Nicht vielen Porträtfotografen gelingt es, einen so wiedererkennbaren Stil zu entwickeln. Man denkt vielleicht an Annie Leibovitz, die sich mit luxuriös-witzigen Arrangements einen Namen gemacht hat. Bei ihr hat Martin Schoeller als Assistent gearbeitet. Da hat er viel mit Licht und Nähe experimentiert. Aber eigentlich entstanden seine bekannten Nahaufnahmen, die lediglich auf das "nackte" Gesicht fokussieren, ursprünglich aus einer Not heraus. "Ich habe oft auf sogenannten Junkets fotografiert, also Presseterminen für viele Medien auf einmal. Da hat man nicht viel Zeit und keinen Platz. Mit der Fokussierung auf das Gesicht war ich unabhängig von Hintergründen oder der Kleidung." Außerdem haben die Industriefotografien von Bernd und Hilla Becher ihn beeinflusst: "Ich dachte mir erst, was soll das denn, 300 Fotos von Wassertürmen. Dann ist aber irgendwann der Groschen gefallen bei dieser Herangehensweise der total reduzierten Fotos. Das habe ich versucht, auf Porträts zu übersetzen, mir geht es um authentische, objektive Bilder. Es ist auch ein demokratischer Ansatzpunkt - alle Gesichter sind besonders."

Popsängerin Rihanna, unretuschiert. - © Martin Schoeller
Popsängerin Rihanna, unretuschiert. - © Martin Schoeller

Menschliche Skulptur

Mittlerweile weiß man, wenn die Kamera einem berühmten Gesicht, von Jack Nicholson über Rihanna bis zu Angela Merkel besonders nahe gekommen ist, dann stand wohl Martin Schoeller hinter der Kamera. Aber nicht nur bekannte Gesichter fotografiert der Deutsche, der in New York lebt. Seine aktuelle Ausstellung im Ostlicht in Wien zeigt auch seine Porträtserien von Bodybuilderinnen und Zwillingen. Letztere startete er als Auftrag des "National Geographic" und war eigentlich ob der mangelnden Originalität des Themas nicht sehr begeistert. Nachdem er aber beim jährlichen Zwillingstreffen in Twinsburg, Ohio, seine ersten Aufnahmen gemacht hatte, fing er Feuer. Und trieb schließlich sogar identische Vierlinge für sein Buch auf. Schoeller hat auch seine ganz eigenen Zwillingsforschungen angestellt: "Man merkt immer, wer als Erster geboren wurde, auch wenn es sich nur um Minuten dreht. Die Älteren sind immer ein bisschen mehr bossy."

Nicht alle Porträts in der Ausstellung sind Schoellers Signature-Close-ups. Manchmal, erzählt er, wollen das die berühmten Motive auch ausdrücklich nicht. Meistens geht es aber um kreative Entscheidungen, etwa beim Bild von Usain Bolt. Der schnellste Mann der Welt macht nach jedem Rennen eine bestimmte Pose, in dieser hat ihn Schoeller im Metropolitan Museum of Art auf ein Podest gestellt: "Es gibt ohnehin zu wenige Schwarze im Metropolitan Museum." Den Reiz des Fotos macht aber nicht nur die Mischung aus weißen, unbelebten Skulpturen und dem dynamischen Körper Bolts aus, sondern die interessierten Blicke der (tatsächlichen) Besucher.

Bei seinem Porträt von Performancekünstlerin Marina Abramovic hat Schoeller die bekannten Rollen einmal umgedreht. Abramovic, die oft selbst unbekleidet agiert, steht in einer New Yorker U-Bahn schwarz hochgeschlossen angezogen inmitten anderer Nackter. Die Entstehungsgeschichte des Bildes zeigt, dass auch Hochglanzporträtfotografie mitunter ein Abenteuer sein kann. Die Nackten hat Schoeller über die Anzeigenwebsite Craig’s List aufgetrieben. Das Shooting war in der U-Bahn sonntags um
6 Uhr angesetzt, damit die Bahn leer genug ist - eine Art (Green-Card-gefährdende) Guerilla-Aktion, denn Genehmigungen für so etwas werden in New York nicht erteilt. Leer war die U-Bahn aber mitnichten. "Da waren ein paar verkaterte Clubbesucher und ein paar Kirchgänger und die hat das gar nicht interessiert, dass ich sie gebeten habe, sich in einen anderen Waggon zu setzen." Erst als sich die erste Statistin ausgezogen hat, zogen die unerwünschten Zuschauer peinlich berührt ab.

Valentino war böse

Gefallen sich denn die Porträtierten? "Das höre ich zum Glück zum größten Teil nicht. Valentino soll sein Bild gehasst haben", erzählt Schoeller und spekuliert, ob eine deutlich sichtbare Narbe, die auf eine Schönheitsoperation hindeuten könnte, vielleicht der Grund dafür war. "Nasenhaare habe ich auch oft auf den Bildern. Und Pickel. Ich lasse eigentlich immer alles, wie es ist." Das ist auch ein Statement gegen den Retuschierwahn nicht zuletzt im Magazinbereich, der ja Schoellers vorrangiger Arbeitsplatz ist. Aber auch da gibt es noch Überraschungen: "Bei Julia Roberts musste ich um Genehmigung fragen, ob ich ihr Porträt für mein Buch verwenden darf. Ihre PR-Frau sagte, Julia will das nicht, weil das Bild zu sehr retuschiert ist. Da habe ich geantwortet: Das Bild ist null retuschiert! Ach, ja dann darfst du es verwenden, hat sie gesagt. Also, das habe ich ja noch nie gehört. Auf Julia Roberts bin ich gut zu sprechen."