Eingezogener Kopf, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben. Nervös zieht Tamás Bakos an den Schnüren seines Kaputzenpullis. Der ungarische Künstler wirkt jugendlich, fast als wäre er bei einem Streich erwischt worden. Die Haare dunkelblond und strähnig, Dreitagesbart. Immer wieder verschwindet der 41-Jährige, um vor der Haustür ein Zigarillo zu rauchen. Die vielen Interviews werden ihm schon ein bisschen zu viel.
Die Medien interessieren sich für Bakos. Ungarische Journalisten reisten extra nach Wien, um ihn zu treffen. Anlass waren zwei Ausstellungen, die seine Kunst zum ersten Mal öffentlich machte: Ende 2016 zeigte das Bezirksgericht Meidling seine Arbeiten, im Februar 2017 dann der Wiener Jazz-Club Porgy & Bess. In der Ausstellung "Painting the Blues" waren Malereien der Schallplatten-Cover der Blues-Musiker John Lee Hooker, Little Walter, Muddy Waters und John Mayall zu sehen, aber auch Porträts von Jimi Hendrix und Muhammad Ali.
Obdachlosigkeit als Verkaufsargument?
Auch der Österreichische Rundfunk hat den ungarischen Künstler interviewt. Der Titel des ORF-Beitrags, "Obdachloser wird Künstler", wird Bakos jedoch nicht gerecht. Denn der Ungar ist kein Obdachloser, der Künstler wurde, sondern ein Künstler, der über viele Jahre wohnungslos war. Auch während seiner Zeit auf der Straße malte er, wenngleich unter widrigen Bedingungen, er verwendete Farben und Materialen, die er auf der Straße oder im Sperrmüll fand. Dennoch sagt dies einiges über einen Kunstmarkt aus, in dem persönliche Schicksalsschläge wie Flucht, Missbrauch oder Obdachlosigkeit ausgeschlachtet und zum Verkaufsargument werden.
"Mit der Obsession einer heillosen Trauer malt er unentwegt das Unverdrängbare", schreibt der Autor Ilija Trojanow in einem Vorwort zu Bakos Ausstellungskatalog "Exciled on Side Streets". Hier wird die Geschichte des Künstlers zur Lesart. Fast könnte man es als schöne Umkehrung verstehen, dass hier ein Stigma zum Asset wird.
Auf der Kurzbiografie des Flyers zum Ausstellungskatalog heißt es: Bakos Tamás, geboren 1976 in Nagykőrös /Ungarn. Volks- und Mittelschule, Kellnerlehre. Zwischen 2000 und 2013 obdachlos in Budapest. Lebt in Nagykőrös und Wien.
Obdachlosigkeit im Ausstellungskatalog, das wirkt fast schon subversiv. Doch am elitären Kunstmarkt zu rütteln, gelingt dadurch nicht, es führt im besten Fall zu mehr verkauften Bildern. Denn, wie Robert Sommer in der Straßenzeitung "Augustin" schrieb: "Die Kategorisierung als Außenseiterkünstler könnte sich als Sackgasse herausstellen."
Seine Bilder zeigen Gestalten am Abgrund
Im persönlichen Gespräch ist Bakos wortkarg, seine Formulierungen sind vorsichtig, seine Stimme leise. Seine Übersetzerin tut sich schwer, das Gesagte zu vermitteln, und sagt: "Seine Sprache sind die Bilder." Also lassen wir seine Kunst sprechen: Bakos Bilder zeigen Menschen und düstere Gestalten am Abgrund, in dunkle Farbe getauchte Porträts, die den Betrachter aufgewühlt und fragend zurücklassen: Wen hat er da gemalt? Versionen seiner selbst, oder Menschen, die ihm im Laufe seines Lebens begegnet sind? Anleihen an den klassischen Expressionismus sind erkennbar, surrealistische Akzente ebenso.
Dabei ist Bakos Autodidakt, der sich Maltechniken selbst beigebracht hat. Und doch sollte man der Versuchung, ihn als Art Brut-Künstler zu bezeichnen, widerstehen. Zwar zeigt sich Bakos, der schon nach kurzer Zeit in Wien die Gugginger Maler besucht hat, sehr beeindruckt von dieser Kunstform – doch für sein eigenes Werk lehnt er Etiketten ab, wie er der Straßenzeitung "Augustin" sagte: "Ich gehöre keinem Ismus an, und wenn ich meine Malerei beschreiben müsste, würde ich sagen: Die Bilder sind Reaktionen auf das, was ich sehe, sie sind Ausdruck meiner Lebenserfahrungen. Was man aus meinen Bildern auch erkennen kann: Ich habe keine Hemmungen, was das Material betrifft, auf dem ich male."
