Make love, not war – dann lebt man eventuell länger. (Außer, man hat ein schwaches Herz.) Und wenn man Kunst auch noch macht (oder sie wenigstens konsumiert), kann das sowieso nicht schaden. Kunst, Liebe und Leben stehen jedenfalls auf der Zutatenliste. Was dabei herauskommt, wenn man das alles zusammenmischt? Eine Ausstellung mit dem Titel "ART – LOVE – LIFE". Wobei das genauso gut die Antwort auf die Frage sein könnte, welche drei Dinge man mit auf die einsame Insel nehmen würde. Stattdessen hat man die Sachen aber halt in die Galerie ARTECONT "verschleppt". Und die liegt im alles andere als zivilisationsfernen ersten Bezirk. 

Die Doppelhelix schraubt sich in die Unendlichkeit

Okay, das sind nicht sämtliche Ingredienzien. Interferenzpigmente, Blattsilber oder Strom (für die Neonröhren) benötigt man natürlich ebenfalls. Und im Grunde hat man es mit lauter glücklichen Beziehungen zu tun. Zwischen den kontaktfreudigen Lichtobjekten von der Billi Thanner und den wandlungsfähigen Malfarben vom Robert Schaberl beispielsweise (die optimal miteinander auskommen, sich ausgezeichnet vertragen). Oder zwischen den Farben und Formen untereinander. Und nicht zuletzt darf/soll/muss der Betrachter (Betrachterinnen sind selbstverständlich mitgemeint) eine aktivere Rolle gegenüber den Exponaten einnehmen. (Bis zu einem gewissen Grad, versteht sich.)

Sexy: Billi Thanners Doppelhelix aus Edelstahl und Neonlicht (2023). 
- © Galerie ARTECONT

Sexy: Billi Thanners Doppelhelix aus Edelstahl und Neonlicht (2023).

- © Galerie ARTECONT

Nicht, dass er um die sich schwungvoll rekelnde Doppelhelix tanzen muss wie um das goldene Kalb. Obwohl Beinarbeit durchaus gefragt ist. (Besonders für die Bilder vom Schaberl, wo das Publikum quasi mit den Füßen mitmalt. Doch zu denen später. Zu den Bildern und zu den Füßen.) Begrüßt wird man also gleich einmal von einem Makromolekül: von der DNA. Zweieinhalb Meter (und geradezu sexy mit ihrem paarigen "Rückgrat" aus Edelstahl und ihren hell erstrahlenden Wasserstoffbrücken) schraubt sich die Trägerin von Erbgut und -böse in die Höhe und in eine potenzielle Unendlichkeit hinein. Die konsequente Fortsetzung der Himmelsleiter im Stephansdom (beginnend in der Taufkapelle) und auf diesem. Auf der Spitze des Südturms.

Über ein Jahr lang (bis letzten August) hat sich die Hoffnung ja mithilfe der feierlich leuchtenden Steighilfe von derselben Billi Thanner Neonsprosse für Neonsprosse emporgehantelt. In den Nachthimmel über Wien hinein. Inzwischen tut sie das in Münster, wohin die Leiter übersiedelt ist. Auf den dortigen Dom? I wo. Auf die Lambertikirche. Der Dom wäre ohnedies zu wenig "spitz" gewesen. Und eine imposante Sechs-Meter-Doppelhelix wird bald vorm Rudolfinerhaus in Döbling Eindruck machen (und sich im Wasser spiegeln). 

Das Licht kuschelt gern

Von der Menschwerdung zum Menschsein sei es übrigens "nicht weit" (und von der Himmelsleiter zur Doppelhelix), meint die Konzept- und Performancekünstlerin aus Wien (1972 daselbst geboren). Sie habe die Leiter lediglich verdrehen müssen. Zur "Schönheit des Unendlichen". Und wohin führt sie uns, die Wendeltreppe, Tschuldigung: die Wendelleiter? Zum Kern des Lebens (und der Zelle): zum Genom. Und zu den ewigen Fragen nach dem Woher und Wohin. Woher wir kommen, wohin wir gehen. Oder bleiben wir, die dominante Spezies auf diesem Planeten, genau da, wo wir sind, bis wir aussterben, weil wir uns in einer evolutionären Sackgasse befinden?

