Das Konzept war so simpel wie naheliegend - ganz wörtlich gesprochen: Laden wir die Nachbarn ein. Ihnen, den Bewohnern der Insel Sant‘Elena nämlich, auf der ein guter Teil des Biennale-Areals Giardini steht, ihnen also wollten das Kollektiv AKT und der Architekt Hermann Czech die Hälfte des österreichischen Pavillons zur freien Nutzung abtreten. In einem ersten Entwurf sollten sie über einen Durchbruch in der Giardini-Mauer sowie der Mauer zum österreichischen Innenhof direkten und kostenfreien Zugang zum Pavillon erhalten. Dies wurde vom Denkmalamt der Stadt sowie von der Biennale-Leitung abgelehnt, weswegen die Architekten stattdessen eine Brückenkonstruktion zur Überwindung der beiden Mauern einreichten. Welche Aktivitäten in der öffentlichen Hälfte steigen - vom Nachbarschaftstreffen bis zur Tupper-Party -, hätten die Besucher der anderen, weiterhin nur über die Giardini zugänglichen Hälfte bestenfalls erahnen können, und vice versa. Direkte Verbindung war keine vorgesehen. Anfang Mai wurde nun auch der Zweitentwurf von der Biennale abgelehnt. Für AKT und Czech jedoch kein Anlass, das Projekt abzublasen. Die für die Inselbewohner vorgesehene Hälfte bleibt nun einfach leer, statt der Brücke gibt es einen Aussichtsturm, der den Biennale-Gästen die Nachbarschaft des Pavillons - und dessen Nähe - ins Bewusstsein rücken soll.

Wiener Zeitung: Ich würde gerne kurz über die Gründe für die negativen Bescheide sprechen. Laut Ihren Unterlagen sagt das Denkmalamt, der öffentliche Zugang würde die einheitliche Nutzung der Denkmäler Pavillon und Giardini beeinträchtigen, während die Biennale sagt, man wolle keinen Präzedenzfall schaffen. Was heißt das?

Mitglieder des Architekturkollektivs AKT und Hermann Czech (ganz rechts). - © Viennaslide / Picturedesk
Mitglieder des Architekturkollektivs AKT und Hermann Czech (ganz rechts). - © Viennaslide / Picturedesk

AKT: Wir glauben, dass es offenbar keinen großen Willen seitens der Stadt gibt, Räume abzugeben und sich näher mit der Bevölkerung zu beschäftigen. Die Biennale will ihr Territorium verteidigen und verhindern, dass vielleicht auch in den nächsten Jahren Teilnehmer das Gelände öffnen wollen, keine Ticketpreise verlangen, was auch immer.

Und wenn Sie es einfach trotzdem machen?

AKT: Ja. Ist halt ein Skandal mehr, aber nicht das, was wir erreichen wollen. Es geht uns ja nicht um eine kurzfristige Öffnung, sondern darum, diesen Raum mehrere Monate lang abzugeben und dadurch etwas anzusprechen.

Hermann Czech: Es hat immer wieder Initiativen gegeben, die Giardini zu öffnen. Als die Biennale als Kunstereignis nur alle zwei Jahre stattfand (Anm.: heute wechseln jedes Jahr Kunst und Architektur), waren die Giardini geschlossen, obwohl eineinhalb Jahre lang gar keine Ausstellungen liefen. Das war auch ein Sicherheitsproblem.

AKT: Ganz abgesehen davon, dass sie ursprünglich von Napoleon als öffentliche Gärten geplant wurden.

Und das, was Sie ansprechen wollen, ist nicht einmal Gentrifizierung, also dass die Reichen die Armen verdrängen, sondern dass die ganze Stadt zur Ware, beziehungsweise zum Museum wird und leer steht, richtig?

AKT: Der Bevölkerungsrückgang in Venedig ist eklatant. 2022 ist die Zahl erstmals unter 50.000 gesunken, vor wenigen Jahrzehnten waren es noch 170.000. Da spielen natürlich mehrere Phänomene zusammen, aber was wir jetzt in der Ausstellung zeigen, ist das Verhalten der Biennale in diesem Zusammenhang: einerseits die Exklusion durch Mauern und andererseits die Expansion durch die sogenannten Collateral Events, die sich in den letzten Jahrzehnten extrem ausgebreitet haben.

