
Es war in den letzten Publikationen zum Werk von Günter Brus, Jahrgang 1938, schon zu merken: Die Kunstgeschichte wird umgeschrieben, auch die der Hauptvertreter des Wiener Aktionismus. Das geht auf die Protagonisten selbst zurück, aber auch auf Dissertationen wie jene Almuth Spieglers und rezente Forschungen Johanna Schwanbergs zu Brus’ Hinterfragung der Geschlechterrollen seit seiner ersten Aktion "Ana" 1964. Damals hatte der radikale Ausbruch aus dem Bildrahmen, nach ersten informell-aktionistischen Malereien im Großformat, in den Raum und auf den Körper geführt. Neben seinem erhob Brus auch den Körper seiner Frau Anna in einer orgiastischen Malaktion zum neuen Trägermaterial des künstlerischen Prozesses.
Anna Brus’ Beteiligungen
Seit Entdeckung der feministischen Avantgarde im Umfeld und Nachhall des Wiener Aktionismus ist die von 1968 bis etwa 2000 allzu passiv gedeutete Rolle von Anna Brus zu der einer aktiv nicht nur als Modell Mitwirkenden gewandelt. Ihre wichtigen Anteile zeigen sich auch 1967 im Konzept des Films "Pullover" und selbst in der Aktion "Hochzeit" des früh verstorbenen Rudolf Schwarzkogler. Deshalb hat Kurator Harald Krejci auch die Zusammenarbeit des Künstlers mit seinem familiären Umfeld und anderen außerhalb der männlichen Vierergruppe (neben Brus und Schwarzkogler noch Otto Muehl und Hermann Nitsch) zu zentralen Kapiteln seiner großen Personale zum 80.Geburtstag im Belvedere 21 versammelt.
Passend zum Jahresmotto "Spirit of ’68" im ganzen Belvedere findet die größte Werkschau des international bekannten Künstlers im 21er Haus statt. Seit 1997 Kunst-Staatspreisträger, ist dem mehrmaligen Documentabeiträger seit 2011 mit dem "Bruseum" ein Teil des Grazer Landesmuseums Joanneum gewidmet. Der poetische Titel "Unruhe nach dem Sturm" stammt von Brus, der seit den Berliner Jahren im Umfeld der Wiener Gruppe auch als Poet, Zeichner und für das Theater tätig war und ist. 1968 nach der sogenannten "Uni-Ferkelei", der spontanen Aktion "Kunst und Revolution" mussten die Aktionisten und Teile der Wiener Gruppe das Land verlassen, Brus drohten sechs Monate Haft, die erst 1976, nach Antrag seiner Frau beim Bundespräsidenten, in eine Geldstrafe umgewandelt werden konnte.
Früher wurde die aktionistische Zeit bis zur "Zerreißprobe" 1970 in München und die Verlagerung der körperlichen Transformationen aufs Papier durch Berliner Einflüsse sowie die Herausgabe der Zeitschrift "Schastrommel" (später "Drossel"), streng getrennt. Beides soll nun nicht nur thematisch in engem Zusammenhang gesehen werden. Damit unterscheidet sich Brus’ Werkbegriff stark von Muehl oder Nitsch. Krejci meint neben seinem starken Hang zur Poesie auch das zyklische Denken in Narrationen durchgehend zu erkennen. Deshalb wird in der Schau auf eine große Anhäufung von 734 Objekten Wert gelegt, die Aktionen wie Bildgeschichten vollständig vorführen. Viele private Sammler, Galerien und nicht zuletzt Unbekanntes aus dem Archiv der Familie Brus vereint sich zu sechs Kapiteln. Die Narration teilt sich zuerst über Aktionsfotos und Filme mit und geht dann in serielle Bildgeschichten über.