Der Titel dieser Lichtarbeit von Billi Thanner behauptet, das wäre eine ganz jugendfreie "Umarmung". Okay, von "züchtig" sagt er eh nix. 
- © Galerie ARTECONT

Der Titel dieser Lichtarbeit von Billi Thanner behauptet, das wäre eine ganz jugendfreie "Umarmung". Okay, von "züchtig" sagt er eh nix.

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Eine intime Lichtzeichnung: Die strenge Geometrie umarmt eine organische Form innig. Von einer jugendfreien "Umarmung" spricht zumindest der Titel des Werks. Aber penetriert nicht, andersrum, das rosig Amorphe das weiße Rechteck? Eine leidenschaftliche Liebesszene? Abstrakte Erotik zwischen dem Rundlichen und dem Eckigen, dem Gekritzel und dem mit dem Lineal Konstruierten, dem Weichen und dem Harten? Das Licht macht auf alle Fälle Stimmung. Wird regelrecht emotional. Das kühle weiße und das warme rosarote haben sichtlich Gefühle füreinander. Lassen ihre Wellenlängen zärtlich ineinanderplätschern. Zur Geborgenheit verfließen. "Es wird Zeit, dass die Romantik wieder zurückkehrt", fordert die Lichtverbiegerin angesichts einer ziemlich gespaltenen Gesellschaft.

Die Thanner verbiegt Lichtstrahlen wie der Uri Geller Löffel? Nicht direkt, eher Neonröhren. Respektive lässt sie sie verbiegen. Um sechs in der Früh hat sie spontan besagte Zeichnung skizziert ("Gute Ideen sind schnell da"), und um acht war sie "schon in der Werkstatt". 

Vollmond für Selbstverliebte

Aus dem Erdtrabanten macht Billi Thanner einen Pendler: "Der Mond und Wir." 
- © Galerie ARTECONT

Aus dem Erdtrabanten macht Billi Thanner einen Pendler: "Der Mond und Wir."

- © Galerie ARTECONT

Love und Art vereinigen sich schließlich in der kreisrunden, mit einer dichroitischen Folie beklebten Opalglasscheibe, die jeden Vorbeispazierenden im Begleittext auffordert, vor dem kitschig geilen Farbenspiel, diesem Changieren zwischen Türkis und Pink, das von einer Art Heiligenschein, einem Neonringerl, hinterfangen wird, zu posieren und dadurch "Teil der Ausstellung" zu werden, nachdem man sich nämlich fotografiert und dieses offenkundige Andachtsbild des Selfiekults unter dem Hashtag #youareart gepostet hat.

Jeder Mensch ist ein Kunstwerk, kann eines sein, sofern er das Zeug dazu hat, konkret: ein Handy besitzt, um ein Beweisfoto zu schießen. Die Wienerin, die beklagt, dass keine Grimassen mehr geschnitten würden, zumal heutzutage jeder schön sein wolle und es dank Selfiekamera und Photoshop auch sei (in einer Tour spucke "das Gerät einen neuen schönen Avatar von dir aus"), die sieht sich nun einmal nicht bloß als Aktionistin, sondern als Interaktionistin. Und die Welt der Selbstverliebten ist im vorliegenden Fall eben eine Scheibe. Eine mit Effektfolie überzogene. Ein Hintergrund für die globalisierte Egomanie.

