
Wenn einer was von abstrakter Kunst versteht, ist es Florian Steininger, der neue Direktor der Kremser Kunsthalle. Schon seine Diplomarbeit ging in diese Richtung, die einst als die wesentliche Kunstinvention des 20. Jahrhunderts galt und mit Amerikas Kunstpolitik nach 1945 die "Westkunst" beherrschte.
Die Vorgaben sind durchaus ambitioniert. 1991 standen bei der Wiener Festwochen-Schau "Bildlicht" im 20er Haus (heute: 21er Haus) hierzulande zum letzten Mal abstrakte Richtungen im Vordergrund. Danach gab es nur Malereibefragung in postmoderner, ideologiebefreiter Kombination von figural und abstrakt, wie zuletzt "Painting 2.0" 2015/16 im Mumok.
"Postungegenständlich"
Der Aufbruch ins Gegenstandslose vor 100 Jahren ist heute ein zu weiter Blick zurück. Vielmehr geht es um das Interesse, warum Abstraktion in der aktuellen Malerei nach wie vor aktuell ist.
Nach Auflösung des Lagerdenkens - hier figural, dort geometrisch oder gestisch abstrakt, sogar formlos und nur noch konkretes Objekt statt Tafelbild - und der postminimalistischen Aufhebung eines propagierten Endes der Malerei, kam eine neue Ära des "Postungegenständlichen" und die gilt es nun zu durchstreifen.
Auch abstrakte Maler sind heute weit weg von der US-amerikanischen Kunstpolitik, die nach der Theorie Clement Greenbergs gegen jeden Realismus anrannte. Heute stellt sich dann eher die Frage, ob der Kitsch nicht auch auf dieser Seite erlaubt ist. Plattitüden, Klischees und Reaktion auf neue digitale Medien und Soziale Netzwerke, aber auch ein wieder neuer Form- und Materialdiskurs, erzeugen neue expressive Üppigkeit bis ins Spektakuläre.
Dabei ist das Runterfahren der Bedeutung der subjektiven Geste zugunsten konzeptueller Kreativprozesse so vielschichtig wie die Themenkreise, die sich vom nach wie vor etwas schwammigen Begriff Abstraktion ableiten lassen.
Die Beharrlichkeit der Malerei und des Arbeitens am Tafelbild gegen die 1991 noch dominante Dualität von Material und Immaterialität, drängen das minimalistische Bildlicht wieder an den Rand. Große Leinwände dominieren. Format und Geste sind meist Zitat, jeder Imperativ des Puren ist gestrichen, ebenso radikaler Dogmatismus.
Ikonoklasmus ade, alles ist elastisch und hybrid. Es kann auch um Verunreinigung von Oberflächen gehen und doch weiter "shaped canvases" geben wie bei Mary Heilmann, Neo-Geo bei Peter Halley (neben Gerwald Rockenschaub und Heimo Zobernig), auch üppige Muster, die früher als verbrecherisches Ornament gegolten hätten (Philip Taaffe, Ross Bleckner, Christopher Wool oder Bernard Frize).
Sinnlichkeit und Intuition
Der ehemaligen Kitschgefahr trotzt Monochromes (Marcia Hafif, Joseph Marioni) und Konzept - dabei ist eine neue Drucktechnik auf Papier von Jakob Gasteiger zu entdecken.
Steininger feiert Sinnlichkeit und Intuition nach der Skepsis an der Malerei - daher ist sein Ausgangsbeispiel auch Gerhard Richter mit vier Gemälden aus verschiedenen Phasen, die jene Entwicklung hin zum üppig farbig-Expressiven aus grauer Dürre des Verwischens abspielen.
Noch ironischer Sigmar Polke, Katharina Grosse oder Wade Guyton, die Pinsel durch Airbrush-Pistole und Tintenstrahldrucker ersetzen. Die romantischen Nebel ziehen bei Walter Vopava, Erwin Bohatsch wie die Schleier an Farbei bei Arnulf Rainer. Nach dem Löschen ist der Farbvorhang so wichtig wie die alte Romantik der Landschaft und abstrakter Figurenkörper bei Per Kirkeby, Hubert Scheibl, Ahmet Oran, Eugène Leroy und Martha Jungwirth.
Schichtenschürfen
Einen Gegenzug zum archäologischen Schichtenschürfen gibt es bei Svenja Deininger, Suse Krawagna oder Nancy Haynes. Geometrisch-architektonische Welten von Sarah Morris oder den deutschen Malern Frank Nitsche und Thomas Scheibitz schließen hier an. Neue Felder zum Tektonischen korrespondieren nach Ernst Caramelle vor allem in Sean Scullys geometrischen "Figure Figure". Der Pinselstrich als meditativer Akt bei Brice Marden und Lee Ufan spannen ein Bogen zurück zum "Geistigen in der Kunst" von Wassily Kandinsky, der Werner Hofmann und anderen Theoretikern als der erste Abstrakte galt. Heute ist die spirituelle Genese längst weit vor die mystischen Einflüsse der Anthroposophen und an mehrere Schauplätze verlagert.
Die 60 Positionen in Krems lassen die Situation auch als internationales Spektrum des Tafelbilds ablaufen und verlaufen sich zum Glück nicht in globalen Gassen wie einst Alfred Barr. 1936 integrierte der Kunsthistoriker und Gründungsdirektor des Museum of Modern Art in New Yorker in seinem Modell über die Ursprünge der Abstraktion den Orient und Afrika - wie später Dieter Bogner und Markus Brüderlin im Museum Beyeler 2001 - nur als Ornament.