Alles wäre so einfach gewesen. Man hätte sich als Galerist in Europa oder den Vereinigten Staaten mit Beginn des 21. Jahrhunderts bequem zurücklehnen können. Künstlerinnen und Künstler in einer Schaffens- und Kreativitätskrise wäre viel zerstörerische Verzweiflung erspart geblieben. Man hätte nur auf eines der zahlreichen E-Mails aus China antworten müssen. Es waren die Jahre, als täglich, wenn man in der Früh den Computer hochgefahren hatte, der E-Mail-Postkasten übergequollen ist. Mit Angeboten von chinesischen Künstlern an zeitgenössische Galerien, die den Vorschlag beinhalteten, man solle ihnen doch ein paar Abbildungen von Arbeiten von vertretenen Künstlern als Vorlagen senden und sie könnten sich innerhalb kürzester Zeit den jeweiligen Stil aneignen und darüber hinaus auch weiterentwickeln. Ein, wenn auch nicht ganz koscherer, Idealzustand für Galerien und Kunsthändler hätte sich aufgetan - zu jeder Zeit Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die sich gut verkaufen lassen, an der Hand zu haben und nicht bangen zu müssen, wann die nächsten Bilder fertig gemalt sein würden.
Alte Kopistentradition
Jedoch aufgrund der westlichen (Geschäfts-)Ethik wurden diese Angebote sicherlich nur sehr beschränkt wahrgenommen. Wobei man betonen muss, dass die Produzenten die Angebote aus einer Jahrhunderte alten Tradition heraus legten und im Kopieren nichts Böses oder Gesetzesbrecherisches sahen. Es ist immanenter Bestandteil der chinesischen Kunstgeschichte, dass Meister kopiert werden. Als Zeichen der Wertschätzung und Verehrung. Erst nach vielen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Lehrer war es den Schülern mehr oder weniger gestattet, den eigenen Weg zu gehen und eine persönliche Linie zu finden. Diese Tradition hat sich bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts erhalten und fand auch in der zeitgenössischen Kunst ihre Kopisten.
Das postalische Vorgehen im Netz brachte es aber auch mit sich, dass das für viele der Adressaten der erste umfangreichere Kontakt mit "zeitgenössischer" Kunst aus China gewesen ist. Etwas später vermittelten dann europäische Sammler, wie Uli Sigg aus der Schweiz oder Guy Ullens aus Belgien, lautstark wie erfolgreich durch Ausstellungen und Präsentationen aktuelle Strömungen zeitgenössischer Kunst aus China.
Mit dem Erstarken der chinesischen Wirtschaft etablierte sich obendrein eine Käuferschicht, die auch bereit war, in Kunst zu investieren. Jedoch meist in heimische Kunst. Eine oft leidvolle Erfahrung, die westliche Galerien machen mussten, wenn sie zu der Zeit hoffnungsfroh ihr Künstlerportfolio bei den neu geschaffenen Kunstmessen in Shanghai, Peking oder Hongkong feilboten. Wer auf keinen chinesischen Künstler verweisen konnte, hatte schlechte Karten beim Verkauf.
Im Gegensatz dazu waren Sammler aus Europa oder den USA, die diese Messen besuchten, überzeugt, dass man nun zeitgenössische Kunst aus China erwerben muss. Kunst, die sehr stark malereilastig, figurativ, schrill, poppig, eklektisch und - ein prägender Eindruck - oberflächlich gewesen ist.
Aber die Marketingstrategie von Sammlern und auch von offizieller chinesischer Regierungsseite, die Künstler relativ großzügig mit Ateliers (Stadtteile wie das "798 Kunstviertel" wurden zur Verfügung gestellt), Stipendien und Auslandsreisen unterstützte, ging auf: Innerhalb weniger Jahre erzielten Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern Rekordpreise bei internationalen Kunstmessen und Auktion. Oft mit einem Lebenslauf, der an sich allen rechnerischen Regeln von Galerien, Kunsthändlern und Auktionshäusern entgegenlief. Es waren darauf etwa kaum Ausstellungen in bekannten Institutionen oder Galerien verzeichnet.
Der überhitzte Boom oder Hype fand dann mit 2008 und der Wirtschaftskrise freilich auch wieder sein Ende. Die damit einhergehende Abkühlung und Entschleunigung brachten es mit sich, dass sich aktuelle Tendenzen chinesischer Künstlerinnen und Künstler dezidiert auf eigenständige Ausdrucksformen berufen.
Vom Massaker zur Kunst
Ein bemerkenswertes Ausstellungsprojekt in Wien liefert einen Überblick darüber. Die Präsentation mit dem sprechenden Titel "The Future is the Past" zeigt aktuelle Positionen von 19 zeitgenössischen Künstlern aus China. Das Projekt, das von "artpartments" (eine Wiener Initiative, die leerstehende Räume für Ausstellungsprojekte nutzt) und der Stiftung "Yellow Mountain Contemporary Art" (eine Privatsammlung eines jungen israelischen Unternehmers) ins Leben gerufen wurde, wurde von Wei Xing kuratiert und macht über drei Stockwerke die Geschichte der zeitgenössischen Kunst in China eindrücklich nachvollziehbar. Denn die, so erzählt der Kurator Wei Xing im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", existiere erst seit Juni 1989 - nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz. Danach begann sich ein künstlerischer Untergrund zu formieren, der dann mit spontanen Performances an die Öffentlichkeit trat.
Diese Entwicklung ist in einem Video des Künstlers Wen Pulin sehr gut zu sehen. Wen Pulin war einer der Ersten, der mit aktionistischen Inszenierungen Aufsehen im Land erregte und auch deswegen verfolgt wurde. Vielleicht sind die langjährigen Verfolgungen mit ein Grund dafür, dass Wen Pulin jetzt als Mönch in China lebt. Politische und soziale Kritik sind eine ganz eigene Thematik.