Daneben wird der Mond zum Konvexspiegel und man selber zum Man oder zur Woman in the Moon. (Der Spiegel ist überhaupt ein narzisstisches Instrument. Und eines der Selbsterkenntnis.) Und weil der Erdtrabant für die himmelsaffine Künstlerin ("Ich war schon als Kind ganz planetennarrisch") ein Uhrwerk ist ("jetzt ist er voll, jetzt ist er halb . . ."), schwingt er als Pendeluhr hypnotisierend hin und her, während er die übrigen Arbeiten im Raum beschaulich einsammelt und wieder aus dem Blick verliert. Eine Entschleunigungsmaschine mit Erkenne-dich-selbst-Funktion. Sozusagen. Ästhetische Arbeiten in modernem Design, die in stimmungsvoller Beleuchtung (die Galerielamperln sind obendrein mit farbiger Folie abgedeckt) – kritisch – übers Leben, die Liebe und die Kunst reflektieren. 

Solo für Streichinstrument mit Borsten

Sinnliche Rundungen hat der Robert Schaberl genauso zu bieten. Und seine sind sogar noch viel runder als der Billi Thanner ihre. Denn seine Kreise sind nicht allein außen rund, sie sind es mitunter auch innen. Und das gleich mehrmals. Sind konzentrisch. Farbringe. Und, nebenbei bemerkt, sind sie Exzentriker, leicht "verrückt", aus der Mitte verschoben, diskret dezentral. Trotzdem immer noch "Zentralformen". Mit einer mysteriösen Aura, einem Umriss aus gemaltem Licht.

Kein Diptychon und trotzdem irgendwie zwei Bilder in einem. (Mindestens.) "ZF bright green dance with hidden red 1 - 4", 2017. Weil der Robert Schaberl Interferenzpigmente hineingemischt hat. 
- © Robert Schaberl

Kein Diptychon und trotzdem irgendwie zwei Bilder in einem. (Mindestens.) "ZF bright green dance with hidden red 1 - 4", 2017. Weil der Robert Schaberl Interferenzpigmente hineingemischt hat.

- © Robert Schaberl

Hm. Und wie kriegt der 1961 in Feldbach geborene Steirer die so superrund hin? Mit dem Zirkel? Nein, mit dem Pinsel. Freihändig. Im Liegen. Auf dem Bauch, wohlgemerkt. Klingt folglich gemütlicher, als es ist. Weil er auf seinem schmalen Arbeitstisch ("alles selber gebaut natürlich; der wackelt und hängt durch") über den Bildern schwebt, die unter ihm wiederum auf drehbaren Platten platziert sind. "Ich dreh das Ganze mit der linken Hand, mit der rechten mal ich", beschreibt er den Vorgang, bei dem er "das Prinzip Zirkel" umkehrt und eine ruhige Hand braucht (für das Solo mit seinem Streichinstrument). "Kein Motor, alles leise. Man hört nur den Pinsel, wie er drüberstreicht." Stille Streichmusik demnach. 

Die bunte Sau rauslassen

Förmlich wie ein DJ legt er auf, wenn das Runde aufs Eckige, aufs Bild, muss und die Leinwand gewissermaßen zum Plattenspieler wird. Scheinbar zu drehen beginnen die Scheiben sich allerdings erst, sobald man sich an ihnen vorbeibewegt und der Blick zur Nadel wird. Dann spielen sie ihre Töne ab, ihre Farbtöne, die unentwegt ineinander übergehen, sich nicht fassen lassen, nicht festlegen, zwiespältig bleiben. Ebenso faszinierend wie geheimnisvoll.

Hier lässt der Robert Schaberl Gelb, Türkis und ein tiefes Blau mit Magenta und Lila tanzen. 
- © Robert Schaberl

Hier lässt der Robert Schaberl Gelb, Türkis und ein tiefes Blau mit Magenta und Lila tanzen.

- © Robert Schaberl

50, 60, 70 Farbschichten sind da im Schnitt drauf. Unten herkömmliche Acrylfarbe, oben Interferenzpigmente. Interferenzpigmente? Ein weißes Puder. Weil eigentlich trägt der Schaberl ja eine weiße Milch auf. Und wie funktioniert das, dass die plötzlich die bunte Sau rauslässt (noch dazu eine Sau mit Farbwechsler)? Erstens muss sie trocknen, die Milch, und zweitens: irgendwas mit Licht und einem betrachtungswinkelabhängigen Farbtonflop. Wenn Hellgrün das Flip ist, ist ein "verstecktes Rot" zum Beispiel das Flop. Flip-Flop. Da hat einer definitiv jede Menge Vorstellungsvermögen nötig und muss alles sehr exakt vorausplanen.