Czech: Es schaukelt sich gegenseitig auf. Die Leute ziehen weg, aus wirtschaftlichen Gründen. Und der Raum, den sie aufgeben, zum Beispiel eine Werkstatt oder Geschäft, wird für viel Profit für Ausstellungen vermietet oder verpachtet.

AKT: Es ist heute lukrativer, Geschäftslokale für wenige Monate an die Biennale zu vermieten als an langfristige Mieter.

Dem Projekt sind monatelange Gespräche und auch Forschung vorangegangen. Wie haben Sie Ihre Ansprechpartner gefunden?

AKT: Einerseits durch Initiativen und Forscher, die schon lang in der Stadt in diesem Bereich aktiv sind, viele davon haben auch Beiträge für unseren Katalog verfasst. Und andererseits haben wir einfach in einer Facebook-Gruppe von Sant’Elena gepostet. Es gibt Facebook-Gruppen, in denen sich die Bewohner der Stadtviertel organisieren. Jedes Viertel hat seine eigene Facebook-Gruppe und meistens sind mehr Menschen Teil der Gruppe, als es Einwohner im jeweiligen Viertel gibt. Da kam gleich relativ viel Resonanz zurück. Wir sind allerdings nicht mit einem fertigen Projekt angekommen, sondern haben ein Angebot gemacht: Wir würden diesen Raum gerne zur Verfügung stellen. Wer hat Interesse? Wir haben auch gefragt, welche Aktivitäten normalerweise überhaupt stattfinden und an welchen Orten. So ist der Raummangel für uns sichtbar geworden und wir konnten reagieren: Okay, vielleicht braucht es einen Vortragsraum, eine Tribüne. Der Titel des Projekts lautet ja "Partecipazione/Beteiligung", und durch dieses Abgeben von Raum wollen wir ganz anders mit dem Begriff der Partizipation umgehen als üblich, nämlich über die Mitbestimmung hinaus. Die Teilhabe an Raum bedeutet eben auch, dass man Raum aufgibt.

Das erfordert ein komplett anderes Architekturverständnis als üblich und auch ein ganz anderes Verständnis der Rolle des Architekten. Herr Czech, Sie kommen ja aus einer anderen Generation als die Mitglieder von AKT. Wie sehen Sie dieses neue Rollenverständnis?

Czech: Die Vorstellung der Partizipation gab es schon in den 1970er-Jahren. Man hat geglaubt, der Architekt nimmt sich zurück, und die Bewohner oder Nutzer können ihre Wünsche äußern, bei der Raumeinteilung, im Komfort oder bei technischen Details. Und dann ist zunehmend ins Bewusstsein getreten, dass die etwas wollen, was der Architekt vielleicht nicht goutiert oder sogar falsch findet. Ich spreche für den Architekten vom "Leid der Entstellung". Es ist also schon das Zulassen ästhetischer Wünsche nicht leidensfrei, aber hier, bei diesem Projekt kommt eine wirtschaftliche Komponente hinzu. Partizipation ist ein komplexer Begriff, wenn sie so weit geht, dass man etwas hergibt. Die künstlerische Leiterin der heurigen Biennale, Lesley Lokko, hat in einem Interview gesagt: "Um jemanden an der Macht zu beteiligen, muss jemand anderer Macht aufgeben." In Revolutionen hat das gewaltsam stattgefunden, aber es könnte auch zivil und demokratisch vor sich gehen.

Sie haben in Gesprächen über Ihr Projekt immer wieder auf die ersten Architektur-Biennalen in den 1970ern verwiesen, die den Anspruch hatten, offen und demokratisch zu sein. Was bedeutet demokratisch im Zusammenhang mit Architektur oder auch mit Design oder Gestaltung ganz allgemein?

Czech: Naja, darüber wissen wir nicht mehr als Sie. Es ist wahrscheinlich gewaltfrei und eben mit Respekt für andere Wünsche und Ansichten.

