Neo Rauch, prominenter Wegbereiter der "Neuen Leipziger Schule", hier mit "Bildnis" (1989) vertreten. - © VG Bild-Kunst/Bonn 16, Uwe Walter/Berlin
Neo Rauch, prominenter Wegbereiter der "Neuen Leipziger Schule", hier mit "Bildnis" (1989) vertreten. - © VG Bild-Kunst/Bonn 16, Uwe Walter/Berlin

Wer sich an ein Resümee der deutschen Malerei der jüngeren Vergangenheit macht, bewegt sich auf vermintem Gelände. In Weimar führte der "Aufstieg und Fall der Moderne" 1999 mit der diffamierenden Präsentation der DDR-Malerei zu erheblichen Kollateralschäden für den Kunstdiskurs im Lande. Und das war nur das prominenteste Beispiel. Mehrere ausgewogenere Ausstellungen zu diesem Themenkreis (in Weimar, Berlin, Leipzig oder Nürnberg) später, wartet das Museum Potsdam wiederum mit einem ausdrücklichen Beitrag zur deutsch-deutschen Malerei auf.

Der gerät deshalb so überzeugend, weil er sich auf die figürliche Malerei in den Achtzigerjahren konzentriert. Vor allem, weil es gelungen ist, hier fast 90 Meisterwerke aus den eigenen Beständen des Museums mit prominenten Leihgaben zu vereinen, die auf beiden Seiten der Mauer entstanden sind. Im Frankfurter Städel hatte man sich 2015 mit einer großen Ausstellung zur Malerei in den 1980er Jahren, wie selbstverständlich, unhinterfragt auf die BRD beschränkt. Während sich parallel dazu, auf der anderen Seite in Frankfurt an der Oder, das Museum Junge Kunst mit der Ausstellung "DDR Expressiv - die achtziger Jahre" auf Kunst aus dem Osten konzentrierte.

In Potsdam ist es ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall gelungen, so viel Souveränität an den Tag zu legen, dass überholte Konfrontations- oder Rechtfertigungsstrategien nicht mehr den Blick auf die Parallelität der Entwicklung verschiedener Stränge einer deutschen Malerei-Tradition verstellen.

Die Ausstellung demonstriert, dass die figurative Malerei in den Achtzigerjahren auch in der alten Bundesrepublik eine Blüte erlebte. Diese Hinwendung war dort ein bewusstes Abrücken der Maler von einem teils schon dogmatischen Bekenntnis zu Abstraktion, Pop-Art, Minimalismus oder Konzeptkunst.

Anders in der DDR. Hier ging es nicht um eine Hinwendung zum Figürlichen, sondern um die Emanzipation von einem vordergründigen Sozialistischen Realismus durch ausgeprägte Individualität bei der Wahl von Themen und künstlerischen Mitteln. Ein Vorzug der Ausstellung besteht darin, dass die gezeigten Werke bewusst nicht als Ost- oder Westkunst gekennzeichnet sind. In sechs Kapiteln werden sie thematisch gruppiert, indem "figurativ" mit verschiedenen Stichworten kombiniert wird.

Starke Auftritte

Im ersten Kapitel "figurativ&erzählerisch" treffen so Angela Hampel (u.a. mit "Penthesilea") und Elvira Bach (etwa mit "Die Nachteule") aufeinander, während ansonsten Schwergewichte wie Bernhard Heisig ("Neues vom Turmbau"), Arno Rink ("Versuchung II") oder Hubertus Giebe ("Das Gehäuse") den malerischen Maßstab setzten. Ruhiger geht es im Kapitel "figurativ&beobachtend" zu. Hier begegnen sich etwa Uwe Pfeiffers "Die Treppe I" oder Werner Liebmanns "Der kleine König" mit Johannes Grützkes "Valeska Gert". Unter der Überschrift "figurativ&ekstatisch" haben dann Rainer Fetting "Selbst", Georg Baselitz‘ "Mädchen kommt - Markus" oder Salomés "Seerosenteich" ihren großen Auftritt. Sekundiert wird der von Arno Rinks "Swimmingpool" und Johannes Heisigs "Live im Keller".

Bei "figürlich&kämpferisch" geben dann Wolfgangs Mattheuers Studie "Albtraum" und Klaus Killischs "Der große Schritt" den Takt vor, in dem Markus Lüpertz mit "Zwei Krieger" und Trak Wendischs "Mann mit Koffer" zusammenfinden. So geht das weiter mit "figurativ&losgelöst" bis "figurativ&zeichnerisch".

Mit den gezeigten Werken von Bernhard und Johannes Heisig, Mattheuer, Rink, Ebersbach, Giebe, Gröszer, Hampel, Pfeifer, Uhlig und etlichen anderen haben die Ost-Maler in Potsdam einen starken Auftritt.

Wie ein Baum

Die figurative Malerei aus dem Westen ist mit ihren prominenten Protagonisten genauso eindrucksvoll vertreten. Wenn jemand wie Georg Baselitz schon 1958 in den Westen ging, ist die Zuordnung noch relativ leicht, bei Hans-Hendrik Grimmling und Volker Stelzmann, die 1986 die DDR verließen, schon nicht so eindeutig. Und bei den jüngeren wie Johannes Heisig war der Wechsel von Dresden nach Dortmund ebenso gesamtdeutsch wie der Aufstieg von Neo Rauch. Letzten Endes ist es wie mit der deutschen Literatur, die Stephan Hermelin mit einem (einzigen) Baum verglich, an dem verschiedene Äste blühen und die alle ihre Kraft aus einer Wurzel beziehen.

In Potsdam macht es Spaß, den Vorlieben der Künstler nachzuspüren. Ob in der Farbgebung, wo man mehr schrille Töne bei den westdeutschen Wilden, mehr gedämpfte bei den Ostdeutschen finden wird. Oder deren Hingabe ans penibel ausformulierte Detail. Und bei den Malern, die man nicht sowieso schon kennt, die richtige oder falsche Zuordnung zu treffen. Dass diese Zuordnung aber im Grunde hinter der Freude am Bild und seiner autonomen Überzeugungskraft, unabhängig vom Entstehungskontext, zurücktritt, gehört zu den erfreulichen Erkenntnissen, die die Potsdamer Ausstellung vermittelt.