Auch Blattsilber ist ein guter Tänzer (hat der Robert Schaberl herausgefunden). 
- © Galerie ARTECONT

Auch Blattsilber ist ein guter Tänzer (hat der Robert Schaberl herausgefunden).

- © Galerie ARTECONT

Überall Tanzpaare. Zuerst führt die eine Farbe, nachher die andere. Oder mehrere Tänzer wagen sich gleichzeitig auf die Tanzfläche. Bei den konzentrischen, diffus gegeneinander abgegrenzten Ringen fordern etwa Türkis und Dunkelgrün ein Dunkelrot und ein Gelb zum Tanz auf. Nix ist hier statisch. Wer ist freilich kinetischer: die Kunst oder der Zuschauer? Vermutlich Letzterer. Immerhin aktiviert dieser die koloristischen Umschwünge per pedes und durch dynamisches Schauen. 

Schwarze Löcher rülpsen nicht

So also schaut ein Schwarzes Loch aus. Ein menschengemachtes allerdings. (2018 erzeugt vom Robert Schaberl.) Acryl und Blattsilber auf Baumwolle. 
- © Robert Schaberl

So also schaut ein Schwarzes Loch aus. Ein menschengemachtes allerdings. (2018 erzeugt vom Robert Schaberl.) Acryl und Blattsilber auf Baumwolle.

- © Robert Schaberl

Viel Bewegungsenergie enthält aber auch die blattversilberte malerische Vielschichtigkeit, wo der Schaberl das Edelmetall manuell graviert, den polierten Glanz mit dem Achatstein, einem klassischen Vergolderwerkzeug, eifrig aufreißt. Mit rasanten Stricherln. Schaberl: "Im Prinzip ist Vergolder ein Beruf. Ich hab gedacht, ich kann mir das selber beibringen." Wie den Umgang mit dem Laser, mit dem er sich autodidaktisch auf die kleineren versilberten Formate stürzt bzw. diesen machen lässt, während er selbst mit einer KI gemeinsame Sache macht.

Ein reger Dialog zwischen einer natürlichen und einer künstlichen Intelligenz. Die eine erteilt der anderen klar formulierte Zeichenaufträge, überarbeitet diese, verzerrt, verdichtet, vermenschlicht sie, woraufhin der Laser das Resultat ins Blattsilber einbrennt und die NI erneut zu ritzen anfängt. ("Mit der spitzen Pinzette oder mit der Rohrfeder. Oder mit Zahnarztwerkzeug." Autsch.) Die Kratzer fressen sich energisch zur Mitte durch, umschwirren die zentrale Ruhe oder streben radial auf sie zu. Eine fruchtbare Koproduktion des Analogen mit dem Digitalen, des Selbstgemachten mit dem Delegierten, des Konzepts mit der Ausführung.

Und wie endet die Schau, die vom genetischen Mikrokosmos zum Mond und ins Universum der Farben führt und in der man reichlich Be- und womöglich Erleuchtung findet? Mit einem Schwarzen Loch. Erzeugt vom Robert Schaberl mit matter Acrylfarbe. Eine totale Finsternis, die jegliches Licht verschluckt und sämtliche Blicke der näheren Umgebung unwiderstehlich einsaugt. (Und diesen gefräßigen Schwarzen Löchern entweicht bekanntlich nicht einmal ein Rülpser, geschweige denn, dass sie Schluckauf hätten.) Ein wahrhaft passender und würdiger Schlusspunkt.

Teamwork zwischen einer KI und der natürlichen Intelligenz Robert Schaberl. 
- © Galerie ARTECONT

Teamwork zwischen einer KI und der natürlichen Intelligenz Robert Schaberl.

- © Galerie ARTECONT