"Die Menschen verachten dich, wenn du auf der Straße lebst"
Während sich seine Vermarkter und die Medien auf das biografische Detail der Wohnungslosigkeit stürzen, spricht Bakos selbst weniger gern über diese Zeit. Wird er danach gefragt, kehrt er das Gespräch sofort ins Positive, erzählt davon, die Freiheit gesucht und im Leben auf der Straße gefunden zu haben. Dass er mehrmals verprügelt, einmal sogar angeschossen wurde und dabei fast ums Leben kam, spart er aus. Über das Leben als Obdachloser sagt er: "Die Menschen verachten dich, wenn du auf der Straße lebst."
Treibende Kraft hinter Bakos Karriere ist seine jüngere Schwester Anna Bakos. Die Kunst sollte ihn von dem gefährlichen Leben auf der Straße wegbringen. Anna Bakos hatte den Film über den New Yorker Künstler Jean-Michel Basquiat gesehen und sich gedacht: "Das kann mein Bruder auch." Basquiat war ein US-amerikanischer Graffitikünstler, Maler und Zeichner, seine Werke zählen zu den gefragtesten Kunstobjekten des 20. Jahrhunderts. Anna Bakos hatte zuerst ihrem Vorgesetzten Walter Famler, Chef der Alten Schmiede, von dem künstlerischen Talent ihres jüngeren Bruders erzählt.
Ist sie überrascht, dass ihre Idee geklappt hat? Dass die Kunst ihres Bruders nun über die ungarische Grenze hinweg wahrgenommen wird? "Nein. Ich konnte mir das immer schon gut vorstellen. Ich habe gewusst, dass es klappen wird", sagt Anna Bakos. Anders sieht das ihr Bruder: "Das war alles nicht so geplant. Ich bin sehr berührt, es gibt mir ein neues Selbstbewusstsein."
"Ich habe mir nur gedacht: Besser als Basquiat ist schnell jemand", sagt Famler. Doch bald war auch er von dessen Talent überzeugt. Gemeinsam bilden sie nun ein Manager-Team um Bakos, das sich auch um seine PR-Agenden kümmern.
Zum ersten Mal nach Wien kam Bakos im Februar 2014. Die Galerie Benedict in der Wiener Sonnenfelsgasse bot ihm Ausstellungsräume und einen Atelierbereich an, katalogisierte 330 Bilder und nahm sie in ihr Programm auf. Bakos, der bis dahin primär auf Holz, Karton und Papier gearbeitet hat, begann zum ersten Mal, mit Öl auf Leinwand zu arbeiten. Ein kunstaffiner Immobilienentwickler bot ihm eine kleine Wohnung in einem leerstehenden Industrieobjekt an, in der Bakos einige Monate lang lebte und arbeitete, bis er nach einer Auseinandersetzung mit dem Vermieter ausziehen musste.
In dieser Zeit entstanden Serien auf großformatigem Fotokarton und Arbeiten auf Holz. Seine Materialien fand er am Sperrmüll, oft schleppte er sie kilometerweit. Heute lebt Bakos wieder nahe seines Elternhauses in Nagykőrös in Ungarn, und wenn er in Wien ist, wohnt er in Famlers Wohnung im 2. Bezirk. Ein Zimmer dient Bakos als Wohnatelier und Archiv zugleich: Hier stehen 3000 katalogisierte Bilder, die meisten von ihnen im Format zwischen A4 und 120 x 80. Viele Formate sind ungewöhnlich, weil Bakos einfach ein Stück von gefundenen Papierrollen abgerissen hat, oft verwendete er Packpapier oder Sperrholzplatten aus Müllmulden.
Gemeinsam ziehen die beiden durch die Stadt, besuchen Theater, Konzerte und Museen – Famler behauptet, Bakos sei ein Radiojournalist aus Ungarn, und schmuggelt seinen Schützling in manche Ausstellungen. Und auch seine Werke werden bald wieder zu sehen sein: Für Sommer und Herbst diesen Jahres sind Ausstellungen in Budapest, Hamburg und Bratislava geplant.