München.Der Fall des spektakulären Kunstfunds in München ist um eine Facette reicher: Teile der Sammlung dürften nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten beschlagnahmt worden sein, berichtet die "Süddeutsche". Das überrascht: Bisher dachte man schließlich, dass nach 1945 niemand vom Kunstschatz wusste. Jedenfalls fast niemand: Der Sammler Hildebrand Gurlitt hatten behauptet, die Werke wären im Bombenhagel vernichtet worden.
Wie die "Süddeutsche" berichtet, dürften die Alliierten 1945 Teile der Sammlung, die das Who is Who der Kunstgeschichte beinhaltet, eingezogen haben. Die Zeitung veröffentlichte eine Liste, mit der Gurlitt seinen vermeintlichen Besitz zurückverlangte. Und diesem Wunsch wurde, abgesehen von zwei Werken, tatsächlich 1950 entsprochen. Der Fall ist darum so brisant, weil das Konvolut von rund 1400 Werken unter fragwürdigsten Umständen zustande kam. Gurlitt hatte dem Ausland im Auftrag der Nazis "entartete" Kunst verkauft; zudem erwarb er im besetzten Frankreich Bilder für das geplante Führer-Museum. Sein Sohn Cornelius hielt den Kunstschatz geheim, bis dieser 2012 in München beschlagnahmt wurde.
Kein Kunstrückgabegesetz
Für Imke Gielen, Spezialistin für Restitutionsfragen in der Berliner Kanzlei von Trott zu Solz Lammek, ändert die Rückgabe der Werke durch die Alliierten nichts an der Sachlage. Ein Beleg dafür, dass Gurlitt der legitime Besitzer ist, sei das keineswegs. "Es bedeutet nur, dass damals keiner wusste, aus welchen jüdischen Sammlungen die Werke kamen." In den nächsten Jahren könne es sehr wohl zu Restitutionen kommen.
Die Rechtslage ist freilich diffizil. Die Kernfrage im Einzelfall: War das Werk vormals Privatbesitz - oder ein Museumsstück, das sich der NS-Staat durch das Gesetz zur Einziehung "entarteter" Kunst einverleibte? Im diesem Fall stehen die Restitutions-Chancen nicht gut. Um Rechtssicherheit zu schaffen, hoben der deutsche Nachfolgestaat und die Alliierten das NS-Gesetz nicht auf. Allerdings: "Vielleicht gibt es doch die Chance für einige Museen, etwas zurückzukriegen", sagt Gielen; die Rechtsauffassung könne sich ändern.
Auch die Erben privater Sammler haben es diesbezüglich nicht leicht. Ein Restitutionsgesetz (das in Österreich freilich auch nur für Bundeseigentum gilt) gibt es in Deutschland nicht. Gielen: "Es besteht die Möglichkeit, gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch einen Eigentumsherausgabeanspruch geltend zu machen. Ein zivilrechtlicher Prozess ist aber schwierig und wird fast nie angestrengt." Der Kläger müsste nachweisen, das Eigentumsrecht zu besitzen. Das sei oft kein Leichtes, weil viele Fälle nicht lückenlos dokumentiert seien. Zumeist würde der Konflikt abseits des Gerichtssaals geklärt.
Die Chancen auf eine Rückerstattung seien jedenfalls umso höher, je mehr der einstige Besitzer zur Veräußerung gezwungen war. Gielen: "1935, 1936 haben flüchtende Juden ihre gesamten Kunstsammlungen veräußert - nach außen hin ein normaler Vorgang. Im Nachhinein ist das natürlich ein verfolgungsbedingter Verlust." Im Sinne der "Washingtoner Erklärung", die 1998 auch von Österreich und Deutschland unterschrieben wurde, seien solche Fälle "rückgängig zu machen - möglichst auf dem Weg von Verhandlungen, statt vor Gericht zu ziehen". Völlig direkt griff der Nazi-Staat ab Ende der 30er Jahre auf Privatbesitz zu: Die Juden wurden per Gesetz enteignet. Gielen: "In diesen Fällen gilt das Eigentumsrecht nicht als verloren, es handelt sich um Entzug." Ob Gielen das lange Schweigen über die Münchner Kunstsammlung kritisiert? Immerhin hatte die Behörde bis Dienstag zu dem Fall geschwiegen und hält die Werke weiterhin unter Verschluss. "Ich halte den Behörden zugute, dass die Gemengelage problematisch war, dass sie die Sammlung erst prüfen wollten. Für Familien, die in der Nazi-Zeit Kunstwerke verloren haben, wäre es aber enorm wichtig, die Bilder so schnell wie möglich zu veröffentlichen. Das hätte im Interesse der Betroffenen eigentlich schon geschehen müssen."