner Satz in einem Wandtext der Ausstellung - und erklärt doch eine andere Welt. "Vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Post in Wien je nach Bezirk fünf bis siebenmal täglich zugestellt." Heute unvorstellbar. Aber: Das Telefon war noch weit davon entfernt, in jeder Hosentasche zu stecken. Also benachrichtigte man einander via Postkarte, mitunter mehrmals am Tag. Und manchmal, wenn es viel zu sagen gab, musste man auch über die "Ansicht" drüberschreiben. Das ist einer der Gründe, warum diese Kommunikationsform dermaßen boomte zu jener Zeit. Ein erster schüchterner Vorläufer unserer heutigen Massenkommunikation.

Überall Strafporto

Apropos schüchtern: Begonnen hat der Siegeszug der Postkarte wenig glamourös, erfährt man in der neuen Ausstellung im Wien Museum MUSA. Die sogenannte Correspondenzkarte, die ab 1869 in Österreich-Ungarn in Umlauf kam, war eher schmucklos. Bilder kamen erst nach und nach dazu, etwa als Werbung für Firmen, später gesellten sich endlich Sehenswürdigkeiten hinzu. 1874 wurde der Weltpostkartenverband gegründet, der - wie könnte es im postalischen Bereich anders sein - Regeln für die Größe und sonstige Beschaffenheit der Postkarte festlegte. Dass sich da so mancher nicht daran hielt, zeigt eine Vitrine der Schau, mit einer schräg geschnittenen Minikarte, die über und über mit Strafporto beklebt ist. Vedutenmalerei und Gebrauchsgrafik waren die Genres, derer sich die Postkarten dereinst bedienten. Aber bald wurden auch Fotografien verwendet. Die Nachfrage war zu Beginn so groß, dass "unaktuelle" Fotos verwendet wurden - diese dafür dann gleich von verschiedenen Verlagen. Es entstand auch ein neuer Beruf: der Ansichtskartenmaler. Ab 1907 stieg auch die Wiener Werkstätte in das Geschäft ein und produzierte echte Druckgrafiken, also kleine Kunstwerke für die (limitierte) Masse.

Naturgemäß Spitzenreiter der Motive bei Ansichtskarten aus Wien: der Stephansdom. Hier eine Karte aus dem Jahr 1911. - © Wien Museum
Naturgemäß Spitzenreiter der Motive bei Ansichtskarten aus Wien: der Stephansdom. Hier eine Karte aus dem Jahr 1911. - © Wien Museum

Die Ausstellung "Großstadt im Kleinformat. Die Wiener Ansichtskarte" verfolgt die Geschichte des Doch-kein-Briefs von den Anfängen zu seinen nicht mehr so üppigen Ausläufern in der Gegenwart. Von hunderten Herstellern um 1900 waren nach der Jahrtausendwende gerade einmal ein Dutzend übrig. Die Entwicklung stagnierte aber interessanterweise bereits nach dem Ersten Weltkrieg: Aufwändigere (teurere) Verfahren wurden eingestellt, und für Jahrzehnte sollten dann Schwarz-Weiß-Fotos dominieren.

Nachricht von einem "fürchterlichen Katarrh" auf einer Postkarte mit der Hofburg von den Wiener Werkstätten, Joszef Divéky, ab 1909. - © Wien Museum
Nachricht von einem "fürchterlichen Katarrh" auf einer Postkarte mit der Hofburg von den Wiener Werkstätten, Joszef Divéky, ab 1909. - © Wien Museum

Ein krasser Rückschritt, wie ein Blick auf Karten von circa 1900 zeigt. Da gibt es ein Tegethoff-Denkmal im Reliefdruck, das Reichsratsgebäude im putzig gemalten Schneetreiben, Radetzky am Hof im ultramodern wirkenden Metallic-Look. Nach Wien gesendet wurden ebenso farbenfrohe Grüße aus aller Welt: aus Kairo ("Caire", die Pyramiden kurioserweise nur klein am Rand zu sehen), "Ceylon", "Beyrouth" und vom Postgebäude in Melbourne.

Eins der interessantesten Objekte ist ein Video, das die Entwicklung eines einzigen Fotos von der Prater Hauptallee zeigt. Über die Jahre hat es 14 Metamorphosen mitgemacht: Erst wird ein junges Mädchen entfernt, dann ein Hund hineinretuschiert, dann ist die ganze Familie weg, dafür ist Platz für eine Kutsche, die dann schließlich von Automobilen ersetzt wird. Auch eine Erkenntnis der Schau: Es gab eine Zeit, als Autos in Bilder hineinretuschiert wurden, heutzutage müssen sie hingegen weichen, um der geschönten Tourismus-Ästhetik gerecht zu werden.

Letzterer sind wohl auch die Ansichten aus dem Wien, das nicht im Reiseführer steht, zum Opfer gefallen. Am Beispiel von Rudolfsheim-Fünfhaus, einem Arbeiter-Vorortebezirk, zeigt die Ausstellung, wie früher fast jede Straße dort zu Postkarten-Ehren kam. Von der Fülle an Motiven blieb gerade einmal die Stadthalle. Ein runder Tisch vereint eine Menge Abbildungen des Stephansdoms, was schon aufs nächste Kapitel verweist. Denn Postkarten entfachten eine wahre Sammelmanie. Zu sehen sind fette Alben, hübsch bestickte Etuis und sogar ein Wandschrank für die Kollektion.

Das wiederum schlägt die Brücke zur Gegenwart, zum Beispiel zur Freecard am WC-Ausgang in der Bar. Die Gestalter von diesen Karten müssen sich freilich heute umso mehr um Pointen und Witz bemühen, um irgendeinen Eindruck zu machen oder gar gesammelt zu werden. Denn versendet werden sie sowieso nur mehr in den seltensten Fällen. Dafür hat man heute WhatsApp.