
Seit 2012 präsentiert die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums (KHM) die neue Ausstellungsreihe "Ansichtssache". Mit dem "Schreienden Mann" des französischen Malers Trophîme Bigot aus Arles (1597-1650) rückt nach einem venezianischen Porträt wieder ein besonderes Genrebild der Barockzeit in den Focus, das bis jetzt nahezu unbekannt war. Es stammt aus den großen Beständen des Depots und wurde von Ina Slama restauriert. Bis 1870 war es gerollt aufbewahrt worden, 1991 haben es Wolfgang Prohaska und Pierre Rosenberg an den aus der französischen Provence stammenden Maler zugeschrieben, der sich zwei Mal am Anfang des 17. Jahrhunderts in Rom aufhielt und von Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, beeindruckt war wie viele andere.
Innerbildliche Lichtquelle
Als Indiz spielte die Papierlaterne, die der als Halbfigur in tiefer Dunkelheit nur wenig beleuchtete Mann in einfachem Gewand mit Hut in seiner Linken hält, eine besondere Rolle. Sie zeigt ein Wasserzeichen mit einem Vogel, das auch auf einer ähnlichen Laterne in einem Dreifigurenbild Bigots, der "Pflege des Hl. Sebastian", zu finden ist. Er malte im ganz Europa damals erfassenden Stil des Caravaggismus mit Vorliebe Figuren um eine innerbildliche Lichtquelle in nächtlicher Umgebung; eine Moderescheinung, die es ermöglichte, besonders dramatisch, aber auch gefühlvoll zu erzählen. Im Fall des "Schreienden Mannes" geht Bigot noch weiter: Die Situation involviert den Betrachter in eine Konfrontation von Schrecken und Schadenfreude. Das schweigende Bild thematisiert seinen eigenen Mangel: Es macht den stillen Schrei zum Hauptaspekt.
Neben dem Erschrockenen, der vom Scherzobjekt eines ausgehöhlten und innen beleuchteten Kürbisses mit eingeschnitztem Gesicht getäuscht wird, taucht aus fast völliger Finsternis rechts, hinter einer Wand versteckt, ein Kind auf, das befriedigt lächelt. Damit überträgt sich nicht die Angst des Einfältigen auf uns, sondern lächerliche Komik. Der nur an einer Schläfe ins Licht tretende Bursche ist wohl der Urheber des in Europa seit Jahrtausenden bekannten spielerischen Umgangs mit dem Kürbis. Die Gleichsetzung der so schnell wachsenden Frucht mit prallem Leben einerseits und Tod durch Form eines Schädels andererseits war schon Römern und Kelten bekannt. Das verrät Lucius Annaeus Senecas böse Schmähschrift "Verkürbissung des Kaisers Claudius". Als Absage an die Apotheose und Gleichsetzung mit einem Hohlkopf lebt der Kürbis in diesem barocken Gemälde bis zur Abwehr der Geister am 1. November, neuerdings in Kinderspiel um Halloween, ins Heute weiter.
Die damaligen Besteller dieser spitzfindigen Werke waren adelige Kardinäle in Rom; sie liebten die im Dunkel gezeigten Affekte damals neuer wissenschaftlicher Erkenntnis über menschliche Charaktere auch als erotische und an niedrige Affekte wie die Schadenfreude appellierende Anspielungen. Dabei waren Caravaggio und die Malerin Sofonisba Anguissola mit Knaben, die von Eidechsen oder Krebsen gebissen werden und im Schmerz aufschreien, wieder vorbildlich. Theoretisch empfohlen haben diese schwierig zu malenden Inhalte schon davor Michelangelo und Giovanni Paolo Lomazzo.
Ausstellung
Ansichtssache Nr. 7 Trophîme Bigot
Gemäldegalerie
bis 2. Februar