AKT: Was bei diesen ersten Architekturausstellungen in den 1970ern im Vordergrund stand, war, dass man sich mit dem Ort beschäftigt, an dem das stattfindet, dass die Biennale also tatsächlich etwas bringt für Venedig und die Bevölkerung. Und das spiegelt schon auch unseren Zugang: Wir wollen nicht auf irgendwelchen Podesten schöne Architekturprojekte, die woanders gebaut wurden, präsentieren. Stattdessen wollen wir Architektur tatsächlich als etwas Gebautes betrachten. Und das Gebaute kann doch jeder erfahren, bis zu einem gewissen Grad.

Czech: Das ist ganz wichtig: Für uns ist der Pavillon nicht ein Ausstellungsgebäude, in das man Information oder Kunst hängt, sondern das Gebäude selbst ist der Gegenstand der Ausstellung.

"Partecipazione" ist in Zusammenarbeit entstanden zwischen Ihnen, Herr Czech, und AKT, einem 17-köpfigen Kollektiv junger Architektinnen und Architekten. Gab es da auch manchmal Generationenkonflikte?

Czech: In meiner Erinnerung nicht. Die Gegensätze und unterschiedliche Meinungen waren nicht charakteristischer als die im Kollektiv selbst. Die sind ja auch nicht alle gleich.

Ein anderes spannendes Merkmal dieses Projektes ist die Offenheit gegenüber Prozessen. Auch das ist diametral anders als in der klassischen Gestaltung, denn dort soll am Schluss ja ein Haus dastehen oder zumindest eine Tasse oder ein Stuhl. Wie gehen Sie alle um mit diesem Unfertigen?

AKT: Das ist etwas, was man im Kollektiv ganz gut lernen kann. Man trägt mit, man trägt bei, aber man lässt dann auch irgendwann los, um das Projekt besser zu machen und nicht um seinen Willen durchzusetzen. Und wir beziehen uns tatsächlich öfters auf den Herrn Czech, als er bei der Pressekonferenz gefragt wurde, was passiert, wenn es nicht genehmigt wird. Er hat gesagt: "Ja, dann wird es unter Umständen noch interessanter." Das war uns bis zum Schluss wichtig und wir wussten immer, dass es sehr spannend sein kann, wenn das Projekt nicht genehmigt wird, weil der Prozess dann eben noch greifbarer wird, auch räumlich. Es gibt jetzt eine Leerstelle, die tatsächlich zu begreifen und zu erfahren ist. Man kann durch den Hof bis zum Stiegenturm gehen, aber sonst sperren wir das mit Bauzäunen ab, weil es ja tatsächlich ein Baustopp ist. Und natürlich könnte man sagen, es ist nicht fertig oder es schaut nicht fertig aus, aber das hat einen Grund. Im besten Fall versteht man das, wenn man jetzt den Pavillon betritt.

Also ist der negative Bescheid kein Scheitern für Sie?

Czech: Nein, im Gegenteil. Der Konflikt wird noch verständlicher, weil das Projekt sogar verboten worden ist. Das wird damit ja sogar dokumentiert.

AKT: Und die Ablehnung wird so zum politischen Inhalt der Sache. Die Leerstelle als Exponat zeigt auf, wo die Dialogbereitschaft seitens der Biennale an Grenzen stößt.

Das Motto der heurigen Biennale lautet "Laboratory of the Future", AKT spricht in seiner Eigenbeschreibung von der "utopischen Produktion von Raum". Was bedeutet das für Sie: Zukunft, Utopie?

AKT: Es ist interessant zu fragen, wann etwas zur Utopie wird. An welchem Punkt erreicht man etwas, was fast als unmöglich gilt? Dass es - in einer Gesellschaft, in der alles auf Wachstum angelegt ist - unmöglich scheint, eine Fläche von 354 Quadratmetern für sechs Monate aufzugeben, dass man dieses Schrumpfen nicht zulassen kann, als Gesellschaft und auch als Institution, das ist schon interessant. Da stößt man also an Grenzen, die utopisch erscheinen.

Die gendergerechte Sprache, die seitens der Interviewpartner verwendet wurde, wurde aus Rücksicht auf die Lesbarkeit verkürzt.