
Beim Eingang in die untere Ausstellungshalle empfängt die kanadische Künstlerin Ydessa Hendeles mit einem großen Modell einer Fahrradglocke aus Metall, Logo einer Firma aus den 1950er Jahren; dahinter ist sie in einem Foto radelnd mit kanadischer Flagge in Toronto unterwegs. 1948 in Marburg als Tochter von Holocaustüberlebenden geboren, wurde die Ausgewanderte zur Paradereisenden zwischen den Kontinenten und kulturellen Identitäten. Zudem hat sie Kunst und Kulturgeschichte in Toronto und Amsterdam studiert, an einer Kunstuniversität unterrichtet, 1980 eine Galerie und 1988 eine private Foundation gegründet, und Stars der Gegenwartskunst wie Jeff Wall, Rodney Graham oder Ken Lum vertreten.
2012 wurde ihre private Institution nach 35 Ausstellungsprojekten geschlossen und Hendeles widmete sich ab 1990 nur noch eigenen Kunstprojekten.
Daheim Fremdsein
Auch wenn sie bereits im New Museum in New York, auf Biennalen oder im Haus der Kunst in München auftrat, ist die Ausstellung "Death to Pigs" in der Wiener Kunsthalle ihre erste umfassende Retrospektive weltweit.
Dabei spielt ihre große Sammlung an historischen Artefakten wie hölzernen Gliederpuppen und Muskelmännern für Künstlerateliers eine Rolle, aber auch wissenschaftliche Präparate, Kinderbücher, Spielzeug, Illustrationen und Lehrmittel für Schulen aus dem 19. Jahrhundert.
In etwa sechs kleineren und drei größeren Installationen interpretiert sie mit diesen Gegenständen Erlebtes und analysiert Geschichte im Allgemeinen. Es sind Bilder von Heimat und Fremdsein seit Aufklärung und Moderne, frei nach dem Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman, der uns das heutige "Retrotopia" nach "Utopia" vor Augen führt.
Hendeles arrangiert Gegenstände, die Schule und Spiel mit der Wissensmacht um Religion verbindet, Legenden und Märchen werden in musealen Vitrinen und vor Spiegeln kritisch befragt. Das vergrößerte Modell eines geflügelten Spielzeugautos in der oberen Halle hat sie nachgebaut. Der Adler im Stiegenhaus lauert dem ausgestopften Hasen auf, es könnte als böse Hommage an das Logo der Kunsthalle verstanden werden oder auch nur als Ironie wie der Wink in Richtung Blaubart und Albatros, beide Märchen sind Teil unserer Identität, für die Hendeles uns ein Bord mit alten Schlüsseln zur Verfügung stellt.
Das Museum als Kloster, Klassenzimmer, Künstleratelier. Kinderbücher aus kolonialer Vergangenheit, Sagenillustration von Gustave Doré sowie Lehrmaterial des 19. Jahrhunderts sind mit dem Anspruch einer Gruppe - meist weißer Europäer - auf Absolutheit verbunden. Dabei passt die Metapher des Schweins ganz besonders, aber auch der "gestiefelte Kater" der Brüder Grimm oder der Elefant Jumbo.
Was sich da so hochästhetisch präsentiert, ist neben dem Buch von George Orwell, "Animal Farm" auch der Hinweis auf die gefährdete offene Gesellschaft, auf Überwachung, Krieg, Ausgrenzung und Terror im 20. Jahrhundert bis in unsere Tage. Alles hat mit Politik und Massenmedien zu tun wie in der eigentlichen Installation "Death to Pigs" die Morde der rassistischen Sekte um Charles Manson und deren Blutschrift "Pig".
Daneben werden aber selbst unsere Fleischerläden und das Tranchieren des Schlachtviehs auf die dunkle Seite geschlagen, bleiben die einzelnen Glieder der Puppen, ihre Bewegungen und Kopflosigkeit ambivalent, alles kann Assoziationsketten in viele Richtungen auslösen. Auftakt ist das Schweißtuch der Veronika und somit unsere Ebenbildtheorie - so wird die Ausstellung zum Medium, das wir hinterfragen, ein Kosmos, der uns vertraut wie fremd ist, das alte lineare Denken wird in zyklischen Rundlauf versetzt, Antike und Prähistorie sind präsent. Alle Beschreibungen der Künstlerin schützen uns nicht vor dem Zwang, unsere eigene Interpretation zu entwickeln.
Ausstellung
Ydessa Hendeles. Death to Pigs
Kunsthalle, bis 27. Mai