Aus Sammelausstellungen und durch Einzelwerke in der Galerie Johannes Faber ist die Fotografin Edith Tudor-Hart (1908-1973) zwar in Wien keine Unbekannte mehr, dennoch stand die erste große Personale noch aus. Das Wien Museum holt dies nun nach.

Wiederentdeckung: Edith Tudor-Hart zählt zu der Riege der politisch engagierten Fotografinnen. Das abgebildete Foto zeigt eine arbeitslose Wiener Familie im Jahr 1930. - © Edith Tudor-Hart/Wien Museum
Wiederentdeckung: Edith Tudor-Hart zählt zu der Riege der politisch engagierten Fotografinnen. Das abgebildete Foto zeigt eine arbeitslose Wiener Familie im Jahr 1930. - © Edith Tudor-Hart/Wien Museum

Die Fotokünstlerin wurde als Edith Suschitzky in Wien geboren und wuchs im sozialdemokratischen Umfeld einer jüdischen Familie auf. Durch die Buchhandlung und den revolutionären Verlag des Vaters knüpfte sie früh Kontakte mit der kommunistischen Partei. Dies und die Fotografie sollten, neben ihrem Engagement für Reform-Pädagogik, ihr Leben prägen.

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Künstlerin und Sowjetagentin

1933 in Wiener Bürgerkriegszeiten verhaftet, entging sie der Strafe und später der Verfolgung durch die Nationalsozialisten durch die Heirat mit dem britischen Arzt Alexander Tudor-Hart. Davor hatte sie dort eine Ausbildung zur Montessori-Kinderpädagogin absolviert und von 1928 bis 1930 am Bauhaus in Dessau studiert.

Ab 1934 setzte sie ihre Spionagetätigkeit für die Sowjetunion, aber auch das soziale Engagement für Arbeiter und Kinder, dokumentiert durch die Kamera, in London und Wales fort. Trotz ihres eigenwilligen Stils konnte sie von der Fotografie nicht gut leben. Zudem zwang sie wohl um 1955 der englische Geheimdienst, ihre Tätigkeit mit der Kamera einzustellen und Teile ihres Werks zu vernichten. Wenige noch vorhandene Negativserien konnten nur durch ihren Bruder, den Dokumentarfilmer Wolfgang Suschitzky, gerettet werden.

Ihr Leben verlief zwar ungemein spannend, aber existenziell sehr schwierig, da sie stets in Geldnöten war. Ein Fotocover für ein Magazin brachte damals nur fünf Pfund. Zudem musste sie nach der Scheidung ihren kranken Sohn allein versorgen.

Das heute im Edinburgher Museum erhaltene Material macht einen besonderen Stil sichtbar, den sich die Wiener Fotografin am Bauhaus aneignete. Die perfekten Kompositionen und ausgefallenen Perspektiven übernahm sie von der Ästhetik der Fotografie der russischen Revolution sowie deren Fortsetzung durch László Moholy-Nagy in Dessau. Jedoch bereicherte sie ihre sachliche Dokumentation, gegen die anhaltende Mode eines weichzeichnenden Pikturalismus, durch persönliche Kontaktaufnahme mit ihren Modellen. Sie war immer mit einer Spiegelreflexkamera tätig, die den Augenkontakt nicht unterbindet, da von oben in den Auslöser geblickt wird.

Eigenwilligkeit und

Idealismus

Die Schau konzentriert sich auf die sozialen Dokumente von den Wiener Aufmärschen über die "Working Class Wives" bis zu Arbeiteraufständen in Wales. In den vielen anonymen Porträts von Arbeitslosen in Elendsquartieren spielen oft die kleinen Freuden eine große Rolle. Selbst das Springen über Kriegsruinen wird von ihr in ein Schweben verwandelt.

Gleiches gelang ihr in Fotoaufträgen wie einer Kampagne für körperliche Gesundheit von Kindern oder eine Schule für Behinderte und frühe Dokumentationen über die Sonnenhungrigen in der Lobau. In einem Sammelalbum hinterließ sie interessante Collagen ihrer Fotoillustrationen für nicht kommerzielle Bücher und Zeitschriften. Darin wie in den Einzelwerken zeigt sich die Übertragung von Eigenwilligkeit und Idealismus auf ihre Modelle, die für sie nie zu Objekten wurden sondern lebendige Partner blieben - wie vor allem in ihren Porträts von Pearl Binder und Ernö Goldfinger sichtbar.

Eine tiefer gehende Forschung nach Bildnissen des im Exil lebenden Freundeskreises und aus politischen Gruppierungen, denen sie angehörte, könnte da weitere Überraschungen ans Licht bringen.