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Über den kritischen Blick von Ai Weiwei auf nomadischen Streifzügen um die ganze Welt, Menschen und historische Kunstwerke einbeziehend, berichtet die Schau "translocation - transformation" im 21er Haus. Kulturtransfer als Machtdemonstration, nicht nur in seiner chinesischen Heimat, ist dabei ein Blickwinkel, Neuverortung und Bedeutungswandel der Kunstwerke ein anderer. Das Museum dient ihm als erweiterter Ort für kritische postkoloniale Statements. Der wohl bekannteste Künstler global gesehen, fügt den beiden Installationen am Teich des Oberen Belvedere - die "Wiener Zeitung" berichtete - zum einen das Fabelwesen "Lu" im imperialen Stiegenhaus hinzu und zum anderen im 21er Haus die Wiedererrichtung des Ahnentempels einer Teehändlerfamilie aus der Ming-Dynastie.

Während die Kreatur "Lu" im Stiegenaufgang als Stier-Seepferd-Drache der altchinesischen Mythologie, aus traditionellem Bambuskörper, bespannt mit Seide, schwebend Akzente gegen Prinz Eugens heroische Antiken-Inszenierung an den Wänden als zweitgrößter Feldherr nach Alexander setzt, kommen mit der "Wang Family Ancestral Hall" die Dämonen chinesischer Geschichte des 20. Jahrhunderts zur Sprache. Der originalgetreue Aufbau von 1300 antiken Holzteilen ging sich im Innenraum des 21er Hauses nicht aus, doch auch um ein Seitenschiff weniger, ist die historische Architekturgeste eine überaus gelungene Hommage an Karl Schwanzers Pavillonidee geworden.

Ergänzt durch "Teahouse", eine Installation aus gepressten Pu-Erh-Teeziegeln und einen Teppich aus antiken Teekannenschnäbeln, "Spouts", kommt nicht nur die barocke Ikonografie als Assoziation zum Zeitalter der Ming-Dynastie in den Sinn. Zum einen wird die Zerstörung durch die dem Verfall preisgegebene Halle nach Vertreibung der Familie aus der südlichen Provinz Jiangxi während der chinesischen Kulturrevolution und ihre Verbannung in die Mongolei, ähnlich der Ai-Familie, mitthematisiert. Zum anderen die heutige Spekulation von Investoren mit historischen Tempelteilen angezeigt, denn ihr hat Ai Weiwei durch Kauf und Transferierung in den Kunstkontext, die Rettung der Erinnerung als komplexe Aussage angeschlossen.

Ahnenhalle für bedrohte Kultur

Die Ahnenhalle aus seiner Heimat, die das Zeitalter Maos nicht für erinnerungswürdig einstufte, hat er in Wien bewusst mit dem zerlegbaren Pavillons von Schwanzer nach der Brüssler Weltausstellung 1958 in Bezug gesetzt. Auch dieses Gebäude wurde zweimal in seine Bestandteile zerlegt und wieder zusammengebaut, nachdem es erst verschrottet werden sollte. Das moderne Museum als Ahnenhalle für bedrohte Kultur schließt die ausgegrabenen Keramikteile, die in der Nähe des Tempels der Familie Wang gefunden wurden, mit ein. Aktualisierung des Archäologischen ist wichtiger Teil von Ais Methode, zum amerikanischen Konzept und der Wichtigkeit des Handwerks, aber auch der genauen Recherche, kommt ein europäischer Akzent der Freilegung soziologischer und psychologischer Spuren. In Wien gut mit Sigmund Freuds Schürfen im Unbewussten assoziierbar.

Er frage sich, ob seine Wahl, ein politischer Künstler zu sein und neben Verfolgung auch keine Freizeit zu haben, wirklich die richtige war, scherzte Ai auf Pressefragen, doch die Schau hier könne er nach Jahren erstmals selbst kontrollieren, auch ob es Fehler in seinen Konzepten gibt. Die Zufriedenheit damit und das Leben als Gastprofessor in Berlin, hindern ihn nicht, seine Rückkehr nach China zu planen. In Europa hat er als politischer Aktivist sofort die Flüchtlingsfrage als primäres Problem unseres Kontinents wahrgenommen und zu seinem Thema gemacht. Mit solchem Anspruch stellte der Unbequeme die Pathosformel einer vermeintlichen Auffindungssituation eines ertrunkenen kurdischen Flüchtlingskindes mit eigenem Körper nach. Das Foto des Toten war durch die Medien weltweit verbreitet worden, Ais Wiederholung löste einen Shitstorm im Netz gegen ihn aus. Er musste sich den Vorwurf der Geschmacklosigkeit sowie des Nutzens für die eigene Prominenz gefallen lassen. Nicht nachgestellt, sondern ein Fake ist der Name von Ais Firma in Peking und enthalten im kalligrafischen "F" der Schwimmwesteninstallation am Teich - wie "Freedom".

Gedankenbrücken

Wie stehen wir zu Pathosformeln angesichts des beeindruckenden Einbaus einer altchinesischen Architektur in ein modernistisches Gebäude? Kunst muss nicht viel können, um als Parallelaktion große Wirkung zu entfalten. Der einfache Transfer kann uns billiges Als-ob-Pathos durchschauen und das Wesentliche erkennen lassen - Kultur ist eine mobile Sache. Wie schon Ais Vater die französische Dichtung nach China brachte, baut der Sohn weiter Gedankenbrücken. Durch die Zeiten, über die Kontinente, mit gemischtem Aufbauteam, dem die Wiedererrichtung der Ahnenhalle der Wang Familie erstmals im Westen gelungen ist. Die Container ihrer langen Schiffsreise künden vor dem Haus mit Aufschrift die Ausstellung mit an. Zusammen mit der bekannten Biografie Ai Weiweis wird die politische Archäologie dieser Werke bis November viel erzählen und noch mehr Interpretationen zulassen.